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Angela Merkel versucht die Deutungshoheit über ihre Politik zu behalten.

© Foto: dpa/Sven Hoppe

Altkanzlerin Angela Merkel: Zurück aus der Versenkung

Ihre Leistungen werden gerade überall diskutiert – selten positiv. Nun will Angela Merkel ihr Bild durch Erklärungen selbst prägen.

Ein Phantom geht um. Es wurde neulich beim Einkaufen gesichtet. Und im Westberliner Kiez Schöneberg, da soll es eine Wohnung haben. Aber dann auch wieder in Mitte, wo es doch zu Hause ist. Es ist das Phantom, das alle kennen, das alle begleitet hat, über Jahre: Angela Merkel.

Doch, doch, sie ist noch da. Oder ist sie wieder da? Der „Stern“ hat einen Titel mit ihr gemacht. Einen spitzbübischen. Das passt. Sie weiß um ihre Wirkung. Und sie kann sie kalkulieren. Angela Merkel, die Physikerin. hat ihre politische Karriere angefangen als Pressesprecherin, im „Demokratischen Aufbruch“, später in der DDR-Regierung unter Lothar de Maiziere. Deswegen lässt sie sich im „Stern“ auch nicht wörtlich zitieren. So wird das, was sie mitteilen will, Auslegungssache. Wie bei Ergebnissen in der Physik.

Physik und Politik: Kraft mal Weg durch Zeit ist Leistung. Ihre Leistungen werden gerade diskutiert, mal öffentlich, mal hinter vorgehaltener Hand, selten positiv. Atom, Armee, Putin – wohin man schaut, sie muss sich sorgen um ihr Vermächtnis von 16 Jahren Kanzlerschaft. Für Merkel heißt das: Sie muss selbst dafür sorgen, dass es positiver als gegenwärtig ausfällt.

Es wird Zeit, sich zu zeigen. Die Altkanzlerin, 18 Jahre lang auch Vorsitzende der CDU Deutschlands, hat sich nach ihrer Amtsübergabe lange zurückgehalten. Die wenigen Bilder von ihr, die es gab, privat beim Stadtbummel in Florenz, halb offiziell in der britischen Botschaft, wo sie sich ins Kondolenzbuch für die Queen eintrug – das sollte musste reichen. Ihr reichte es. Abstand war ihre neue Nähe.

Bewunderung für die Queen

Wobei das bei der Queen, das musste sein. Das durfte die Öffentlichkeit sehen, sollte sie wohl auch, weil es mehr war als Pflicht. Es war der kleine Moment des Privaten im großen Öffentlichen. Sie beide bewunderten einander. Einer ihrer letzten Besuche als Kanzlerin hatte Merkel zu Elisabeth II. geführt, die sich das auch gewünscht hatte. So wie sie sich wahrscheinlich „Angie“, wie sie auf Englisch in Deutschland in ihren guten Zeiten genannt wurde, als Premierministerin gewünscht hätte. Lieber Angie als Maggie. Und all die anderen Premiers, die die Queen in Merkels Kanzlerinnenzeit erlebt hat.

Die Rückkehr der Angela Merkel – sie vollzieht sich jetzt offenkundig in Schritten, planmäßig. Merkelmäßig, was heißt: Sie testet, sie wägt ab, sie probiert Versuchsanordnungen. Die erste größere Rede nach dem 8. Dezember 2021, dem Tag ihres Auszugs aus dem Kanzleramt, war am 1. Juni zum Abschied von DGB-Chef Reiner Hoffmann. Für sich gesehen war das schon voller Botschaften.

Machtlos gegen Putin

Die erste Botschaft: der Sieg des Moderaten. Und der Moderaten. Hoffmann ist ja Sozialdemokrat. Und sie hielt eine Laudatio auf ihn. Das haben alle richtig verstanden. Der Botschaft zweiter Teil: ihre Verurteilung des russischen Angriffskrieges als „barbarisch“. Ein Wort, das sich in der Erinnerung hält.

Merkel, die über all die Jahre immer wieder versucht hatte, zwischen dem Westen und Wladimir Putin zu moderieren, dessen Sprache sie spricht, stellt seither immer wieder klar, dass dessen Verhalten nicht ihre Niederlage ist. Weil sie ihrer Art gemäß der Ratio gefolgt ist, er sich dagegen ins Irrationale verloren hat. Das muss man nur richtig verstehen. Und dann war es ja auch so, wie sie jetzt dem „Spiegel“ sagt: „Ich hatte nicht mehr die Kraft, mich durchzusetzen, weil ja alle wussten: Die ist im Herbst weg.“ Macht wich der Ohnmacht, logisch. Nach ihrer Lesart.

Ich hatte nicht mehr die Kraft, mich durchzusetzen, weil ja alle wussten: Die ist im Herbst weg.

Angela Merkel über den Umgang mit Wladimir Putin am Ende ihrer Amtszeit.

Sie schreibt, lesen wir im „Stern“, an ihrem Buch, taucht tief ein ins Vergangene, das irgendwie dann doch nicht vergehen will. Merkel will nichts dem Zufall überlassen, wie es scheint. Sie ist zwar Physikerin, aber über die Jahre mehr und mehr Politikerin geworden. Daher weiß sie, dass der Satz, über ihre Kanzlerschaft solle die Geschichte das Urteil fällen, gut klingt, aber so auch nicht mehr stimmt.

Geschichte wird geschrieben, so und so. Geschichte wird gemacht, so oder so. Merkel schreibt jetzt gemeinsam mit ihrer langjährigen Vertrauten Beate Baumann, inzwischen ihre Pressesprecherin, ihre Version auf. Die Fakten. Die Hintergründe. Die Erwägungen. An Themen mangelt es nicht. Bei Weitem nicht nur alles rund die Ukraine oder um Nordstream. In 16 Jahren kommt eine Menge zusammen. Für sie kommt alles darauf an, wie es zusammengestellt wird. Das macht sie lieber selbst.

In diesem November ist Merkel persönlich noch nicht aufgetreten. Aber das Phantom geht um, ist überall da, wo es um die Lehren für die Zukunft geht. Denn einer aus ihrer Vergangenheit führt zum Beispiel jetzt ihre CDU, Friedrich Merz. Das hat sie immer verhindern wollen.

Angela Merkel bei ihrem letzten Besuch bei Russlands Präsident Wladimir Putin 2021.
Angela Merkel bei ihrem letzten Besuch bei Russlands Präsident Wladimir Putin 2021.

© via REUTERS / Foto: Reuters/Guido Bergmann

Was wiederum der nicht verhindern kann, ist die mit ihrer Rückkehr verbundene Erinnerung: Unter ihr stellte die CDU noch die Kanzlerin. Sie. Als Fixstern. Und in den alten Zeiten war nicht alles schlecht, was war. Das ist inzwischen Geschichte? Ja, ihre. Allein damit tut sie Merz schon weh.

Aber auch damit, dass der „Stern“ berichten kann, wie sie mit ihrem Nachfolger im Kanzleramt, mit Olaf Scholz, in Kontakt steht: in gutem sogar. Sie hätten immer gut zusammengearbeitet, lässt sich Scholz zitieren, „das geschieht auch weiter so“. Und der Kanzler ist – Sozialdemokrat. Vor Merkels Schreibtisch im Bundestagsbüro stehen Schachfiguren. Das passt zu ihr.

Angela Merkel im Spiegel ihrer Macht. Wo andere aus ihrer großen Zeit politische Fehler eingestehen, voran der Bundespräsident, will sie ihr Bild durch Erklärungen prägen. Durch Verklärungen, wie manche meinen. Ohne es so zu sagen.

Wie man das sagen kann, macht einmal mehr Wolfgang Schäuble vor, der große Alte der Union. Danach gefragt, nennt er Konrad Adenauer, Willy Brandt und Helmut Kohl als große Kanzler. „Ob Frau Merkel unter den großen Kanzlern einzuordnen sein wird, das ist vielleicht noch zu früh, um das abschließend zu beurteilen.“

Vielleicht nach ihrem Buch, das 2023 fertig werden soll? Dann wäre der Satz eine Warnung. Denn Merkel ist jetzt kein Phantom mehr. Und Phantom ist ein anderes Wort für Trugbild.

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