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Die Einstellung von 15.000 neuen Polizisten fordern die Innenminister.

© Boris Roessler/dpa

Anti-Terror-Kampf: Wie realistisch ist die "Berliner Erklärung" der Innenminister?

Die Innenminister der Union legen ein Maßnahmenpaket für mehr Innere Sicherheit vor. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Die Union geht in die Offensive: In der kommenden Woche wollen die CDU/CSU-Innenminister von Bund und Ländern eine „Berliner Erklärung“ beschließen, in der ein entschiedeneres Vorgehen gegen Terrorgefahren und Kriminalität gefordert werden soll. Der Entwurf dieser Erklärung wurde am Mittwoch bekannt. Die Rede ist dort unter anderem von der Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft, einer leichteren Abschiebung, einer schärferen Video- und Cyberüberwachung sowie einem Verbot von Burkas.

Was ist die zentrale Forderung der Erklärung?

Ein wesentlicher Aspekt der geplanten „Berliner Erklärung“ ist eine Stärkung der Sicherheitsbehörden und Nachrichtendienste. Dabei geht es um mehr Personal, vor allem aber auch um mehr Befugnisse. Die Innenminister fordern die Einstellung von 15 000 neuen Polizisten. Zentral lassen sich die Forderungen so zusammenfassen: Sicherheit vor Freiheit. Ablesen lässt sich das gut am Beispiel der Videoüberwachung. Diese soll weiter ausgebaut werden. Eine Forderung, die auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) immer wieder erhoben hat. Innerhalb der vergangenen zehn Jahre wurde die Videoüberwachung massiv ausgebaut. Das gilt für öffentliche Plätze aber auch für den privaten Gebrauch. Allein bei der Bahn sind nach Angaben des Unternehmens etwa 5000 Kameras an 700 Bahnhöfen im Einsatz. In Zügen sind etwa 26 000 Kameras verbaut.

Über die Wirksamkeit der Videoüberwachung gibt es unterschiedliche Studien. Besonders umstritten ist die präventive Wirkung, also die Frage, ob Videoüberwachung Kriminalität verhindert oder wenigstens verringert. Die meisten Studien kommen zu dem Schluss, dass Kameras nur eine geringe abschreckende Wirkung haben. Größer ist der Effekt bei der Aufklärung. Denn die Aufnahmen führen in vielen Fällen durchaus zu Fahndungserfolgen. Wichtig dabei ist, wie lange Aufnahmen gespeichert werden. Dafür gibt es spezifische Vorschriften und Gesetze. Datensparsamkeit steht dabei häufig im Zentrum. Die Videoüberwachung ist nur ein Beispiel, wo die Union für weniger Datensparsamkeit plädiert. Auch bei der Vorratsdatenspeicherung, den Befugnissen der Nachrichtendienste und der Einführung eines Bundestrojaners, der für die Online-Durchsuchung wichtig ist, verhält es sich ähnlich.

Wie soll schneller abgeschoben werden?

Abgelehnte Asylbewerber und andere ausreisepflichtige Ausländer, so heißt es im Entwurf des Unions-Papiers, „müssen unverzüglich das Land verlassen“. Wer nicht freiwillig gehe, müsse konsequent abgeschoben werden. „Nicht-deutsche Hassprediger“ müssten ausgewiesen werden. Abschiebungshindernisse müssten beseitigt, die Ausländerbehörden gestärkt werden. Die Rechtslage ist hier klar: Grundsätzlich geht das alles heute schon. Die Probleme entstehen bei der Umsetzung. So darf nicht abgeschoben werden, wenn den Betroffenen eine Gefahr für Leib und Leben droht – also zum Beispiel nicht in Bürgerkriegsländer. Auch Menschen mit Erkrankungen, die eine Abschiebung nicht zulassen, sind davor geschützt. Zudem ist immer wieder unklar, woher ein Abschiebekandidat wirklich stammt – wenn Betroffene die Auskunft verweigern und Papiere vernichtet haben. Auch funktioniert die Rücknahme oft nur schleppend, etwa im Fall der Maghreb-Staaten.

Zwar ist die Zahl der Abschiebungen nach Auskunft der Bundesregierung im ersten Halbjahr insgesamt gestiegen. Demnach wurden bis Ende Juni 13 743 Personen in ihre Heimatländer zurückgebracht, meist per Flugzeug. Im gesamten Jahr 2015 waren es 20 888 Abschiebungen. Allerdings gab es 2016 bislang nur 166 Rückführungen nach Marokko, Algerien und Tunesien, aus denen viele Asylbewerber kommen, die ohne Chance auf Anerkennung sind. Seit März gibt es eine Rücknahmevereinbarung mit den Regierungen von Marokko und Tunesien, die aber bisher nicht zu einer nennenswerten Steigerung der Abschiebezahlen geführt hat.

Was brächte ein Burka-Verbot?

Zu den Punkten in der Erklärung, die unter den Unions-Innenministern noch umstritten sind, gehört das in dem Papier verlangte Burka-Verbot. „Wir fordern ein Verbot der Vollverschleierung. Verstöße sind als Ordnungswidrigkeit zu ahnden“, heißt es in dem Entwurf. Ein derartiges Vollverschleierungs-Verbot in der Öffentlichkeit würde entweder die Burka betreffen, bei der die Betrachterin die Welt durch ein Stoffgitter sieht, oder den Nikab, der die Augen freilässt.

Burka-Verbote gibt es in Europa unter anderem in Belgien, Frankreich und im Schweizer Kanton Tessin. Das Beispiel Frankreichs zeigt, dass ein Verbot der Vollverschleierung in der Praxis schwer umzusetzen ist. Im Nachbarland droht Frauen – egal ob Französinnen oder Touristinnen aus Saudi-Arabien – ein Bußgeld bis zu 150 Euro, wenn sie Burka oder Nikab tragen. Allerdings ist das während der Amtszeit des damaligen Präsidenten Nicolas Sarkozy erlassene Verbot weitgehend ins Leere gelaufen. Zwischen dem Inkrafttreten des Gesetzes im April 2011 und dem vergangenen April haben die Polizeibeamten gerade einmal 1569 Bußgelder verhängt, wobei die Zahl seit dem vergangenen Jahr stark rückläufig ist. Dass Nikab-Trägerinnen auch weiterhin zum Straßenbild gehören, hängt damit zusammen, dass es sich Geschäftsleute wie der in Frankreich geborene algerische Immobilienunternehmer Rachid Nekkaz zur Aufgabe gemacht haben, die Bußgelder systematisch zu übernehmen.

Könnte die doppelte Staatsbürgerschaft abgeschafft werden?

Drei Passagen in dem Entwurf riefen Unverständnis hervor. „Die doppelte Staatsbürgerschaft ist ein großes Integrationshindernis. Wir lehnen diese gespaltene Loyalität ab. Wer sich für die Politik ausländischer Regierungen engagieren will, dem legen wir nahe, Deutschland zu verlassen.“ Sowie die Forderungen: „Wir fordern die Rücknahme der Gesetze, die die doppelte Staatsbürgerschaft ermöglichen.“ Und: „Wir fordern, Deutschen, die für eine terroristische Vereinigung kämpfen und mindestens eine weitere Staatsangehörigkeit besitzen, die deutsche Staatsangehörigkeit zu entziehen.“ Offenbar sind diese drei Passagen aber noch nicht im Detail abgestimmt worden. Das Bundesinnenministerium sagte, es teile diese Aussagen nicht. Das Innenministerium des Saarlands, das derzeit den Vorsitz der Innenministerkonferenz hat, teilte mit, es könne nicht Stellung nehmen, da ihm der Entwurf noch nicht vorliege.

Lorenz Caffier, der als Innenminister Mecklenburg-Vorpommerns und Sprecher der unionsgeführten Innenressorts der Länder den Entwurf verantwortet, begründete die Forderungen gegenüber dem Tagesspiegel: „Wer unsere Staatsangehörigkeit will, muss sich entscheiden, wo seine Heimat sein soll.“ Den endgültigen Wortlaut der Erklärung werden die Innenminister am 18./19. August in Berlin beraten.

Christian Pestalozza, Staatsrechtler an der Freien Universität Berlin, nannte die Forderungen „in dieser Allgemeinheit abwegig“. Es gebe „gute, natürliche und tradierte Gründe für eine mehrfache Staatsangehörigkeit“ wie gemischt- nationale Ehen oder die Geburt im Ausland. Zwei Pässe seien auch nicht automatisch ein Integrationshindernis. Eine zweite Staatsangehörigkeit „steht der Loyalität gegenüber der deutschen Grundordnung in aller Regel überhaupt nicht entgegen“. Umgekehrt sei die Rechtstreue von Personen, die nur den deutschen Pass haben, auch nicht garantiert.

Nach der Rechtsprechung erscheint es kaum möglich, doppelte Staatsbürgerschaften pauschal zu verbieten. Das Bundesverwaltungsgericht hatte 2004 entschieden, dass EU-Bürger, die den deutschen Pass erhalten, die Staatsbürgerschaft des anderen EU-Landes behalten dürfen, wenn dieses andere Land die doppelte Staatsbürgerschaft toleriert. Derzeit leben 4,3 Millionen Menschen in Deutschland, die neben der deutschen eine weitere Staatsbürgerschaft besitzen.

Offen blieb, welche Gesetze zur doppelten Staatsbürgerschaft die Unions-Innenminister zurücknehmen wollen. Die letzten Novellen stammen von 2014 und 1999. Nach der letzten Gesetzesnovelle von 2014 ist es Kindern ausländischer Eltern erlaubt, auf Dauer zwei Pässe zu behalten, wenn sie hier geboren sind und bis zum 21. Geburtstag mindestens acht Jahre hier gelebt oder mindestens sechs Jahre eine Schule hier besucht haben. Zuvor mussten sie sich bis zum 23. Lebensjahr für eine der beiden Staatsbürgerschaften entscheiden. Mit der Gesetzesänderung von 1999 wollte die damalige rot-grüne Bundesregierung die Doppelstaatsbürgerschaft für EU-Bürger und für in Deutschland lebende Türken erleichtern.

Wie stellt sich die Berliner CDU dazu?

Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) befürwortet die „Berliner Erklärung“. Er hält ein Burka-Verbot ebenso wie die Abschaffung der Doppel-Staatsbürgerschaft für wünschenswert. In Berlin leben derzeit laut dem Amt für Statistik Berlin-Brandenburg knapp 39 000 Menschen, die sowohl die deutsche als auch die türkische Staatsbürgerschaft haben – und damit zwei Pässe. Der Berliner CDU-Chef macht vor allem mit innenpolitischen Themen verstärkt Wahlkampf vor der Abgeordnetenhauswahl am 18. September. Das spiegelt sich auch im Wahlprogramm – analog zu einigen Forderungen in der „Berliner Erklärung“. Die CDU in Berlin will 750 Polizisten neu einstellen, diese mit Bodycams und Taser-Pistolen ausstatten. Auch die Videoüberwachung soll an kriminalitätsbelasteten Orten wie Alexanderplatz oder Kottbusser Tor ausgeweitet werden, die Bilder bis zu 48 Stunden gespeichert werden. Der Koalitionspartner SPD lehnt das ab. Die CDU setzt bei Clan- und anderer Organisierter Kriminalität auf eine Null-Toleranz-Strategie.

CDU-Fraktionschef Florian Graf sieht die angekündigten Verschärfungen, die die CDU-Innenminister planen, als „richtige und notwendige Konsequenz“ aus den Ereignissen der vergangenen Wochen. Graf befürwortet schnellere Abschiebeverfahren für ausländische Gefährder und straffällige, ausreisepflichtige Ausländer. Auch ein Burka-Verbot müsse geprüft werden. Er forderte von der SPD „endlich ein Umdenken“, um mehr für die Sicherheit zu tun. Auch der Berliner CDU-Innenpolitiker Burkard Dregger stimmt den Forderungen der „Berliner Erklärung“ nach eigenen Worten „uneingeschränkt“ zu. „Ich ermutige Herrn Henkel, das zu unterzeichnen“, sagte er dem Tagesspiegel.

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