zum Hauptinhalt
Von Tür zu Tür. Laura Hofmann gibt alles.

© Björn Kietzmann

Freiwillige Helfer: Auf Wahlfang

An die Pöbeleien haben sie sich längst gewöhnt. Wenn sie Plakate an Laternen festschrauben oder Flyer an Haustüren verteilen. Ohne die ehrenamtlichen Helfer käme im Kampf um die Stimmen keine Partei aus.

Von Katrin Schulze

Die Sache mit den Hakenkreuzen geschah gleich am ersten Tag. Kaum hatte Roman-Francesco Rogat sein Praktikum bei der FDP begonnen, da schrubbte er auch schon die fiesen Schmierereien von den Wahlplakaten. Mit Spülmittel und Schwamm stand er da und wischte und wischte. So hatte er sich das eigentlich nicht vorgestellt. Parteiarbeit, das bedeutete für ihn, Kontakt zu Bürgern aufnehmen, Verantwortung zeigen, Überzeugungsarbeit leisten. Aber doch nicht putzen und Vandalismus bekämpfen.

Inzwischen, nach einigen Wochen in der Landesgeschäftsstelle, ist Roman-Francesco Rogat klüger. Er weiß, dass man als freiwilliger Wahlkampfhelfer oft von unsichtbaren Gegnern auf Trab gehalten wird und die eigene Arbeit schon am nächsten Tag wieder zunichte gemacht sein kann. Von den 13 000 Plakaten, mit denen die FDP in Berlin werben wollte, sind etwa 5000 bereits verschwunden, viele weitere wurden beschmutzt und beschmiert. Doch die Partei gibt nicht auf, hat nachbestellt und wird weiterkleben – und im Zweifelsfall auch weiterputzen.

Ohne die jungen freiwilligen Helfer kommt die FDP, wie alle anderen Parteien auch, dabei nicht aus. Zu Tausenden klingeln sie ehrenamtlich an fremden Türen, beantworten Fragen der Bürger, verteilen Flyer. Und kämpfen damit gleichzeitig gegen einen bundesdeutschen Trend an. Heißt es nicht, dass es den Parteien an Nachwuchs mangelt? Dass sie die jungen Leute nicht erreichen können? Nach den Angaben des Deutschen Zentrums für Altersfragen altern Parteien sogar schneller als das Volk. 47 Jahre alt sind im Durchschnitt die Mitglieder bei den Grünen, 60 bei den Linken.

Warum tun sie sich das an?

Roman-Francesco Rogat ist 23. Für seinen heutigen Einsatz muss er sich schnell noch umziehen. Raus aus den Jeans und dem roten Shirt, rein in die Jogginghose und das weiße Schlabbershirt mit dem Berliner Bären drauf. Nur das Basecap bleibt, er trägt es falsch herum. Fertig zur Arbeit. 100 Plakate an 50 verschiedenen Straßen und Laternenmasten sollen heute bearbeitet werden. „Das ist doch mal ein einfacher Auftrag“, erklärt der Wahlkampfkoordinator. Roman-Francesco Rogat schaut leicht gequält. Schließlich wird die Aktion Stunden dauern, und alles ist Handarbeit. Aber erst müssen die Bilder von Entwicklungsminister Dirk Niebel auf eine Pappe geklebt, mit Löchern durchbohrt und Schnur durchzogen werden, dann geht’s raus zum Einsatz. Bis zum späten Nachmittag arbeitet sich Rogat mit einem Kollegen durch halb Kreuzberg-Friedrichshain – ein Bezirk, der nicht gerade als FDP-Hochburg bekannt ist.

Die etwa 40 jungen Helfer im Wahlkreis machen sich keine Illusionen, sie wissen, dass auch diese Plakate schnell abgerissen werden. „Wenn wir Glück haben, bleiben sie vier Tage“, hatte der Chef bei Abschied gesagt. Nicht gerade motivierend, dennoch klettert Rogat auf seine Leiter, um die Schilder an den Laternen festzuzurren. Immer wieder. Hoch und runter gegen Trend. Jeder Aufstieg für ein besseres Wahlergebnis. 6,1 Prozent erreichte die FDP vor vier Jahren im Wahlkreis, der ein weiteres Mal an den Grünen Hans-Christian Ströbele gegangen ist.

Jetzt aber strahlt Dirk Niebel von oben herab und verspricht „Weitere vier gute Jahre“. Unten geht eine ältere Frau vorbei und schüttelt verächtlich mit dem Kopf. „Das sind noch die harmlosen Reaktionen“, sagt Roman-Francesco Rogat. Meist muss er Heftigeres über sich ergehen lassen. „Reißt den Scheiß ab“, pöbeln die Menschen dann im Vorbeigehen. Oder „Scheiß FDP“.

Warum tut er sich das alles an? „Alle sitzen da und meckern“, sagt Rogat. „Aber jeder, der meckert, kann es selbst besser machen.“ Etwa vor einem Jahr, mitten in der Nacht, fasste er einen Entschluss, setzte sich an den Computer und füllte den Antrag zur Mitgliedschaft im Internet aus. „Ein Zeichen setzen“ wollte er damit, wie er es nennt, auch in seinem Freundeskreis, wo viele mit Politik und erst recht mit Parteiarbeit wenig bis gar nichts anfangen können.

Klinkenputzen und Flyer verteilen

Es ist eine Tendenz, die in jeder aktuellen Umfrage und Studie bestätigt wird: Unter den 21- bis 24-Jährigen gab es vor vier Jahren die geringste Wahlbeteiligung. Nur knapp 60 Prozent machten in der Altersgruppe von ihrem Grundrecht Gebrauch. Gleichgültigkeit und einen Mangel an politischem Interesse geben sie nach einer Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung als wesentliche Gründe dafür an. Nach dem Motto: Egal, wer da regiert, es ändert sich doch nichts.

Die Reaktionen, die Roman-Francesco Rogat erntet, wenn er von seiner FDP-Mitgliedschaft erzählt, können harsch sein. Selbst seine Eltern waren anfangs skeptisch. „Wir kommen ja aus Ost-Berlin, da ist man – auch wegen der Vergangenheit – etwas zurückhaltender mit Parteien“, sagt er. Aber die FDP passe eben am besten zu seinen Idealen, zu seinen Vorstellungen vom selbstverantwortlichen Leben. „Mir wurde nichts geschenkt, ich musste mir alles selbst erarbeiten“, sagt der IT-Systemkaufmann. Nach dem Praktikum bei den Liberalen will er ein Studium an der Hochschule für Technik und Wirtschaft beginnen.

Doch auch die Helfer der anderen Parteien haben es bei ihrem Einsatz nicht immer leicht: 12 Klingelknöpfe drückt Laura Hofmann. 12 Mal reagiert niemand in dem Moabiter Betonklotz, der mal eine Sanierung vertragen könnte. Dann, nach dem 13. Versuch, knirscht es in der Gegensprechanlage. „Hallo, wir kommen mit Informationen zur Bundestagswahl“, ruft Laura Hofmann. „Bitte?!“, krächzt ihr eine Stimme entgegen. Pause. Dann lauter: „Wer ist daaaaa?“

Ehrenamt, das sei nichts Altmodisches

Bündnis 90/ Die Grünen sind da. Canvassing nennen die jüngeren Parteimitglieder diese Art des Wahlkampfs, Klinkenputzen sagen die älteren dazu. Vor allem unter ihnen gilt der Einsatz als äußerst unbeliebt. Weil man dabei zig Mal hintereinander bis in den fünften Stock klettern muss und das Klinkenputzen doch eher etwas „für Staubsauger- und Versicherungsvertreter“ sei.

Für Laura Hofmann, 23, aber ist Canvassing ein Weg, in direkten Kontakt mit den Wählern zu treten. Zu hören, was sie bewegt und die Chance, sie vielleicht umstimmen zu können. Engagiert war sie ja schon immer, früher bei Amnesty International und jetzt halt bei den Grünen. Noch macht sie nur im Wahlkampf mit, aber bald will sie auch formal eintreten. „Eine Partei ist eine gute Plattform, um etwas zu erreichen“, sagt sie. Altmodisch sei das nicht. Altmodisches würde auch nicht passen zu Laura Hofmann, die in ihrer engen Hose, der naturfarbenen Bluse und mit den feinen Gesichtszügen auch in einem Modekatalog nicht unangenehm auffallen dürfte.

Sie glauben daran, etwas ändern zu können

Bohrend. Roman-Francesco Rogat, 23, arbeitet für die FDP.

© Björn Kietzmann

Laura Hofmann glaubt wie Roman-Francesco Rogat an die Macht von Parteien in diesem Land. Allen Zahlen zum Trotz. Genauso wie die Mitgliederzahlen von Jahr zu Jahr sinken, wird auch die Beteiligung an Bundestagswahlen von Mal zu Mal geringer. Am 22. September wird voraussichtlich jeder fünfte Bürger auf sein Recht zur Stimmabgabe verzichten. Mit jugendlicher Frische laufen die jungen Wahlhelfer dagegen an.

Als es Laura Hofmann zusammen mit einem anderen Wahlkämpfer endlich in den Betonklotz in Moabit geschafft hat, geht der zähe Kampf um die Wählergunst weiter. Als Erstes öffnet ein älterer Herr. „Dürfen wir Ihnen einen Flyer Ihres grünen Direktkandidaten hier lassen“, fragt Laura Hofmann. „Sparen Sie sich das Geld“, lautet die Antwort. Auf zur nächsten Klingel.

Beim zweiten Kandidaten kommen die Wahlhelfer erst gar nicht so weit. Er schlägt ihnen die Tür vor der Nase zu. Wortlos.

„Nüscht, nüscht, nüscht“, ruft der Dritte durch die geschlossene Tür. Er hat die beiden wohl schon vorher gehört.

„Wir sind von den Grünen.“

„Tut mir leid“, sagt Nummer vier.

Nummer fünf hat gerade keine Zeit.

Danach öffnet tatsächlich jemand. Laura Hofmann verteilt ihren Flyer. Noch Fragen? Keine.

Oma Erna und Familien

Dabei ist die Klingeltruppe der Grünen so gut vorbereitet, jeder hat eine Umhängetasche mit der Aufschrift „Wir tragen den Wechsel“ über der Schulter und darin gewissermaßen für jede Frage und jede Altersgruppe den passenden Prospekt parat. „Je nachdem, ob Oma Erna oder eine Mutter mit vielen Kindern die Tür aufmacht“, sagt der Wahlkampfkoordinator. Seinen Leuten gibt er vor allem einen Rat mit auf die Tour: „Nur nicht die Geduld verlieren.“

Tatsächlich klappt es im nächsten Haus besser. Ein Mann möchte mehr über die Steuerpläne der Partei erfahren. Nach eigener Aussage überlegt er ernsthaft, erstmals die Grünen zu wählen. Wahlkampf kann auch Spaß machen. Am Ende sind die Wahlkämpfer mit knapp einem Drittel an der Tür ins Gespräch gekommen. Das sei der Normalwert, sagt Laura Hofmann. Zum Görlitzer Park, in dem sie sich eigentlich noch mit Freunden treffen wollte, schafft sie es an diesem Tag nicht mehr. Die Klingelaktion hat sie müde gemacht.

Parteiarbeit vor Freunden. In der Endphase des Wahlkampfes kann das schon mal vorkommen. „Eine Partei ist eine gute Plattform, Veränderungen herbeizuführen“, sagt Laura Hofmann. Nach mehreren Jahren im Ausland wollte sie sich auch hier sinnvoll einbringen, bevor sie ihr Masterstudium beginnt. „Wenn Parteien keinen Nachwuchs haben, können sie die jungen Leute auch nicht repräsentieren.“

Die Freunde gehen aus, sie machen Wahlkampf

Deutschland, eine Nation der Alten. In der Gruppe der über 60-Jährigen gibt es bereits heute nahezu doppelt so viele Wahlberechtigte wie in der Gruppe der 18- bis 30-Jährigen – Tendenz steigend. Die jungen Grünen, etwa 50 Freiwillige sind allein in Mitte unterwegs, glauben, dass sie deshalb noch ein bisschen mehr geben müssen bei ihrer Wahlkampfaktion. Jedes Haus in der Gegend werden sie – sofern sie hineingelassen werden – besuchen und auf ihrer Karte abstreichen.

Hinzu kommt die Arbeit an den Wahlkampfständen, Aktionen vor Schulen und und und. Warum man ehrenamtlich für die Partei arbeitet und sich freiwillig von Fremden anblaffen lässt, während die Freunde baden gehen oder durch die Clubs ziehen? Aus dem Glauben daran, dass wirklich etwas bewegt, angestoßen, verändert werden kann.

Das gilt für Roman-Francesco Rogat, und das gilt für Laura Hofmann. Die Beiden haben ohnehin mehr gemein als sie es wahrscheinlich selbst vermuten würden – und zwar ihren Einsatz. Obwohl sie für verschiedene Parteien werben, glauben sie doch an ähnliche Werte. „Die Grünen stehen für moderne offene Gesellschaft, in der jeder willkommen ist“, sagt Laura Hofmann. „Die FDP steht dafür, dass jeder so entscheiden und sich entwickeln kann, wie er es möchte“, sagt Roman-Francesco Rogat. Sie haben sich entschieden: für ein Leben in und mit der Partei. Für die Auseinandersetzung. Wider aller Statistiken.

Dieser Text ist erschienen auf der Reportage-Seite.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false