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Die Vorsitzende des Deutschen Ethikrats: Alena Buyx.

© Imago/Future Image/F. Kern

„Aufarbeiten, lernen, heilen“: Ethikrats-Chefin nennt Corona-Pandemie größte Krise seit dem Zweiten Weltkrieg

Deutschland benötige eine bessere Aufarbeitung der Pandemie, sagt Alena Buyx. Man sei danach zu schnell zur Tagesordnung übergegangen. Eine Enquete-Kommission des Bundestages reiche nicht aus.

Die Politik diskutiert rund ein Jahr nach dem Auslaufen der letzten Corona-Maßnahmen darüber, wie die Pandemie aufgearbeitet werden soll. Unter anderem Justizminister Marco Buschmann (FDP) forderte jüngst, alles kritisch zu überprüfen. Im Gespräch ist auch eine Untersuchung durch das Parlament.

Nach Ansicht der Vorsitzenden des Deutschen Ethikrats, Alena Buyx, ist dies jedoch „viel zu wenig“, sagte die Ethikerin im „Interview der Woche“ im Deutschlandfunk, das am Sonntag ausgestrahlt werden soll. „Mir wäre es wichtig, wenn wir so einen Heilungsprozess haben wollen, dass man sich nicht einbildet, man macht eine Enquete-Kommission, und dann ist es irgendwie erledigt, sondern das muss man breiter ziehen.“

Buyx bezeichnete die Zeit der Pandemie als „größte gesellschaftliche Krise seit dem Zweiten Weltkrieg“. Sie sei daher erstaunt, „dass wir zur Tagesordnung übergegangen sind“, so die Professorin für Medizin-Ethik an der TU München in dem Interview. „Wenn diese emotionale Seite, diese Angst, diese tiefe Betroffenheit ignoriert wird“, dann sei das für eine Gesellschaft „ganz schlecht“.

Das war für uns alle ein Ausnahmezustand.

Alena Buyx,  Vorsitzende des Deutschen Ethikrats

Eine parlamentarische Untersuchung würde nur die eigentlichen Pandemie-Maßnahmen und ihre Verhältnismäßigkeit in den Fokus rücken, statt anzuerkennen, dass es sich um die „Erfahrung einer existenziellen Krise“ handele. Dies könne man vor allem an psychischen Folgen für Kinder und Jugendliche beobachten, sagte die 46-Jährige.

Eine  junge Frau setzt nach dem Einsteigen in der Tram in München ihre FFP2-Maske auf.
Eine junge Frau setzt nach dem Einsteigen in der Tram in München ihre FFP2-Maske auf.

© Imago/Wolfgang Maria Weber

„Das war für uns alle ein Ausnahmezustand“, sagte Buyx weiter. Sie fordere seit Mitte 2021 öffentlich, „wir müssen aufarbeiten, lernen, heilen“. Buyx weiter: „Und dann, als man dachte, jetzt können wir es endlich mal machen, weil man dafür eine gewisse Ruhe braucht als Gesellschaft, kam der Überfall auf die Ukraine.“

Eine Lehre, die aus der Pandemiezeit gezogen werden müsse, sei auch ein bewussterer öffentlicher Umgang mit psychosozialen Komponenten einer Gesellschaft. Buyx betonte, dass das Phänomen der Einsamkeit seit der Corona-Pandemie zunehmend ins öffentliche Bewusstsein gelangt sei.

Die Folgen von Einsamkeit könnten gravierend sein. „Das ist verbunden mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen, also wirklich Herzinfarkt, Schlaganfall, so richtig die großen Killer mit Krebs, mit Demenzerkrankungen, aber eben auch mit einer schlechteren psychischen Gesundheit, und zwar richtig stark“, so die Expertin.

Hinzu komme, dass Einsame anfälliger für Manipulationen und Verschwörungserzählungen seien. „Und man weiß eben auch, dass Sozialkontakte helfen, Emotionen wieder runterzuholen, Wut, Ärger, Hass, das Ganze, was so brennt.“ Daher müsse auch die Politik daran interessiert sein, das Problem anzugehen.

Diese Pandemie sei die erste Pandemie in der Geschichte der Menschheit gewesen, „die begleitet war von einer Infodemie, von einer Masse an Fake News, Desinformationen“. (lem)

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