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Israel hat den internationalen Flughafen Ben Gurion bei Tel Aviv weitgehend geschlossen.

© Nir Alon/ZUMA Wire/dpa

Aus Sorge wegen Virus-Mutanten: „Reduzierung des Flugverkehrs nach Deutschland auf nahezu null“

Kanzlerin Angela Merkel will den Flugverkehr aus Risikoregionen drosseln. Parallel lässt der Kanzleramtschef in der CDU eine Schulden-Bombe platzen.

Angela Merkel verschärft seit Tagen den Ton, eine inzwischen eingespielte politische Taktik, wenn sie die geltenden Corona-Einschränkungen für zu lasch hält und sich sorgt.

Erst in der Schalte mit den Ministerpräsidenten, dann in der Bundespressekonferenz, dann in CDU-Schalten hat sie vor der kaum kalkulierbaren Gefahr der Virus-Mutanten gewarnt, die sich auch in Deutschland ausbreiten. „„Wir müssen diese Gefahr sehr ernst nehmen, das kann ich uns allen nur raten“, lautet ihr Credo.

Nachdem die jüngste Bund-Länder-Schalte eine Lockdown-Verlängerung bis 14. Februar, die Pflicht zum Tragen medizinischer Masken und für mehr Homeoffice zum Ergebnis hatte, geht ihr das offensichtlich nicht weit genug. Die „Bild“-Zeitung veröffentlichte zum Ärger in der CDU ungewöhnlich detaillierte Wortmeldungen der Kanzlerin aus einer Schalte mit den Unions-Fraktionsvorsitzenden in Bund und Ländern.

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Zu lesen sind Aussagen mit Blick auf die komplizierten Bund-Länder-Gespräche. wie: „Hundertmal habe ich die Frage in den Runden gestellt: Warum können wir die Reisen nicht verbieten? Dann bekomme ich immer die auf ehemalige DDR-Bürger gemünzte Antwort, dass wir ein freies Land sind. Man kann zwar 15 Kilometer Sperrzone einführen, aber es ist schwer, Reisen in die Welt zu verbieten.“

Bald schärfere Grenzkontrollen?

Weihnachten seien jeden Tag 50.000 auf die Kanaren und die Malediven geflogen. „Wir müssen den Flugverkehr so ausdünnen, dass man nirgendwo mehr hinkommt.“

Seit Tagen laufen Überlegungen, was denn noch getan werden kann gegen Mutanten wie die besonders ansteckende Variante B117, die erst in Großbritannien und Irland, dann in Portugal die Zahlen in die Höhe schnellen ließ. Eine vom Bund erst viel zu spät verordnete stärkere Pflicht für Laboruntersuchungen auf Mutationen führte zu der Problematik, dass das politische Handeln etwas einem Blindflug gleicht.

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Und so wird nun eine einschneidende Maßnahme geprüft. Genau zum Jahrestag des ersten Corona-Falls in Deutschland, bei dem Autozulieferer Webasto in Bayern steuert Deutschland noch einmal auf eine Zuspitzung der Krise zu. „Die Gefährdung, die von den zahlreichen Virus-Mutatnten ausgeht, verlangt von uns, dass wir auch drastische Maßnahmen prüfen und in der Bundesregierung diskutieren“, sagte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) der „Bild“-Zeitung. „Dazu gehören deutlich schärfere Grenzkontrollen, besonders an den Grenzen zu Hochrisikogebieten, aber auch die Reduzierung des Flugverkehrs nach Deutschland auf nahezu null, so wie Israel das derzeit auch macht, um die Einschleppung der Virus-Mutante zu verhindern.“

[Lesen Sie auch: Appell des Webasto-Chefs zum Corona-Jahrestag :„Ich lasse mich impfen, sobald ich kann“ (T+)]

Die Aufregung ist natürlich groß, aber Seehofer meint offensichtlich nur den Flugverkehr aus oder in Hochrisikogebiete, wo die Mutanten stark verbreitet sind, wie Großbritannien, Irland, Südafrika und Brasilien. Merkel war am Dienstagnachmittag in der Unions-Fraktionssitzung nach Tagesspiegel-Informationen bemüht, die Dinge zu ordnen. Es sei kein Reisestillstand geplant. „Was da wieder alles verbreitet wird!“, sagte sie laut Teilnehmerangaben.

Im Kanzleramt schaut man nach Israel

Reisebeschränkungen würden sich nur auf Regionen beziehen, wo die Mutanten besonders stark verbreitet sind. Touristische Reisen dahin verbieten sich, um die Ausbreitung des Virus zu begrenzen. Pendler etwa an der deutsch-tschechischen Grenze seien nicht betroffen - viele arbeiten in Sachsen als Pflegekräfte und Ärzte. Auch Reiserückkehrer könnten weiter zurück nach Deutschland. "Die Mutanten machen uns Sorgen, wir sollten vermeiden, dass sie dominant werden. Zu viele Reisen tragen sonst Mutanten nach Deutschland", sagte sie laut Teilnehmern. Zugleich liefen viele Gespräche im Schengen-Raum. Der Warenverkehr müsse frei bleiben.

Aber es ist auch eine versteckte Mahnung – es kann immer noch nachgeschärft werden, für die Reise- und Flugbranche ist die Unsicherheit gerade mit Blick auf das Ostergeschäft eine Katastrophe.

Im Kanzleramt hat man aufmerksam die jüngsten Entscheidungen in Israel verfolgt, wo das Impfen weltweit am besten vorankommt – auch weil drei Mal so viel für den Biontech/Pfizer-Impfstoff gezahlt worden sein soll wie in der EU.

Seit Dienstag, Mitternacht, ist der internationale Flughafen Ben Gurion bei Tel Aviv weitgehend geschlossen. Die Maßnahme soll vorerst bis Ende des Monats gelten, könnte aber auch vier Wochen dauern. Ausgenommen sind unter anderem Frachtflüge und Flüge aus medizinischen Gründen.

Bis zu 40 Prozent der Corona-Neuinfektionen in Israel gehen nach offiziellen Angaben auf eine Mutante zurück, die aus Großbritannien kommt. Allerdings: Der internationale Luftverkehr läuft in Israel fast komplett über den Ben-Gurion-Flughafen, was die Abschottung einfacher macht.

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Das ist in Europa weit komplizierter, Merkel will Grenzschließungen nur als allerletztes Mittel. „Epidemiologisch betrachtet sind wir als Europäische Union ein Gebiet“, sagt sie. Und so hat Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) mit ihr nun drastische Pläne diskutiert. Die Menschen, die in Deutschland harte Einschränkungen akzeptierten, erwarteten, „dass wir sie bestmöglich vor einer Explosion der Infektionszahlen schützen.“

Hintergrund sind auch Rückmeldungen, dass Quarantäneregelungen nur bedingt eingehalten werden. Die Bundespolizei hat seit dem Wochenende die Kontrollen an Flügen aus Corona-Hochrisikogebieten intensiviert. Überprüft werden demnach insbesondere Einreiseanmeldungen sowie Nachweise über einen aktuellen negativen Coronatest bei Einreisen aus Hochrisikogebieten.

Braun rüttelt an einem der letzten Grundpfeiler der Union

Wie fragil die ganze Lage ist, zeigt eine Zahl. „Für das laufende Jahr wird mit einem Wachstum von 3,0 Prozent gerechnet“, heißt es im neuen Jahreswirtschaftsbericht, der dem Tagesspiegel vorliegt und der am Mittwoch vom Kabinett beschlossen werden soll. Das hört sich gut an, ist aber viel weniger als erwartet, nach dem Einbruch um minus 5 Prozent im Corona-Jahr 2020.

Die Schleifspuren werden also viel stärker zu spüren sein – und jetzt kann es nochmal heftiger kommen. Der große Unterschied zum ersten Lockdown ist bisher, dass die Grenzen offen blieben, Lieferketten intakt und die Betriebe dadurch flächendeckend weiterarbeiten können.

Es spricht aber Bände, dass Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) die Haushaltslage angesichts der noch zu erwartenden weiteren Corona-Lasten für so schwierig hält, dass er nun an einem der letzten Grundpfeiler der Union rüttelt: der Schuldenbremse. Zwei Mal war sie ausgesetzt worden, weil das Parlament eine außergewöhnliche Notsituation durch Corona feststellte. Braun hat nun in einem Gastbeitrag im „Handelsblatt“ das Außerkraftsetzen der Schuldenbremse auf Jahre hinaus vorgeschlagen.

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Um zwei weitere Ziele der Union nach der Bundestagswahl noch erreichen zu können keine Steuererhöhungen und eine Begrenzung der Sozialversicherungsbeiträge auf höchstens 40 Prozent bis 2023. Also keine zusätzlichen Lasten für die Wirtschaft. „Die Schuldenbremse ist in den kommenden Jahren auch bei ansonsten strenger Ausgabendisziplin nicht einzuhalten“, folgert er. Sofort kommt von allen Seiten Gegenwind. „Er hat alles im Blick“, sagt ein gut vernetzter CDU-Mann

Will heißen: Die Entwicklung wird nicht so sein, dass es 2022 wieder mit der Schuldenbremse klappen könnte. Aber da der Haushalt erst nach der Bundestagswahl verabschiedet werden soll, gehe es darum, jetzt schon Pflöcke einzuschlagen für mögliche Koalitionsverhandlungen, gerade auch Richtung Grüne, die mehr Raum für Investitionen wollen. Und wenn ein Schwergewicht wie Braun die Debatte eröffne, schaffe man neue Flexibilität, um dogmatische Positionen zu schleifen, heißt es in der CDU.

Dennoch schlägt Brauns Einlassung ein wie eine Bombe – aber um etwas zu ändern bei der Schuldenbremse für die Jahre 2022 ff braucht es eine Zwei-Drittel-Mehrheit. In der ersten Fraktionssitzung von CDU und CSU, zu der sich der neue CDU-Chef Armin Laschet zuschalten lässt, zieht der gleich eine klare Linie. „Die Schuldenbremse sollte erhalten bleiben. Ebenso wie wir Steuererhöhungen ablehnen“, sagt er laut Teilnehmern. „Sollten Regierungsmitglieder es für erforderlich halten, die Verfassung ändern zu wollen, sollten sie dies in Zukunft mit Partei und Fraktion abstimmen. Das kann man nicht mal so eben machen.“

Schuldenbremse lockern?

Auch Mike Mohring, Vorsitzender der finanzpolitischen Sprecher von CDU/CSU, betont im Gespräch mit dem Tagesspiegel, er sei dagegen. „Die Schuldenbremse verlangt für den Ausnahmefall eine permanenten Rechtfertigung vor dem Parlament. Dies durch einen degressiven Korridor zur Schuldenaufnahme zu ersetzen, höhlt die Schuldenbremse aus.“

Aber er lässt einen Spielraum offen: Er sehe angesichts der andauernden Pandemielage auch für das nächste Jahr die Begründung für einen Katastrophenfall, der ein drittes Mal das Aussetzen rechtfertigen könnte. „Aber die Grundlage ist die Wechselwirkung zwischen Parlament und Regierung in dieser Frage, also die Begründung der Ausnahme vor dem Bundestag, die Aussprache dazu und die Zustimmung durch das Parlament im Rahmen der jährlichen Haushaltsberatung muss bestehen bleiben.“

Es habe viel Mühe und Kraft gekostet, diese Verfassungsnorm durchzusetzen. „Corona bedingt keine Änderung, sondern die Notwenigkeit der Schuldenbremse.“ Und so zeigen diese beiden parallelen Debatten um weitere Einschränkungen und die mögliche Lockerung der Schuldenbremse: Die Pandemie wird das Land noch lange beschäftigen – und das Jahr 2021 schwieriger werden als gedacht.

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