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Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) besuchte in Den Haag den Internationalen Strafgerichtshof und schlug später in einer Rede ein Sondertribunal für Russlands Angriffskrieg vor.

© dpa / Christophe Gateau

Baerbock für Sondertribunal: „Niemand darf Krieg führen und straflos bleiben“

Die Außenministerin schlägt in Den Haag einen Weg vor, um russische Kriegsverbrechen zu ahnden. Internationale Juristen sollen ukrainisches Recht anwenden.

Von Hans Monath

Deutschland will bei der juristischen Aufarbeitung russischer Kriegsverbrechen in der Ukraine eine Führungsrolle übernehmen und zugleich das Völkerrecht entscheidend voranbringen.

Das machte Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) am Montag bei einer Grundsatzrede vor der Akademie für Internationales Recht in Den Haag deutlich. Zuvor hatte sie den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in der niederländischen Stadt besucht.

Die Grünen-Politikerin kündigte an, Deutschland wolle gemeinsam mit der Ukraine und weiteren Partnern ein Sondertribunal für das Aggressionsverbrechen gegen die Ukraine einrichten. Dieses Gericht solle gegen die russische Führung ermitteln und sie vor Gericht stellen.

Die Außenministerin hat selbst Völkerrecht studiert

Das Gericht könne seine Rechtsprechung aus dem ukrainischen Strafrecht ableiten und durch internationale Elemente ergänzt werden, meinte Baerbock. Dies habe sie mit ihrem ukrainischen Amtskollegen Dimitri Kuleba kürzlich bei ihrem Besuch in der Ukraine besprochen.

Internationale Staatsanwälte und Richter sollten an einem Ort außerhalb der Ukraine mitarbeiten und damit Unparteilichkeit und Legitimität gewährleisten. Die Partner sollten dies finanziell unterstützen. Standort soll offenbar Den Haag sein.

Wir müssen das Völkerrecht so weiterentwickeln, dass es unseren Realitäten im 21. Jahrhundert gerecht wird.

Außenministerin Annalena Baerbock

Die deutsche Außenministerin, die auch Völkerrecht studiert hatte, ist die erste westliche Politikerin, die ein solches Tribunal vorschlägt. Sie nahm damit einen Vorschlag des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj auf. Dieser hatte sich Ende November dafür ausgesprochen, ein Sondertribunal einzusetzen – ähnlich dem Nürnberger Tribunal nach dem Zweiten Weltkrieg.

Diese Idee war unter deutschen Völkerrechtlern heftig debattiert worden. So wurde gewarnt, das Tribunal könne im globalen Süden als Instrument des Westens angesehen werden und damit Legitimität verlieren.

Der Strafgerichtshof ermittelt wegen Völkermord

Wie zuvor Selenskjy sieht auch Baerbock die Instrumente des IStGH gegen Wladimir Putin und seine Helfer als nicht ausreichend an. Denn Russland kann vor dem IStGH nicht für den Ukraine-Krieg als solchen angeklagt und belangt werden. Moskau hat das Römische Statut nämlich nie ratifiziert. Dieses ist die Rechtsgrundlage des Gerichtshofes. Es legt fest, dass Angehörige eines Staates, die es nicht unterzeichnet haben, nicht wegen eines Angriffskriegs verurteilt werden können.

Der IStGH hatte nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine am 24. Februar 2022 ein Ermittlungsverfahren eröffnet – allerdings nicht wegen des Angriffskriegs als solchem. Der Internationale Gerichtshof ist nur zuständig für Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen.

Wie lässt sich sein Angriffskrieg gegen die Ukraine ahnden? Solange er Staatschef ist, genießt Wladimir Putin Immunität. Danach nicht mehr.

© dpa / MIKHAIL KLIMENTYEV

„Niemand darf im 21. Jahrhundert einen Angriffskrieg führen und dabei straflos bleiben“, sagte die Politikerin in Den Haag: „Dafür müssen wir das Völkerrecht hier so weiterentwickeln, dass es unseren Realitäten im 21. Jahrhundert gerecht wird.“

Es gehe dabei nicht nur um Abschreckung, sondern um Gerechtigkeit, für die Opfer. „Die Menschen, die in Butscha, Charkiw oder Mariupol so unermessliches Leid erfahren haben, die um ihre Brüder, Schwestern oder Väter trauern, die die von russischer Seite begangenen Verbrechen am eigenen Leibe haben erfahren müssen“, meinte Baerbock, die vergangene Woche Charkiw besucht hatte. Sie bräuchten „Hoffnung auf Gerechtigkeit“, betonte die Ministerin.

Wir brauchen die ganz klare Botschaft an die russische Führung, dass ein Angriffskrieg in dieser Welt nicht ungestraft bleibt.

Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne)

Die Grünen-Politiker räumte ein, dass die neue „Sonderinstitution“ keine ideale Lösung wäre. Aber die Lücke des Völkerrechts müsse geschlossen werden. Es sei entscheidend, „dass wir trotz dieser rechtlichen Lücke jetzt und heute die ganz klare Botschaft an die russische Führung brauchen, dass ein Angriffskrieg in dieser Welt nicht ungestraft bleibt.“

Nach Meinung der Ministerin soll der IStGH auch weiter eine wichtige Rolle bei der Verfolgung von Kriegsverbrechen spielen und neue Zuständigkeiten erhalten, so dass er künftig auch das Verbrechen des Angriffskriegs ahnden kann. Künftig müsse es für solche Verfahren ausreichend sein, „dass der Opferstaat Vertragspartei ist“.

Dieses Ziel lässt sich dadurch erreichen, dass die Staaten, die das Römischen Statut ratifiziert haben, dieses gemeinsam weiterentwickeln. Ähnliche Verhandlungen hatten sich in der Vergangenheit als äußerst mühsam erwiesen. Die Ministerin forderte die Ukraine auf, das Statut zu unterzeichnen.

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