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Soll für seinen Befehl zum Angriffskrieg auf die Ukraine vor Gericht: Russlands Präsident Wladimir Putin

© dpa/AP/Pool Sputnik Kremlin/Mikhail Klimentyev

Debatte um Sondertribunal: Wie lassen sich die russischen Verbrechen ahnden?

Der ukrainische Präsident fordert einen Sondergerichtshof, um den Krieg zu verurteilen. Doch es gibt Warnungen, ein solches Tribunal würde als Instrument des Westens gesehen.

Von Hans Monath

Die Forderung des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj nach einem Sondertribunal für den russischen Krieg gegen sein Land hat unter deutschen Völkerrechtlern eine lebhafte Debatte ausgelöst. Einzelne Abgeordnete aus dem Bundestag und dem Europaparlament unterstützen das Vorhaben.

Die Bundesregierung selbst aber reagiert bei diesem Thema zurückhaltend und hat sich noch nicht klar entschieden. Justizminister Marco Buschmann (FDP) hatte kürzlich erklärt, in der Ukraine seien 45.000 Fälle von Kriegsverbrechen dokumentiert.

Im Grundsatz ist nicht nur die Ukraine der Meinung, dass Russlands Kriegsverbrechen bestraft werden müssen. Auch die westlichen Verbündeten sehen das so. Die Frage ist nur: Wie?

45.000
Fälle von Kriegsverbrechen sind laut Justizminister Marco Buschmann in der Ukraine dokumentiert

Ende November hatte sich Selelenskyj dafür ausgesprochen, ein Sondertribunal einzusetzen – ähnlich dem Nürnberger Tribunal, das nach dem Zweiten Weltkrieg Nationalsozialisten für ihre Kriegsverbrechen verurteilt hatte. Die Instrumente des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) seien gegen Wladimir Putin und seine Helfer nicht ausreichend, argumentierte der ukrainische Präsident.

Russland kann nach Meinung von Rechtsexperten vor dem IStGH nicht für den Ukraine-Krieg als solchen angeklagt und belangt werden. Moskau hat das Römische Statut nämlich nie ratifiziert. Dieses ist die Rechtsgrundlage des Gerichtshofes. Es legt fest, dass Angehörige eines Staates, die es nicht unterzeichnet haben, nicht wegen eines Angriffskriegs verurteilt werden können.

Der IStGH hat nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine am 24. Februar 2022 ein Ermittlungsverfahren eröffnet – allerdings nicht wegen des Angriffskriegs als solchem. Der Internationale Gerichtshof ist nur zuständig für Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen.

Im Sicherheitsrat sitzt der mutmaßliche Verbrecher, Wladimir Putin, mit Vetorecht selbst am Tisch.

Sergej Lagodinsky, Europaabgeordneter der Grünen

Also müssten andere Möglichkeiten gefunden werden, forderte kürzlich der Grünen-Europaabgeordnete Sergej Lagodinsky. Es sei nicht möglich, wie im Jahr 2000 im Fall Sierra Leone ein Tribunal durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (UN) einzusetzen. „Denn im Sicherheitsrat sitzt der mutmaßliche Verbrecher, Wladimir Putin, mit Vetorecht selbst am Tisch“, argumentierte er.

Deshalb müsse „ein anderer innovativer Weg“ beschritten werden, mit der Gründung eines Tribunals mit Unterstützung der Mehrheit der UN-Generalversammlung. Die Bundesregierung müsse ihre Zurückhaltung aufgeben und dabei eine Führungsrolle einnehmen.

Gezielte Angriffe auf zivile Ziele und auf Zivilisten, wie hier in Kherson, kennzeichnen Russlands Kriegsführung in der Ukraine.

© AFP/Dimitar Dilkoff

Dagegen warnte der Straf- und Völkerrechtler Kai Ambos von der Universität Göttingen nun in einem Aufsatz, die Legitimität eines Sondertribunals sei fragwürdig, sie könne ohnehin nur unter Einbindung der UN-Generalversammlung erreicht werden. Es werde schwer, die Notwendigkeit des Tribunals vor den Augen der Weltöffentlichkeit zu begründen, vor allem vor den Augen des Globalen Südens, der der westlichen Ukraine-Politik grundsätzlich skeptisch gegenüberstehe.

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„Dort fragt man sich unter anderem, warum denn ein solches Tribunal nicht bei der völkerrechtswidrigen (US-geführten) Irak-Invasion eingerichtet wurde“, meinte der Jurist und verwies auf den im Süden verbreiteten Vorwurf westlicher Doppelmoral.

Auch politische Argumente führt Ambos an. Eine nur mit einer schwachen Mehrheit verabschiedete Resolution der UN-Generalversammlung werde sich als „schwere Legitimitätshypothek für ein solches Tribunal erweisen“ und ihn an erfolgreicher Arbeit hindern, prophezeite er.

Was ist mit dem Irak-Krieg und Afghanistan, was ist mit George W. Bush und Tony Blair?

Völkerrechtler Gerd Hankel, Hamburger Institut für Sozialforschung

Auch der Völkerrechtler Gerd Hankel vom Hamburger Institut für Sozialforschung warnte, angesichts der starken Unterstützung des Westens für ein Sondertribunal werde schnell der Vorwurf erhoben, es gehe allein von der nördlichen Hemisphäre aus und sei letztlich eine Form der Selbstgerechtigkeit: „Sofort wird auch das Argument kommen: Was ist mit dem Irak-Krieg und Afghanistan, was ist mit George W. Bush und Tony Blair?“ Ein solches Tribunal komme „der justiziellen Rache sehr nahe“ und spiele damit Kritikern von vornherein in die Karten.

Hat die Forderung nach dem Sondertribunal in die Welt erhoben: Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj

© dpa/President Of Ukraine/Uncredited

Der Straf- und Völkerrechtler Claus Kress von der Universität Köln plädiert dafür, das Statut des IStGH so zu ändern, dass diese Institution auch das Verbrechen eines Angriffskriegs verfolgen und verurteilen kann. „Das ist anstrengend, aber deutscher außenpolitischer Mühe mehr als wert“, sagte Kress dem Tagesspiegel. „Der Ankläger des IStGH hat die Vertragsstaaten kürzlich auch hierzu ermutigt.“ Es sei allerdings eine offene Frage und müsse dringend debattiert werden, ob eine solche Änderung so zügig vollzogen werden kann, dass es eines Sondertribunals nicht mehr bedürfe.

Die Warnung vor einer nicht ausreichenden Mehrheit in der UN-Generalversammlung lässt der Jurist aus Köln nicht gelten. „Ich halte diese auch nicht für selbstverständlich“, sagte er: „Doch man muss sich dann eben diplomatisch um sie bemühen, statt von vornherein die Flinte ins Korn zu werfen.“

Die Ampelfraktionen im Bundestag sind in der Frage uneins. Der Grünen-Außenpolitiker Robin Wagener wollte sich auf Anfrage des Tagesspiegels auf ein bestimmtes Instrument zur Verfolgung russischer Verbrechen nicht festlegen.

„Für alle Opfer und deren Angehörigen ist es von großer Bedeutung, dass die Täter und Verantwortlichen für diese barbarische Kriegsführung schnellstmöglich zur Rechenschaft gezogen werden – auch für den völkerrechtswidrigen Überfall Russlands“, sagte er. Den richtigen Weg dafür zu suchen, sei die derzeitige Aufgabe der internationalen Staatengemeinschaft. „Wichtig ist, dass Russland auch monetär für den immensen Schaden aufkommen muss“, fügte er hinzu.

Dagegen zeigte sich der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Stephan Thomae, skeptisch gegenüber einem Sondertribunal.

„Ein Sondertribunal wäre, wenn überhaupt, nur die zweitbeste Lösung“, erklärte er und schloss sich inhaltlich dem Vorschlag von Claus Kress an: „Besser wäre es, den für Völkerrechtsverbrechen zuständigen Internationalen Strafgerichtshof zu befähigen, Ermittlungen zum Verbrechen der Aggression auch dann einleiten zu können, wenn der betreffende Staat nicht Vertragspartei des IStGH-Status ist.“ Dies wäre dann „ein echter Fortschritt und ein echtes Zeichen der Weiterentwicklung des Völkerstrafrechts".

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