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400.000 neue Wohnungen versprach Olaf Scholz im Wahlkampf. Das wird wohl nichts.

© AFP/Ina Fassbender

Baukrise vs. Klimaschutz: Die Ampel steckt in der Zwickmühle

Der Gebäudebereich verfehlt die Klimaziele regelmäßig, doch aus Sorge um die Bauwirtschaft plant die Ampel den Verzicht auf höhere Standards. Vor dem Baugipfel sorgt das für Ärger.

Interpretationsspielraum lässt der Koalitionsvertrag eigentlich nicht zu. „Im Gebäudeenergiegesetz werden die Neubau-Standards zum 1. Januar 2025 an den KfW-EH 40 angeglichen“, heißt es im Ampelwerk auf Seite 70. EH 40 steht dabei für das Effizienzhaus, das im Vergleich zu einem Referenzgebäude wegen besserer Dämmung, neuer Fenster oder effizienter Heizung nur 40 Prozent Energie benötigt.

Bislang liegt der Mindeststandard bei Neubauten bei EH55 – und offenbar könnte dies trotz der Verabredung im Koalitionsvertrag auch so bleiben. Denn kurz vor dem Baugipfel am Montag im Kanzleramt hat Bauministerin Klara Geywitz (SPD) bekräftigt, nicht vom bestehenden Standard abrücken zu wollen. „Wir dürfen in der jetzigen Situation die Standards aber nicht noch weiter verschärfen“, sagte sie der „Augsburger Allgemeinen“.  

Die Bauministerin sitzt zwischen den Stühlen. Auf der einen Seite reißt ihr Gebäudesektor regelmäßig die Klimaziele – durch das abgeschwächte Heizungsgesetz dürfte sich daran so schnell nicht viel ändern.

Die Krise im Wohnungsbausektor ist kein Freifahrtschein für ineffiziente Gebäude.

Kassem Taher Saleh, Bauingenieur und Grünen-Politiker.

Doch auf der anderen Seite kämpft die Baubranche mit massiven Kostenproblemen angesichts der Zinswende und gestiegener Materialkosten.

Die Grünen wollen die Klimaschutzmaßnahmen im Gebäudebereich nicht kampflos über Bord werfen: „Die Krise im Wohnungsbausektor ist kein Freifahrtschein für ineffiziente Gebäude“, sagt Grünen-Baupolitiker Kassem Taher Saleh. Der Bauingenieur hält höhere Energieeffizienzstandards für doppelt sinnvoll: „Gut gedämmte Häuser schützen gleichzeitig Klima und Mietende, insbesondere mit niedrigem Einkommen“, sagt er dem Tagesspiegel.

Doch darüber gehen in der Koalition die Meinungen erheblich auseinander: „Um Klimaschutz und Wohnkosten in Einklang zu bringen, müssen wir zudem dringend weg von den starren und teuren Effizienzstandards wie EH40“, sagt der baupolitische Sprecher der FDP, Daniel Föst.

Statt in endlosen Einzelregelungen immer dickere Dämmung und luftdichte Gebäude vorzuschreiben, solle man CO₂-Emissionen direkt in den Blick nehmen. „Klimaschutz muss am Ende auch bezahlbar sein“, sagte Föst. Nach Tagesspiegel-Informationen könnten die Grünen am Ende einer Verschiebung der höheren Standards zustimmen, wenn dafür mehr beim Mieterschutz getan wird.

Geywitz auch gegen Sanierungspflicht für ineffiziente Häuser

Wie hoch die Mehrkosten beim Neubau durch höhere Energiestandards sind, darüber gehen derweil die Meinungen auseinander. „Die Gebäudehülle ist nicht der Kostentreiber am Bau, sondern macht laut Studien nur etwa fünf Prozent aus“, sagt Jan Peter Hinrichs, Geschäftsführer des Bundesverbandes energieeffiziente Gebäudehülle (BuVEG). Zudem würden durch bessere Dämmung Heizkosten eingespart.

Er kritisierte auch Geywitzs Ankündigung, eine Sanierungspflicht, wie sie die Europäische Union im Winter verabschieden könnte, verhindern zu wollen: „Es kann keine SPD-Politik sein, die ärmsten Mieter, die in den schlechtesten Wohnungen sitzen, mit den höchsten Nebenkosten allein zu lassen.“ Wenn die Ampel die Klimaziele einhalten wolle, müsse sie jetzt im Gebäudebereich aktiv werden. „Klimaschutz funktioniert einfach nicht nur mit den erneuerbaren Energien.“

Jan-Marco Luczak, baupolitischer Sprecher der Union, sieht das ganz anders: „Die energetischen Standards machen das Bauen so teuer, dass Wohnen bald unbezahlbar wird. Sie müssen ausgesetzt werden.“ Er fordert eine Rolle rückwärts und will, dass auch wieder der weniger effiziente EH55-Standard staatlich gefördert wird.

Zudem müsse die Bürokratie beim Bauen abgebaut werden. „Wir brauchen eine bundeseinheitliche Bauordnung“, sagte Luczak dem Tagesspiegel. Bislang hätten alle 16 Bundesländer ihre eigene Bauordnung. An den Baugipfel hat der CDU-Politiker nach der Absage einiger Verbände wenig Erwartung. Luczak fordert in Richtung Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), das Thema aber endlich zur Chefsache zu machen. „Solange der Bausektor erlahmt, kommen wir nicht aus der Rezession heraus.“

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