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300 Einträge soll die NSA einer Liste von 2009 zufolge über die Kanzlerin – hier beim Kommunizieren via Smartphone auf dem CDU-Landesparteitag in Mecklenburg-Vorpommern 2013 – gespeichert haben.

© picture alliance / dpa

NSA-Untersuchungsausschuss: Belauschte Kanzlerin, belauschtes Land

In der kommenden Woche konstituiert sich der NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestages. Deutschland stand im Fokus der Ausspähaktionen des amerikanischen Geheimdienstes NSA. Fachpolitiker glauben nicht, dass sich die NSA-Abhörpraxis ändern wird.

In der kommenden Woche wird sich der NSA-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages konstituieren und pünktlich zum Start des Gremiums verdeutlicht ein neues Dokument des NSA-Enthüllers Edward Snowden, wie stark Deutschland möglicherweise im Fokus des US-Geheimdienstes steht oder stand.

Die beiden „Spiegel“-Redakteure Marcel Rosenbach und Holger Stark stellen am Montag ihr Buch „Der NSA-Komplex. Edward Snowden und der Weg in die totale Überwachung“ vor. Darin führen sie unter anderem zwei Dokumente auf, die das starke Interesse der Amerikaner an Deutschland belegen. Da ist zum einen die Präsentation einer Liste, die offenbar 122 Staatschefs umfasst, über die die NSA im Mai 2009 Informationen sammelte. Zwölf Namen werden in dem Dokument, aus dem der „Spiegel“ zitiert, exemplarisch aufgelistet – unter anderem der von Angela Merkel.

300 Einträge zu Bundeskanzlerin Merkel

Die Liste ist demnach nach Vornamen sortiert; Merkel steht zwischen dem ehemaligen malischen Präsidenten Amadou Toumani Touré und dem syrischen Diktator Baschar al Assad. 300 Einträge soll es zu Merkel in der Datenbank geben, allerdings geht auch aus den Dokumenten nicht hervor, welche Informationen und welche Quellen für die Dokumente verwendet wurde. Damit ist auch unklar, ob es sich möglicherweise um Berichte handelt, die aus offen zugänglichen Quellen gespeist wurden, oder ob tatsächlich E-Mails, Telefonate oder andere Kommunikation abgefangen wurde.

In einem zweiten Dokument berichtet der Spiegel aus einem Wochenbericht der Abteilung „Special Sources Operation“ (SSO). Diese NSA-Abteilung kümmert sich um die Zugänge des Nachrichtendienstes zu den großen Glasfaserkabeln, durch die der weltweite Internetdatenverkehr hauptsächlich fließt. Dem Bericht zufolge erlaubte das Fisa-Sondergericht, ein Gericht, das die Überwachung durch die Auslandsgeheimdienste regelt, am 7. März 2013, Deutschland zu überwachen. Aber auch hier ist unklar, welche Daten genau abgeschöpft wurden.

„Spiegel“-Autor Holger Stark sieht ein folgerichtiges Handeln der NSA. „Die NSA hat schon sehr früh, Mitte der 90er Jahre, das klare Ziel artikuliert, die Kontrolle über das Internet zu erlangen. Alles, was wir jetzt über Programme und Abhöraktivitäten der NSA wissen, fügt sich folgerichtig in diese Maßgabe ein.“ Die Einschränkungen, die US-Präsident Barack Obama in der vergangenen Woche angekündigt hat, angekündigte Reformen „werden die Geheimdienste von diesem Ziel nicht abbringen“, sagte Stark dem Tagesspiegel. Für ihn belegen die Dokumente auch die Bedeutung der Bundesrepublik für die NSA. „Deutschland stand im Visier der NSA, das belegen die Dokumente, die wir einsehen konnten, und das könnte auch für die Bundesanwaltschaft ein wichtiger Baustein in ihrer Prüfung sein, ob sie ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Spionage einleitet.“

Bundesanwaltschaft prüft Vorwürfe

Ein Sprecher der Bundesanwaltschaft sagte dem Tagesspiegel: „Unsere Prüfung ist noch nicht abgeschlossen, aber diese Informationen werden darin einfließen.“ Für Karlsruhe sind zwei Fragen entscheidend: Wurde die deutsche Bevölkerung massenhaft ausgespäht und gab es gezielte Spionage gegen die Bundesregierung? Sollte es tatsächlich Ermittlungen geben, dürfte das das ohnehin angeknackste Verhältnis zwischen Deutschland und den USA weiter belasten.

Politik reagiert zurückhaltend auf neue Spiegel-Berichte

Das politische Berlin reagierte zurückhaltend auf die Berichte. Innenpolitiker der Union verwiesen darauf, dass man zunächst schauen müsse, was wirklich substanziell Neues an den Informationen sei. Und auch die Opposition verzichtete darauf, einen Skandal auszurufen. Konstantin von Notz, der für die Grünen im Untersuchungsausschuss sitzen wird, sagte dem Tagesspiegel: „Dass Dienste Berichte über Politiker anfertigen, ist an sich noch nicht bemerkenswert. Entscheidend ist, ob sie dafür offene Quellen verwenden oder ob Kommunikation abgehört wurde. Das wäre ein Problem.“ Allerdings weist von Notz darauf hin, dass die Informationen zur Kanzlerin vom eigentlich viel heikleren Sachverhalt ablenkten: der anlasslosen Massenspeicherung von Daten. Insofern sei der Erlass des Fisa-Gerichts vom März 2013 zu hinterfragen. „Wenn damit die Bevölkerung in Deutschland in großem Umfang ausgespäht wurde“, sagt der Grüne, „dann ist das das eigentliche Problem.“

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