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Kanzlerin und Ministerpräsidenten wollen schrittweise zurück zur Normalität (Archivfoto).

© dpa/Bernd von Jutrczenka

Bund-Länder-Beschluss zu Corona: Der Föderalismus hilft in der Krise

Die Beschlüsse der Länder weisen in die richtige Richtung: mehr Differenzierung. Umso mehr irritiert der gleichzeitige Ruf nach Einheitlichkeit. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

So viele Hoffnungen richteten sich auf diesen Tag. Kommt endlich eine substanzielle Lockerung der Auflagen? Wann und wie kehrt Deutschland zu einem Alltag zurück, der an das Leben vor der Coronakrise erinnert?

Die Kanzlerin und die Ministerpräsidenten der Länder setzen auf Vorsicht. Die Kontaktverbote sollen zum Großteil bis zum 3. Mai bleiben; frühere Lockerungen gibt es nach den Beschlüssen für den Einzelhandel und demnächst auch für Friseure. Die Gastronomie bleibt - bis auf den Außer-Haus-Verkauf - geschlossen.

Das klingt vernünftig und abgewogen. Die politisch Verantwortlichen wollen das Risiko minimieren, dass das Virus durch zu schnelles Herunterfahren der Schutzmaßnahmen in einer zweiten Welle das Gesundheitswesen überfordert.

Das noch lang anhaltende Verbot von Sport- und anderen Großveranstaltungen wird viele enttäuschen. Wirtschaftsverbände hadern mit der zögerlichen Öffnung des ökonomischen Lebens.

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Der liberale Föderalismus hat Deutschland gut getan

Gut ist, dass die Politik nun stärker nach Branche und Größe der Geschäfte differenziert. Eines verwundert jedoch: der gebetsmühlenartige Ruf nach bundesweiter Einheitlichkeit.

Deutschland ist gut damit gefahren, dass es keinen starren Zentralismus praktiziert, sondern einen liberalen Föderalismus. Bund, Länder und Kommunen sprechen ihr Vorgehen ab, behalten aber die Freiheit, unterschiedlich zu reagieren.

Fahrradläden waren in Berlin erst gar nicht geschlossen worden. Nun dürfen sie auch anderswo öffnen. Hat die Differenzierung geschadet? Eher ist es wohl auch dieser Liberalität zu verdanken, dass die Einbuße an Freiheit in Deutschland geringer war als in fast allen anderen EU-Staaten und die Zahl der Corona-Toten pro hunderttausend Einwohner dennoch mit am niedrigsten blieb.

Uneinheitlichkeit kann sogar geboten sein. Der Kreis Heinsberg schloss bereits im Februar alle Schulen und Kindergärten, als sich das Coronavirus dort nach einer Karnevalssitzung rasch verbreitete. Zum Glück forderte damals niemand, Heinsberg müsse warten, bis die Schulen in ganz NRW einheitlich schließen.

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Gleiches gleich, Ungleiches ungleich behandeln

Die Verfechter der Einheitlichkeit lassen jedoch nicht locker. Als Markus Söder die Bewegungsfreiheit in Bayern im März einschränkte, ohne nationale Beschlüsse abzuwarten, warfen sie ihm vor, er gefährde die Geschlossenheit des Handelns in Deutschland. Mag sein, Söder wollte sich profilieren. Er hatte aber gute sachliche Gründe für das „Vorpreschen“. Wegen der geografischen Nähe zu Tirol und Italien stiegen die Infektionszahlen im Freistaat. Skifahrer und Touristen schleppten das Virus ein. Söders Sünde war nicht der Verstoß gegen Einheitlichkeit, sondern mangelnde Absprache.

Hintergründe zum Coronavirus

Ob Deutschland oder Europa: Einzelne Regionen sind unterschiedlich betroffen, müssen also verschieden reagieren dürfen. Der oft zitierte Gleichbehandlungsgrundsatz hat eine Kehrseite, die gerne unterschlagen wird: Gleiches ist gleich, Ungleiches ungleich zu behandeln. Italien und Spanien mit ihren erschreckend vielen Toten und überlasteten Gesundheitssystemen müssen bei der Lockerung vorsichtiger sein als Finnland und Polen, die wenig Coronafälle haben.

Und warum sollen Menschen in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern den gleichen Einschränkungen unterliegen wie Menschen in Bayern und Baden-Württemberg, wenn das Ansteckungsrisiko hier gering und dort hoch ist?

Unterschiedliche Corona-Gefahren, unterschiedliche Reaktionen

Aus Deutschland darf natürlich kein Flickenteppich werden, wo jede Region macht, was sie will. Bund, Länder und Kommunen müssen kommunizieren können, und Bürger müssen begreifen können, was wo gilt. Das setzt der Ungleichheit der Auflagen Grenzen.

Eine Differenzierung je nach Lage darf aber schon sein. Sie ist sogar zu empfehlen. Sie ist gerechter als eine blinde Gleichbehandlung des Ungleichen. Zudem ist eine zeitlich gestaffelte Lockerung strategisch nützlich. Dort wo das Virus früher ankam und Kontaktverbote erforderte, können diese auch früher gelockert werden. Wenn NRW Schulen früher öffnet und Bayern sie länger geschlossen hält, kann Deutschland lernen, was funktioniert und was man besser unterlässt.

Der differenzierende Föderalismus ist keine Lizenz zu Alleingängen. Bund, Länder und Kommunen müssen sich schon absprechen – damit Deutschland auch die nächste Etappe des Corona-Dramas glimpflich meistert.

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