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Besuch in der Familienkassen Potsdam: Im Juni nahmen Kanzler Scholz und Familienministerin Paus einen gemeinsamen Termin zum Thema wahr.

© Pool/Andreas Gora/Getty Images

Chaos bei der Kindergrundsicherung: „Lisa Paus’ Interpretation des Briefs ist schon sehr irritierend“

Die Familienministerin tritt die Flucht nach vorn an und verkündet einen Durchbruch bei der Kindergrundsicherung. Real geeint aber ist nichts. Kritik kommt von der FDP.

Es ist ein Ordnungsruf des Kanzlers an seine Familienministerin. Mit einem Brief, der am späten Montagabend bekannt wurde, erinnerte Olaf Scholz Lisa Paus an ihren Aufgabenzettel. Sie möge für die vielen offenen Fragen beim Projekt Kindergrundsicherung bitte „Alternativen erarbeiten“ und „Varianten aufzeigen“. Ein Referentenentwurf solle „zügig von Ihrem Haus erarbeitet werden“. Womit der Kanzler eine entscheidende Frage aufwirft: Warum ist das nicht schon längst geschehen?

So klingt es, wenn Scholz seine Ministerin ermahnt, doch bitte ihre Arbeit zu erledigen. Damit hat eine seit Monaten bestehende Diskrepanz ihren Höhepunkt erreicht: Da sind auf der einen Seite die Erfolgsmeldungen der Familienministerin, sie habe den Kanzler auf ihrer Seite. Und da ist auf der anderen Seite der real stockende Verhandlungsprozess.

Heute ist die Entscheidung des Kanzlers gefallen.

Familienministerin Lisa Paus im „Tagesthemen“-Interview

Selbst den Ordnungsruf aber deutete Paus am Montagabend in ein Machtwort um, das der Kanzler zu ihren Gunsten gesprochen habe. Im „Tagesthemen“-Interview sagte sie: „Heute ist die Entscheidung des Kanzlers gefallen.“ Scholz habe „die gesamte Koalition auf dieses Projekt verpflichtet“. Und Paus sagt auch: „Jetzt haben wir Klarheit, jetzt gibt es ein Einvernehmen.“

Lisa Paus’ freimütige Interpretation des Briefs ist schon sehr irritierend.

Christoph Meyer, Vize-Fraktionschef der FDP im Bundestag

Gibt es das? Das sieht der liberale Koalitionspartner anders. Der Kanzler habe klargemacht, dass Paus einen Gesetzentwurf erarbeiten sowie „endlich rechnen und ein Finanzkonzept vorlegen“ solle, sagte Christoph Meyer, FDP-Vize-Fraktionschef im Bundestag, dem Tagesspiegel: „Beides hätte sie längst machen können.“ Über den Fernsehauftritt der Ministerin staunt Meyer: „Lisa Paus’ freimütige Interpretation des Briefs ist schon sehr irritierend.“

Eine Einigung nämlich gibt es nicht. Auch die Ministerin selbst sagte im Fernsehen: Details und Kosten werde sie erst dann erklären, „wenn wir den Gesetzentwurf im August miteinander beschließen“. Noch kann und will Paus sich zu den zahllosen offenen Sachfragen zumindest öffentlich nicht positionieren. Eine dieser Sachfragen ist, ob es unterm Strich für Familien, die von Transferleistungen leben, eine Erhöhung der Leistungen geben soll. Neuberechnung des soziokulturellen Existenzminimums nennt sich das, und eine solche ist im Koalitionsvertrag verabredet.

Wichtige Sachfragen sind noch offen

Im Familienministerium verweist man darauf, das Arbeitsministerium müsse rechnen. Dort aber heißt es, ohne Vorgaben und konkrete Ideen von Paus könne die Berechnung nicht losgehen. So geht die Sache seit Monaten nicht recht voran.

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Und ohnehin besteht keine Einigung darüber, ob die Leistungen tatsächlich steigen sollen – das ist der Grundkonflikt zwischen Paus und Lindner. Der Finanzminister verweist darauf, dass die Koalition die Leistungen für Familien schon erhöht hat. In der mittelfristigen Planung hat er für die Grundsicherung nun erst einmal zwei Milliarden Euro pro Jahr vorgesehen. Was den Streit nur auf die Frage verlagert, welche Verbindlichkeit dieser sogenannte Merkposten und seine Höhe haben. Von den zwölf Milliarden Euro, die sie einst vehement forderte, ist Paus inzwischen abgerückt.

Ähnlich unklar ist die Sachlage beim Bildungs- und Teilhabepaket. Das sind Zuschüsse, die zum Beispiel dafür sorgen sollen, dass arme Kinder in einen Sportverein eintreten oder bei der Klassenfahrt dabeisein können. Welche Teile davon sollen in der Kindergrundsicherung aufgehen, welche nicht? Auch das muss noch geklärt werden.

Eine tatsächliche Einigung, was genau unter dem Namen Kindergrundsicherung Gesetz werden soll, gibt es also nach wie vor nicht. Und doch eröffnet der Brief des Kanzlers Paus auch die Möglichkeit, das Projekt gesichtswahrend zu einem Abschluss zu bringen.

Scholz erwähnt die „beabsichtigten Leistungsverbesserungen“ und plädiert dafür, das Kabinett solle sich Ende August mit dem Gesetzentwurf befassen – was auch bedeutet, dass alle Beteiligten aufgerufen sind, sich noch zusammenzuraufen. Ob ihnen das gelingt, wird eine der spannenderen Fragen in der parlamentarischen Sommerpause sein.

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