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So oder so? In Bergisch-Gladbach schüttelt Joachim Gauck Flüchtlingen die Hände, auf dem Balkan (wie hier an der Grenze zwischen Serbien und Ungarn) treffen sie auf Zäune.

© Reuters/dpa

Debatte um Flüchtlinge: Mehr politische Polarisierung wagen!

Im dunkeldeutschen Herbst 2015 müssen sich viele Menschen entscheiden, wo sie politisch wirklich stehen. Das ist gut so. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Nik Afanasjew

Flüchtlinge werden attackiert, Politiker bedroht, Journalisten niedergeschlagen: Eine Welle der politisch motivierten Gewalt rollt über das Land. Selbst am 9. November, dem Tag der Reichspogromnacht, marschierten die Deutschtümler, in diesem dunkeldeutschen Herbst 2015.

Es ist traurig, dass sich die Dinge derart zuspitzen – aber Deutschland braucht diese Polarisierung. Sie ist notwendig, weil sie all den heimlichen Rassisten den freien Atem nimmt. All jenen also, die als „besorgte Bürger“ Seite an Seite mit Nazis gegen Flüchtlingsheime „spazieren“, die Sätze mit den mittlerweile ikonischen Worten „Man wird doch nochmal sagen dürfen“ und „Ich habe ja nichts gegen Ausländer, aber…“ beginnen.

Allzu viele Bundesbürger haben sich in einer bequemen Scheinwahrheit eingerichtet: Sie seien ja eigentlich gar nicht so, aber die Parteien würden ihnen nun einmal keine Alternativen bieten. Es ist Zeit, diese Position als das zu benennen, was sie ist: eine Lüge.

Jemandem ist in der Flüchtlingspolitik nach Härte mit menschlichem Antlitz? Dafür gibt es die Union. Oder soll es Härte mit menschlichem Antlitz sein, die in nettere Worte verpackt wird? Bitte, hin zur SPD. Flüchtlinge sollen mehr Rechte bekommen? Linke und Grüne fordern das.

Wem all diese Positionen nicht genügen und wer deshalb zu einer AfD-Veranstaltung geht, kann das in einem demokratischen Land machen. Wer allerdings einem Mann wie Björn Höcke applaudiert, ist inhaltlich ganz rechts außen angekommen.

An der AfD sind die Auswirkungen der Polarisierung gut zu beobachten. In ihrer Anfangszeit war die Partei unter Bernd Lucke noch um eine bürgerliche Scheinexistenz bemüht und daher potentiell für breite Bevölkerungsschichten wählbar. Sie ging gegen Rechtsextreme in eigenen Reihen vor – heute wird sie von ihnen angeführt. Sie zeigt ihr wahres Gesicht, als Realo-Flügel der NPD. Die gleiche Entwicklung machte Pegida durch. Lutz Bachmann trat einst noch wegen einer Hitler-Persiflage zurück. Heute sind auf den Pegida-Aufmärschen Galgen für Politiker zu sehen. Die deshalb ermittelnden Staatsanwälte werden mit dem Tod bedroht.

Pegida repräsentiert eben keine "schweigende Mehrheit"

Natürlich ist diese Entwicklung auch gefährlich. Nachdem Sigmar Gabriel die Demonstranten in Sachsen als „Pack“ bezeichnet hat, führte das zu einem falschen Stolz unter den abgekoppelten, frustrierten, ignorierten „Aktivisten“, die nur umso lauter zurückbrüllten: „Wir sind das Pack!“ Es kann nicht die Absicht demokratischer Politiker sein, Menschen noch weiter in die rechte Ecke zu treiben. Für die Radikalisierung sorgen die Rechten schon selbst.

Durch die Opposition zu Pegida, AfD & Co. kann die Mehrheitsgesellschaft den heimlichen und offensichtlichen Rassisten auch zeigen, dass sie eben keine „schweigende Mehrheit“ sind. Selbst in Dresden lehnen zahlreichen Umfragen zufolge jeweils ca. 60 Prozent der Menschen Pegida ab. 20 Prozent haben eine eindeutig ausländerfeindliche Meinung.

Die wichtigste Person der Krise ist natürlich Kanzlerin Angela Merkel. Zehn Jahre hat sie Deutschland eingeschläfert. Eine der vielen negativen Auswirkungen ihrer Nicht-Politik ist ein gesellschaftliches Klima, in dem heimlicher Rassismus exzellent gedeiht. Wo es keine Positionen gibt, kann sich jeder leicht im Recht und dazu noch als Teil einer angeblichen Mehrheit wähnen.

In der Flüchtlingskrise ist die Kanzlerin vom Landesmutter-Thron abgestiegen und in die Politik zurückgekehrt. Dort gibt es Widerstand – aus ihrer eigenen Partei, der Union. Die schiebt sich wieder weiter nach rechts, vor allem rhetorisch, vor allem die CSU. Nur dass am Ende niemand behauptet, seine Position würde von keiner Partei vertreten.

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