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Sie hörte sich die Kritik vor Ort persönlich an: Nancy Faeser (SPD), Bundesministerin für Inneres und Heimat.

© dpa/Sophie Brössler

Debatte zur Flüchtlingspolitik im Bundestag: Union wirft Bundesregierung Realitätsverweigerung vor

Wie problematisch ist die Lage in den Kommunen in Sachen Flüchtlinge? Im Bundestag zeigte sich am Freitag, dass nicht einmal bei der Problembeschreibung Einigkeit herrscht.

Betreibt die Ampelkoalition Realitätsverweigerung oder die Opposition Schwarzmalerei? Über die Lage der Kommunen in der Flüchtlingsfrage wurde am Freitag im Bundestag heftig gestritten.

Zwei Anträge von CDU/CSU und Linkspartei lagen vor, die logischerweise ganz unterschiedliche Antworten auf die derzeitige Krise enthalten. Einen Flüchtlingsgipfel von Bund, Ländern und Kommunen, eine Begrenzung irregulärer Migration und mehr Unterstützung für die Kommunen wollte die Union. Einen sofortigen Zugang von Geflüchteten zum Arbeitsmarkt, den vollen Zugang zu den Sozialsystemen und ebenfalls mehr finanzielle Unterstützung für die Kommunen wollte die Linkspartei.

Eine Belastung für den Wohungsmarkt?

Die Debatte zeigte, dass man sich nicht einmal in der Problemanalyse einig ist. Bürgermeister und Landräte hätten es bitter nötig, dass die Bundesregierung pragmatisch handele, sagte Andrea Lindholz (CSU). Stattdessen herrsche Realitätsverweigerung und Respektlosigkeit. Zum Beispiel, wenn Innenministerin Nancy Faeser (SPD) wie kürzlich geschehen behaupte, die Einwanderung Geflüchteter sei keine Belastung für den Wohnungsmarkt.

Die Forderung der Union kommt aus der flüchtlingspolitischen Mottenkiste.

Filiz Polat (Grüne)

Die Union schloss sich der Forderung vieler Kommunen an, die Ankommenden in zentralen Zentren zu lassen, bis klar ist, ob sie eine Bleibeperspektive haben. Eine Forderung aus der „flüchtlingspolitischen Mottenkiste“ und alles andere als mitmenschlich sei das, sagte Filiz Polat (Grüne). Sie kündigte an, die Koalition wolle die „absurden Arbeitsverbote“ im Aufenthaltsrecht „ohne Ausnahme abschaffen“. Außerdem plädierte sie für eine Streichung der Wohnsitzauflage, damit mehr Geflüchtete bei Familie oder Freunden unterkommen können.

Es geht bei dem Thema um Verschiedenes: Einerseits ums Geld – und andererseits um die Erkenntnis, dass Geld allein nicht alle Probleme löst.

Deutschland sei auf einen Zustrom im derzeitigen Ausmaß in der Breite nicht vorbereitet, sagte Thorsten Frei, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion. Wer wie Ministerin Faeser nur davon spreche, Humanität kenne keine Obergrenze, betreibe eine Banalisierung der Herausforderungen der Kommunen. „Hören sie auf die Kommunen, das ist das Mindeste, was die hochbelasteten Kommunen verlangen können“, sagte auch Alexander Throm, innenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion.

Eine SPD-Abgeordnete sieht die Lage in den Kommunen als eher entspannt

Eine Rednerin der Regierungskoalition machte deutlich, dass sie die Lage vor Ort nicht für dramatisch hält. Die SPD-Politikerin Peggy Schierenbeck aus Diepholz sagte, der Antrag der Union klinge, als herrschten überall im Land unhaltbare Zustände. In ihrem Wahlkreis sei die Lage eher entspannt, sagte Schierenbeck. Ähnliches höre sie auch von Kolleginnen und Kollegen aus der Politik. Sie erneuerte Faesers Linie: „Mit uns wird es keine Obergrenze geben, denn Menschlichkeit hat keine Obergrenze.“

Und auch die Linkspartei sieht die Ideen der Union natürlich kritisch. Die Abgeordnete Clara Bünger warf der CDU/CSU-Fraktion „rechte Stimmungsmache auf dem Rücken der Schutzsuchenden“ vor. Mehr als 70 Prozent aller Menschen, die Asyl beantragen, würden Schutz erhalten. Daher könne von einem hohen Ausmaß irregulärer Migration keine Rede sein. Außerdem gebe es für die Menschen überhaupt keinen legalen Weg der Einreise.

Das wird nicht aufgehen, das weiß doch auch die Bundesregierung.

André Berghegger (CDU) zur finanziellen Unterstütung, die den Kommunen versprochen ist

Die Regierungskoalition hielt sich ihrerseits mit Attacken auf die konservative Opposition nicht zurück. Der SPD-Abgeordnete Sebastian Hartmann sprach von „Unverfrorenheit und Geschichtsvergessenheit“, schließlich habe die Union 16 Jahre lang die Innenpolitik der Republik verantwortet. Außer Problembeschreibung, Ressentiment und Spaltung habe die Union nichts vorzuweisen. „Hören Sie auf, die Kommunen zu missbrauchen. Sie haben die Lage herbeigeführt“, sagte Hartmann. „Wir unterstützen die Kommunen, wir wollen pragmatische Lösungen.“

Daran mangelt es aber aus Sicht der Union noch. Die Kommunen bräuchten dringend eine „dauerhafte, verlässliche und angemessene“ Finanzierung, sagte André Berghegger (CDU), und zwar inklusive der Vorhaltekosten für die Unterbringung. Man könne sich nicht von Gipfel zu Gipfel hangeln. Für das vergangene Jahr habe der Bund 3,5 Milliarden Euro gegeben, für das laufende Jahr seien 2,75 Milliarden Euro geplant, und das bei einer steigenden Zahl von Asylbewerbern. „Das wird nicht aufgehen, das weiß doch auch die Bundesregierung“, sagte Berghegger.

Erwartungsgemäß wurden beide Anträge abgelehnt. Der Streit aber ist noch lange nicht beendet. Am 10. Mai trifft sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mit den Ministerpräsidentinnen und -präsidenten der Länder, um zum Thema Flüchtlinge zu beraten. Die Kommunen sind nicht geladen.

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