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Waren schon mal enger: Norbert Röttgen (hier ein Archivbild von 2011) hat Kanzlerin Angela Merkel scharf angegriffen.

© Michael Kappeler/dpa

Kanzlerin in der Krise: Die CDU ist nervös – doch wo ist Merkel?

Erst Merz, jetzt Röttgen: In der CDU verstärkt sich die Kritik an der Kanzlerin. Die bräuchte jetzt Erfolge der Koalition. Doch jeder denkt nur an Profilierung.

Friedrich Merz klingt in seiner Kritik an der von Angela Merkel geführten Bundesregierung („grottenschlecht“) fast moderat im Vergleich zur „New York Times“. „Die Bundesregierung ist gelähmt, gefangen in einer zerstrittenen Zombie-Koalition, handlungsunfähig und nicht bereit zu sterben“, ist in der Zeitung zu lesen.

Der einst von Merkel als Umweltminister entlassene Norbert Röttgen (CDU) wird in dem Artikel so zitiert: „Deutschland ist derzeit ein Totalausfall in allem“. Er könne keine europäische Politik sehen, der Außenminister sei ein Ausfall, „die Kanzlerin weiß alles, tut aber nichts", kritisiert Röttgen, heute Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag. „Es gibt einen Zusammenbruch an Kompetenz und Energie.“

Es brodelt in der CDU, die Frage ist, ob es zur Eruption kommen wird. Das eine ist die Koalitionsfrage und wer die Partei als Kanzlerkandidat in die spätestens 2021 anstehende Bundestagswahl führen soll. Das andere ist der Umgang mit Linken und AfD nach dem vom Wähler bescherten Ergebnis in Thüringen.

Noch vor wenigen Tagen war es Röttgen, der Merz mit anderen Unions-Politikern vorwarf, sich mit seiner Attacke profilieren zu wollen. „Das Verhalten Einzelner war extrem schädlich für die CDU und selbstzerstörerisch“, hieß es in der Erklärung. Merz muss Röttgens Kritik überrascht haben, letztlich verbindet beide doch die gleiche Analyse, wie Röttgen nun via „New York Times“ unterstreicht.

Diese große Koalition wirkt für sie ausgebrannt, aufgerieben und narkotisierend, statt die richtigen Debatten zur Zukunft des polarisierten Landes zu führen. Und die Kanzlerin macht sich rar in einer Phase, da die rechte Hetze immer offener ausgetragen wird, die AfD von Wahlerfolg zu Wahlerfolg eilt. Ein Regierungsmitglied klagt, man mache so viel, Inhalte würden aber kaum durchdringen.

Problem Grundrente: Koalitionsausschuss vertagt

Am Montag sollte der Koalitionsausschuss eine Einigung bei der Grundrente für Geringverdiener erzielen, doch wegen ungelöster Konflikte über den Umfang des Empfängerkreises wurde das Treffen auf den 10. November vertagt. Das Problem der Koalition ist, dass die schlechten Wahlergebnisse Union wie SPD zur Profilschärfung zwingen – was wiederum Kompromisse in der Koalition schwerer macht. Und gerade außenpolitisch fällt das Zeugnis schlecht aus.

Leute wie Merz treibt vor allem um, ob Deutschland mit dieser Regierung gut auf einen Abschwung vorbereitet ist. Was erst, wenn auf einmal die Arbeitslosigkeit wieder steigt und Abstiegsängste sich verstärken? Steuer- und Strukturreformen blieb die Koalition bis auf die weitgehende Soli-Abschaffung schuldig.

Und beim CDU-Parteitag am 22./23. November in Leipzig könnte auch eine besonders brisante Frage diskutiert und Merkel zu entsprechenden Maßnahmen aufgefordert werden: In der Partei wird die Beteiligung des chinesischen Technologiekonzerns Huawei am Aufbau des 5G-Mobilfunknetzes sehr kritisch gesehen – vor allem auch wegen Warnungen von Nachrichtendiensten, die trotz aller Auflagen einen Türöffner für Spionage fürchten. Was Merz beim Parteitag plant, ist noch offen, aber CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer wird aufpassen müssen, dass dort die Dinge nicht außer Kontrolle geraten.

Steinbrück malt Merz die Folgen der SPD-Wahl aus

Merz verfolgte die Ereignisse in den letzten Tagen vor allem von den USA aus, er war an der Harvard Law School zu einem Vortrag eingeladen. Er nutzte die Gelegenheit, um zusammen mit Peer Steinbrück – ebenso wie Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier – einem erstklassigen Konzert des Boston Symphony Orchestra und des Gewandhausorchesters Leipzig in der Boston Symphony Hall zu lauschen.

Steinbrück wie Merz eint das „klare-Kante“-Profil. Der Ex-SPD-Kanzlerkandidat erläuterte dem von einigen als Wunsch-CDU-Kanzlerkandidat gehandelten Merz hinterher beim Bier, was ein Scheitern von Olaf Scholz im Rennen um den SPD-Vorsitz für den Bundesparteitag vom 6. bis 8. Dezember in Berlin und für die Koalition bedeuten könnte. Aber auch wenn Scholz mit Klara Geywitz gewinnt, ist längst nicht mehr ausgemacht, dass es zugleich grünes Licht für eine Fortsetzung der Koalition gibt. Viele Genossen halten ein Ende mit Schrecken (CDU/CSU-Minderheitsregierung oder Neuwahl) für besser als das fortgesetzte Siechtum mit dem ständigen Anstimmen des „Lieds vom Tod“.

Was fordert Merz – und wer unterstützt ihn?

Merz wird wohl in Leipzig das Wort ergreifen, die Frage ist, was er fordert – und wer ihn unterstützt. Er will vor allem eine inhaltliche Debatte anstoßen, ob diese Regierung noch die Kurve bekommen kann. Aber so wie Merkel hat auch Kramp-Karrenbauer schon gezeigt, dass sie Angriffe parieren kann. Doch jeder Tag mehr an Querelen und schlechter Umfragelage macht es schwieriger für sie, die Kanzlerkandidatur zu übernehmen.

Die Union verliert laut einer Emnid-Umfrage für die „Bild am Sonntag“ zwei Punkte auf 27 Prozent, auch die Grünen sacken um zwei Punkte ab auf 18 Prozent. Die SPD liegt bei 16 Prozent, die AfD steigt auf 15 Prozent.

Die schwierige Suche nach Koalitionen

Auch im Bund wird die Koalitionssuche künftig noch komplizierter. In Thüringen pocht der größte Wahlverlierer, CDU-Landeschef Mike Mohring, auf eine Vierer-Minderheitsregierung aus CDU, SPD, Grünen und FDP – diese Koalition hätte noch weniger Stimmen als Rot-Rot-Grün unter Führung des amtierenden Linken-Regierungschefs Bodo Ramelow. CDU-Vizefraktionschef Michael Heym bekräftigt dagegen, eine Zusammenarbeit mit der rechtspopulistischen AfD von Björn Höcke zu prüfen. Die klarsten Worte dazu fand der parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Marco Wanderwitz (CDU): Leute wie Heym hätten in der CDU nichts verloren. „Die AfD ist keine bürgerliche Partei.“

An Bord der Steinmeier-Maschine beim Besuch in Boston war übrigens auch Daniel Ziblatt, Co-Autor des Bestsellers „Wie Demokratien sterben“ – er forscht gerade in Berlin zum Aufstieg und Agieren der AfD. Ziblatt sagte bei der Reise, der Dammbruch für die Demokratie in Deutschland sei jede Koalition oder Zusammenarbeit mit der AfD. Das fange schon bei der kommunalen Ebene an.

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