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Habeck und Baerbock müssen sich ihrer Partei stellen.

© Foto: Getty Images

Die Grünen vor ihrem Parteitag: Die Basis in Bonn wird das Regieren in Berlin nicht leichter machen

Zum ersten Mal seit Kriegsbeginn in der Ukraine stellen sich die Grünen-Minister ihrer Partei. Für Habeck und Baerbock dürfte der Druck steigen.

Robert Habeck ist kurz angebunden. Die Zeiten seien ernst, sagt ARD-Moderator Ingo Zamperoni am Mittwochabend in den Tagesthemen und wirft dem Wirtschaftsminister vor, sich in dieser Lage seit Wochen mit der FDP wegen der AKW-Laufzeiten zu streiten. „Ja, was ist die Frage“, fragt Habeck sichtlich genervt. Ob er das Hick-Hack nicht beilegen wolle, fragt Zamperoni. „Selbstverständlich“, bleibt der Grünen-Politiker einsilbig. Und wie, will der Moderator wissen. „Reden“, sagt Habeck und schaut grimmig.

Der Vizekanzler steht erneut unter maximalem Druck. Aktuell aber nicht nur wegen der Folgen des russischen Angriffskrieges von Wladimir Putin, sondern wegen der FDP – und seiner eigenen Fraktion. Seit Wochen sind sich Liberale und Grüne uneinig, wie und ob die Laufzeiten der verbliebenen drei Atomkraftwerke verlängert werden. Habeck hat vorgeschlagen, die beiden süddeutschen AKW in eine Einsatzreserve bis April 2023 zu nehmen, den dritten Meiler in Niedersachsen aber vom Netz zu nehmen.

Doch nach der Wahlniederlage der Liberalen in Hannover blockiert die FDP einen Gesetzentwurf dazu und drängt stattdessen auf den Kauf neuer Brennstäbe und die Weiternutzung aller AKW. Die Grünen – Parteispitze und vor allem die selbstbewusste Fraktion – lehnen das vehement ab, drohen damit, notfalls alle AKW wie geplant zum Jahreswechsel vom Netz zu nehmen.

Emily Büning ist seit Februar Bundesgeschäftsführerin der Grünen.
Emily Büning ist seit Februar Bundesgeschäftsführerin der Grünen.

© Kay Nietfeld/dpa

Habeck schadet die Hängepartie. Seine enormen Beliebtheitswerte sind abgesackt und könnten noch weiter fallen, wenn im Winter die Lichter ausgehen. Der Streit hat Sprengkraft für die Ampel, mancher spricht schon vom Bruch. Doch viel Verhandlungsraum hat der Vizekanzler nicht, seine Partei hält ihn in der Atomdebatte – anders als bei seiner Gas- und Kohle-Politik – an der kurzen Leine.

Die rote Linie ist für unsere Partei ganz klar

Emily Büning

Auf dem Parteitag der Grünen an diesem Wochenende in Bonn werden die Delegierten wohl der Einsatzreserve zustimmen, aber nur unter klaren Bedingungen: kein Kauf neuer Brennelemente, maximaler Weiterbetrieb bis zum 15. April und auch nur von den beiden süddeutschen Meilern. „Die rote Linie ist für unsere Partei ganz klar“, betonte Bundesgeschäftsführerin Emily Büning vor dem Treffen ihrer Partei.

Dass Habeck wenige Tage nach dem Parteitag einen Entschluss wieder brechen könnte, gilt als ausgeschlossen. Und so wird seit Tagen mit FDP-Chef Christian Lindner und Bundeskanzler Olaf Scholz verhandelt. Eine Lösung scheint niemand zu sehen.

Nicht nur wegen der aufgeheizten Atomdebatte, über die am Freitagabend abgestimmt wird, wartet auf Habeck ein schwieriger Parteitag. Zum ersten Mal seit Beginn des Ukraine-Krieges kommt die Partei zusammen. Erstmals seit 2019 wird es ein Präsenz-Parteitag mit 800 erwarteten Delegierten und rund 1000 Gästen geben. Drei Tage soll Zeit sein, über dringende Themen zu sprechen. Die Parteispitze, vor allem Habeck, hat der Basis in den vergangenen Monaten viel zugemutet. Der Wirtschaftsminister ist weltweit auf Shoppingtour für Flüssigerdgas (LNG) gegangen, lässt LNG-Terminals an der deutschen Küste bauen, hat alte Kohlekraftwerke aus der Reserve geholt.

Ich hätte mir einen anderen Ausgang der Entscheidung gewünscht, das Ergebnis ist bedauerlich

Julian Pahlke

Verantworten wird er sich vor allem für seine Entscheidung, das Braunkohledorf Lützerath abbagern zu lassen. Im Gegenzug wird der Kohleausstieg im rheinischen Revier um acht Jahre vorgezogen, doch die eigene Parteijugend geht auf die Barrikaden. Mit einem Dringlichkeitsantrag wollen sie erreichen, dass RWE dazu gebracht wird, Kohle aus tieferen Schichten abzubaggern. Das wäre zwar deutlich teurer, würde aber das Symbol der Klimaaktivisten bewahren. Auch aus der Bundestagsfraktion kommt Kritik an Habecks Deal: „Ich hätte mir einen anderen Ausgang der Entscheidung gewünscht, das Ergebnis ist bedauerlich“, sagt der Grünen-Abgeordnete Julian Pahlke.

Auch für die LNG-Terminals, die Habeck im Eiltempo und mit reduzierter Umweltschutzprüfung bauen lässt, muss sich der Wirtschaftsminister stellen. Der stramm linke Kreisverband aus Friedrichshain-Kreuzberg fordert den sofortigen Baustopp der Terminals an Nord- und Ostsee. Mehr Erfolg wird einem Antrag zugetraut, der fordert, dass die Terminals bereits 2030 technisch für den Import für grünen Wasserstoff genutzt werden können. Für die beteiligten Unternehmen pikant, schließlich hoffen sie auf dicke Gewinne nach ihren Investitionen. Und auch bei der Förderung von Fracking-Erdgas in Deutschland wird die Partei ihrem Vizekanzler nochmal Zügel anlegen. Das bestehende Verbot soll nochmals bekräftigt werden – sicher ist sicher. 

Auch Außenministerin Annalena Baerbock muss sich ihrer Partei stellen. Eine Gruppe pazifistischer Grünen-Mitglieder fordert von ihr, sich für einen Waffenstillstand in der Ukraine einzusetzen. „Schnellstmöglich müssen Vorbereitungen für einen international abgestimmten und multilateral getragenen Verhandlungsprozess beginnen“, heißt es in dem Antrag. Ein anderer Antrag, der von zahlreichen Abgeordneten aus dem Bundestag und dem Europaparlament gestützt wird, kritisiert die Außenministerin hart für ihre Zusage von Waffenlieferungen an Saudi-Arabien – trotz einer klaren Ablehnung im Ampel-Koalitionsvertrag.

Wir dürfen nicht zulassen, dass das Ende des Monats gegen das Ende des Jahrzehnts gegeneinander ausgespielt wird.

Sarah-Lee Heinrich

Die Themen auf dem Parteitag sind vielfältig, mehr als 300 Änderungsanträge hat die Basis eingebracht. Auch über einen Untersuchungsausschuss zur Nordsee-Pipeline Nord Stream II, einen Abschiebestopp in den Iran und eine Reform zum Schutz kritischer Infrastruktur soll abgestimmt werden. „Anders als die CDU können und wollen wir uns nicht vorrangig mit uns selbst beschäftigen“, sagte Büning mit Blick auf den Parteitag der Konservativen vor einigen Wochen, bei der hitzig um eine Frauenquote in der Partei gestritten worden war. „Wir verhandeln die großen und schwierigen Fragen unserer Zeit“, so Büning. 

Angesichts der multiplen Krisen wollen viele Grüne auch das linke Profil der Partei schärfen. Der Grünen Jugend gehen die Entlastungen der Ampel-Koalition nicht weit genug. „Von dem Parteitag muss das Signal ausgehen, dass wir uns für eine soziale Krisenbewältigung einsetzen“, sagt Sarah-Lee Heinrich, Sprecherin der einflussreichen Jungendorganisation.

Sie fordert eine Bafög-Erhöhung von 100 Euro, auch die Mindestausbildungsplatzvergütung soll sofort um 100 Euro steigen. Die Grünen müssten Klimaschutz und Sozialpolitik zusammenbringen, findet Heinrich: „Wir dürfen nicht zulassen, dass das Ende des Monats gegen das Ende des Jahrzehnts gegeneinander ausgespielt wird.“

In einem weiteren Antrag unterstützt die Grüne Jugend Bestrebungen von Teilen der Berliner Grünen, die sich für einen Mietenstopp für Städte mit angespanntem Wohnungsmarkt aussprechen. Bei den Grünen dürfte das auf Sympathie stoßen - ganz anders bei der marktliberalen FDP. Der Parteitag in Bonn dürfte das Regieren in Berlin nicht leichter machen.

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