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Mit einem Plakat sprechen sich Demonstrantinnen für die Abschaffung des Paragrafen 219 und 218 aus.

© Boris Roessler/dpa

Streit um Paragraf 219a: Die Revolte ist vertagt

Der Kompromiss im Streit um Paragraf 219a verschafft der Regierung eine kurze Verschnaufpause. Im neuen Jahr könnte der Streit jedoch von vorne beginnen.

Eine „Nullnummer“ sei der Kompromiss zum Strafgesetzbuch-Paragraf 219a, den die Regierung diese Woche ausgehandelt hat. Das sagt die, die den Streit um den umkämpften Gesetzesabschnitt mit in Gang gesetzt hat: die Gießener Frauenärztin Kristina Hänel. Auf ihrer Webseite findet sich der nüchterne Hinweis „Schwangerschaftsabbruch“ als ärztliches Angebot. Die Gerichte sehen darin eine Straftat und verurteilten Hänel zu einer Geldstrafe. Eine Revision steht noch aus.

Möglich jedoch, dass Ärzte wie Hänel künftig nicht mehr so schnell „kriminalisiert“ werden, wenn die Einigung von Union und SPD zum Gesetz wird. Die Regierung will Paragraf 219a ergänzen. Wie genau, ist offen. Doch es soll ausformuliert werden, „dass und wie Ärztinnen und Ärzte sowie Krankenhäuser über die Tatsache informieren können, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen“. Bisher ist es bereits strafbar, den Eingriff nur anzukündigen oder anzubieten. Die Bundesregierung will jetzt für mehr „Rechtssicherheit“ sorgen.

Mit anderen Worten: Kliniken und Ärzten, die sich an die Vorgaben halten, drohen keine Sanktionen mehr. Echte Werbung, also das Anpreisen der Leistung, bleibt jedoch verboten. Kritiker befürchten allerdings, dass Abtreibungsgegner auch weiterhin versuchen werden, Ärzte vor Gericht zu zerren – auch wenn die sachlich über Abtreibungen aufklären.

Sicherung des Informationsbedürfnisses

Informationsarbeit ist der zweite zentrale Punkt des Groko-Kompromisses. Demnach sollen auch staatliche oder staatlich beauftragte Stellen künftig zum Thema informieren. Bundesärztekammer und die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung sollen Listen mit „Kontaktinformationen“ bereitstellen.

Hier gibt es Mängel. Im Frühjahr zeigte eine Tagesspiegel-Umfrage, dass manchen Bundesländern bislang die Übersicht fehlt, wo Frauen einen Schwangerschaftssabbruch vornehmen lassen können – obwohl sie laut Gesetz ein „ausreichendes Angebot“ bereithalten müssen.

Ärztepräsident Frank-Ulrich Montgomery ist dennoch überzeugt, „dass wir das Informationsbedürfnis von Frauen und Paaren in Notlagen sichern können“, wie er am Donnerstag im „Deutschlandfunk“ sagte. Die Groko-Einigung könne eine echte Hilfe für betroffene Frauen sein. Das bezweifelt der Verbund „Pro Familia“, ein Zusammenschluss von Beratungsstellen für Schwangere.

Mit Adresslisten sei es bei weitem nicht getan, sagte Sprecherin Regine Wlassitschau dem Tagesspiegel. „Unsere Erfahrung aus der Beratung zeigt, dass Frauen weitergehende Informationen benötigen“, heißt es in einer Erklärung von „Pro Familia“. Dazu zähle die Frage, „nach welcher Methode der Abbruch durchgeführt wird, wie der Ablauf ist und wie die Haltung der Praxis beziehungsweise der Klinik zum Schwangerschaftsabbruch aussieht“.

Ob solch detaillierte Informationen künftig als „Werbung“ verboten bleiben, wird sich erst im neuen Jahr zeigen. Dann sollen die jetzt vorgelegten Eckpunkte der Groko in einen Gesetzestext umgewandelt werden. Im Januar wollen sich die Bundestagsfraktionen von Union und SPD mit dem Thema befassen.

Ende einer Bewährungsprobe?

Bis dahin bedeutet die Einigung für die Groko-Parteien eine kurze Verschnaufpause. Für CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer war der Streit um 219a der erste Praxistest im neuen Amt. Aus CDU-Sicht hat sie ihn bestanden. Denn nach eigener Interpretation haben sich die Konservativen gegen die Sozialdemokraten durchgesetzt. Zwar wollten CDU und CSU den Paragrafen 219a unverändert lassen – und jetzt soll er dennoch ergänzt werden. Aber: „Das Werbeverbot bleibt“, heißt es in der Union. Und das sei das Wichtigste.

Der Schutz des ungeborenen Lebens habe für die CDU eine „überragende Bedeutung“, teilte Kramp-Karrenbauer am Donnerstag bei Twitter mit. Eine Bewährungsprobe ist 219a auch für SPD-Chefin Andrea Nahles. Viele Genossen nehmen ihr übel, dass sie das Thema aus Rücksicht auf die Union im Frühjahr von der Tagesordnung nahm – obwohl es im Bundestag eine Mehrheit für die Abschaffung des Paragrafen gegeben hätte.

Die wollen viele in der SPD, vom Parteivorstand über die Jusos bis zur „Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen“ (AsF). Sie könne dem Kompromiss „niemals zustimmen“, betonte AsF-Chefin Maria Noichl am Donnerstag.

Sonst blieb es in der Partei auffällig ruhig. Selbst die Drohungen einzelner Bundestagsabgeordneter, zusammen mit der Opposition die Koalitionsmehrheit zu sprengen, sind verstummt. Die Revolte der 219a-Gegner in der SPD ist vertagt. Es ist aber gut möglich, dass der Streit im neuen Jahr von vorne beginnt.

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