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Nach der Wahl herrscht in Griechenland Ratlosigkeit, wie eine Regierung zu Stande kommen soll

© AP

Griechenland: Die Wut, die Wahl, die Reue

Nach der Parlamentsabstimmung herrscht in Griechenland Katerstimmung – viele Wähler bedauern ihr Protestvotum.

Vassilis wirkt aufgewühlt. Unruhig und ziellos läuft er in seiner Autowaschanlage an der Vouliagmenis Avenue im Athener Vorort Glyfada auf und ab. „Das ist verzwickt wie ein Sudoku“, sagt er, „man knobelt und knobelt, aber die Zahlen passen nicht!“ Vassilis redet vom Ergebnis der griechischen Parlamentswahl. Seinen Nachnamen will er nicht nennen, und auch nicht den Namen der Partei, die er am vergangenen Sonntag gewählt hat. Aber es war wohl eine der radikalen Gruppierungen. Denn Vassilis sagt: „Wir wollten ihnen doch nur einen Denkzettel verpassen!“ Damit dürfte er die Traditionsparteien meinen, die Sozialisten von der Pasok und die Konservativen der „Neuen Demokratie“, die das Land seit fast vier Jahrzehnten abwechselnd regierten, es mit ihrer Schuldenpolitik vor die Wand gefahren haben und in der Wahl brutal abgestraft wurden. „Und jetzt das“, sagt Vassilis händeringend, „ein Patt!“ Es klingt verzweifelt. Es klingt nach Reue.

Der nächste Kunde fährt an der Waschanlage vor. Vassilis beschäftigt zwei junge Pakistaner, die sich mit Hochdruckreinigern an die Vorwäsche machen, bevor der Wagen in die Waschstraße rollt. Aber um sich abzureagieren, greift Vassilis heute sogar selbst zum Schwamm, um Autofelgen zu reinigen. Sonst liest Vassilis meist Zeitung, während die Pakistaner schuften. „Albtraum Unregierbarkeit“ lautet die Titelschlagzeile der Zeitung „Ta Nea“, die in Vassilis’ Büro liegt.

Auch Dimitris Galanos macht sich Sorgen. Er trinkt im „Da Capo“ am Athener Kolonakiplatz seinen Kaffee und blättert in der Zeitung. „Wer zahlt nächsten Monat meine Rente?“, fragt der 72-jährige Pensionär. Schon Ende Juni könnte dem Staat das Geld ausgehen, wenn die Hilfskredite versiegen, hat Galanos gerade in der Wirtschaftszeitung „Imerisia“ gelesen. Er ist gar nicht zur Wahl gegangen – seine Art des Protests. Jetzt bedauert er, nicht doch eine der proeuropäischen Parteien gewählt zu haben.

In einer Entfernung von rund 1800 Kilometern Luftlinie in nordwestlicher Richtung steht derweil Martin Schulz im ersten Stock des Reichstagsgebäudes und sucht ebenfalls nach Antworten, nachdem sich die Lage nach der Wahl in Griechenland noch einmal zugespitzt hat. Der Chef des EU-Parlaments ist nach Berlin gekommen, um Parlamentspräsident Norbert Lammert seinen offiziellen Antrittsbesuch abzustatten. Nein, sagt Schulz, er kenne Alexis Tsipras nicht, der an diesem Dienstag in Athen der Mann der Stunde ist, weil der Chef des Bündnisses der radikalen Linken inzwischen das Mandat zur Bildung einer Regierung in Händen hält. Er plane eine Reise nach Athen, und dabei wolle er versuchen, den 37-jährigen Alexis Tsipras von einem „Trugschluss“ abzubringen. Anders als der Chef der Syriza-Partei annehme, werde Griechenland keineswegs von der EU geknechtet, erklärt der EU-Parlamentschef. Allerdings zeige der Ausgang der Wahl vom vergangenen Sonntag, „dass diese Botschaft noch nicht angekommen ist“.

Der Parlamentschef aus Brüssel hat auch eine Idee, wie im Athener Parlament eine Mehrheit zugunsten der Auflagen der internationalen Geldgeber doch noch zustande kommen könnte. Er schlägt eine nachhaltige Wachstums- und Beschäftigungsstrategie vor, die konkrete Maßnahmen für Griechenland beinhalten könnte. Um eine solche Strategie müsse der europäische Fiskalpakt, der die EU-Staaten zur Schuldenbegrenzung zwingen soll, ergänzt werden. An den Bedingungen des Memorandums der Geldgeber, das am Sonntag nicht zuletzt zum Erfolg der Parteien am rechten und linken Rand geführt hat, will Schulz allerdings nicht rütteln: „Der Grundsatz gilt, dass Verträge einzuhalten sind.“

Auch die Europäische Zentralbank (EZB) warnte am Dienstag: „Griechenland muss klar sein, dass es zu diesem vereinbarten Sanierungsprogramm keine Alternative gibt, wenn es Mitglied der Euro-Zone bleiben will“, sagte EZB-Direktoriumsmitglied Jörg Asmussen im Handelsblatt.

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