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Dietmar Bartsch

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Dietmar Bartsch zu Rot-Rot-Grün und Sigmar Gabriel: "Dieses Pferd ist tot"

Der Vizevorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Dietmar Bartsch, fordert ein Mitte-Links-Bündnis im Bund. An der Außenpolitik werde das nicht scheitern. Zu Gregor Gysi fällt ihm eher Historisches ein.

Von
  • Matthias Meisner
  • Hans Monath

Herr Bartsch, vor kurzem hat sich SPD-Chef Sigmar Gabriel mit den Parteichefs der Linken getroffen – genauso geheim wie 1995 der damalige SPD-Chef Oskar Lafontaine mit Gregor Gysi von der PDS. Was hat sich seit bald 20 Jahren im Verhältnis von SPD und Linken geändert?

Es galt 1995 noch der Beschluss der SPD, wonach sie auf keiner Ebene mit der PDS zusammenarbeiten wolle. Allein daran sieht man, wie fundamental die Veränderung ist. Die SPD hoffte, die PDS werde sich erledigen – ein Irrtum, wie sich herausgestellt hat. Die Linkspartei ist ein fester Bestandteil des deutschen Parteiensystems. Sie hat Deutschland über die Jahre in zentralen Punkten verändert. Wir haben als Erste den Mindestlohn gefordert. Wir haben als Erste verlangt, den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr zu beenden. Da können wir stolz sein.

War das Treffen Gabriels mit Ihren Parteichefs eine wichtige Lockerungsübung oder eine Alibiveranstaltung?

Es ist gut, dass sie miteinander geredet haben. Aber es herrscht ja nicht Funkstille zwischen der SPD und der Linkspartei. Auch ich habe mich gelegentlich mit Sigmar Gabriel getroffen. Das ist bekannt. Natürlich hat ein Treffen der Parteichefs eine andere Qualität, aber das ist kein Durchbruch, sondern Normalität. Die aktuelle Situation ist aber die: Die SPD hat sich für eine große Koalition entschieden. Das ist ein gutes halbes Jahr her. Die Linkspartei wird nun ihre Aufgabe als Oppositionsführerin ausfüllen. Ich messe die SPD nicht an ihren Ankündigungen, sondern an ihren Taten. Da geht es auch darum, was demnächst auf kommunaler und Landesebene passiert.

Was sind die Voraussetzungen für eine Koalition von SPD und Linkspartei im Bund?

Es müssen drei Voraussetzungen gegeben sein. Erstens muss es eine Art „Merkel muss weg“-Stimmung geben. Die Kanzlerin hat ihren Zenit überschritten, das sehen mehr und mehr Menschen so. Zweitens reicht es nicht allein, Prozentzahlen von Parteien zu addieren. Wir brauchen Lösungen für gesellschaftliche Probleme, die den Menschen unter den Nägeln brennen. Grundlage des rot-grünen Wahlsiegs 1998 waren die Forderung „Kohl muss weg“ und Projekte wie etwa der Atomausstieg. Wir müssen solche Projekte für 2017 entwickeln. Schließlich brauchen wir einen Unterbau von politischen Bündnissen von SPD, Linkspartei und gegebenenfalls Grünen in den Ländern und Kommunen. Das muss von unten wachsen.

Das klingt, als ob Sie gar nicht mehr an diese Option glauben.

Nach der Wahl 2013 gab es die rechnerische Option Rot-Rot-Grün, aber es fehlten viele Bedingungen. Dieses Pferd ist tot, es wird auch so nicht wieder lebendig. Wenn es eine Zusammenarbeit geben soll, müssen wir ein neues Pferd satteln. Ich spreche übrigens nicht von Rot-Rot-Grün. Was wir brauchen, ist ein Mitte-Links-Bündnis.

Bodo Ramelow
"Ein linker Ministerpräsident wäre ein historischer Einschnitt", sagt Dietmar Bartsch - und wirbt für seinen thüringischen Parteifreund Bodo Ramelow

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Im Herbst könnte die SPD nach der Landtagswahl in Thüringen vor der Entscheidung stehen, ob sie einen Ministerpräsidenten der Linkspartei ins Amt wählt. Wird sie das tun?

Ich halte das für möglich. Das schwarz-grüne Regierungsbündnis in Hessen hat der SPD vor Augen geführt, dass die CDU den Bündnispartner wechseln kann. Deshalb muss die SPD daran interessiert sein, eine Machtoption jenseits der Union zu behalten. Die Wahl zum Erfurter Landtag ist natürlich besonders spannend. Im Herbst ist aber auch nicht unerheblich, ob Rot-Rot in Brandenburg fortgesetzt wird.

Wer entscheidet in der SPD, ob es einen linken Ministerpräsidenten gibt, die SPD in Erfurt oder die Parteispitze in Berlin?

Die SPD wird mit fester Stimme sagen, das werde in Erfurt entschieden. Aber das wird wohl maßgeblich in Berlin entschieden. Wenn die SPD sich in Thüringen wieder für die Juniorpartnerrolle in einer CDU-geführten Regierung entscheiden würde, hätte das für sie im gesamten Osten katastrophale Auswirkungen.

Dass die Thüringen-SPD zögert, weil sie sich von einer übermächtigen Linkspartei gedemütigt sieht, spielt keine Rolle?

Was ist das denn für ein Argument? Wie groß ist denn die Demütigung in Baden-Württemberg? Es ist nun mal so, dass es in den neuen Ländern nicht außergewöhnlich ist, dass wir stärker als die SPD sind. Hier geht es nicht um Demütigung, es geht um Politik. Ich weiß überhaupt nicht, wieso man diese Frage stellen kann.

Ein linker Ministerpräsident in einem Bundesland, das wäre…

Das wäre ein historischer Einschnitt. Aber soweit ist es noch nicht.

Wird Deutschland unberechenbar, wenn die Linke im Bund mitregiert?

Nein.

Sie wollen aber die Auslandseinsätze beenden.

Ja. So groß ist die Kluft zwischen Linkspartei und SPD in dieser Frage allerdings nicht. In der SPD mehren sich die skeptischen Stimmen zu Auslandseinsätzen. Der Drang danach, deutsche Soldaten in jeden Konflikt der Welt zu schicken, ist nicht sonderlich ausgeprägt. Mir kann niemand erklären, warum wir zum Beispiel zwingend in Mali militärisch intervenieren müssen.

Der deutsche Außenminister, der sich für eine aktivere deutsche Außenpolitik ausgesprochen hat, ist Sozialdemokrat.

Ich bin auch für eine aktivere deutsche Außenpolitik. Aber ich bin dagegen, das auf das Militärische zu beziehen. Ich bin für mehr Verantwortung, aber das heißt doch nicht, mehr deutsche Soldaten in der Welt, aber z.B. mehr für Entwicklungspolitik. An der Außenpolitik wird eine Koalition von SPD und Linkspartei 2017 nicht scheitern. In anderen Politikfeldern gibt es viel größere Unterschiede, zum Beispiel in der Finanz-, Wirtschafts-, Haushalts- und Sozialpolitik. Das sind die eigentlichen Klippen.

Ihr Nein zu Auslandseinsätzen würde doch heißen, die Linke zieht die Soldaten von überallher zurück?

Mal sehen, wie viele Auslandseinsätze es dann überhaupt noch gibt. Auch die Linkspartei wird internationale Verträge einhalten müssen. Von Deutschland zugesagte Einsätze im Rahmen von UN-Mandaten kann keine Bundesregierung von einem Tag auf den anderen abbrechen. Entschieden wird dann, wenn im Bundestag die Verlängerung von solchen Einsätzen ansteht. Es geht immer um den Einzelfall. Eine große Mehrheit der Deutschen ist gegen ein stärkeres militärisches Engagement. Wir sind die Partei in Deutschland, die diesen Menschen eine Stimme gibt. Das ist doch gut.

Konkret zur Ukraine: Die Duma hat auf Wunsch Putins dessen Ermächtigung für einen Militäreinsatz im Nachbarland zurückgenommen. Wirken die EU-Sanktionen?

Das hat mit den EU-Sanktionen nichts zu tun. Aber es ist erfreulich, dass überhaupt der Begriff Waffenstillstand in den Mund genommen wird. Und es ist gut, dass Putin sich diese Ermächtigung hat nehmen lassen. Ich sehe ermutigende Signale, dass es zu einer friedlichen Lösung kommt.

Kommen Sie bei der Russland-Politik leicht mit der SPD auf einen Nenner?

Bei dieser Frage gibt es im Bundestag sehr unterschiedliche Positionen, wenn man genauer hinsieht, auch bei der SPD. Ich denke da längst nicht nur an Altkanzler Schröder. In der CDU ist das ähnlich, auch bei den Grünen.

Gerade beim Thema Ukraine sind Grüne und Linke hart aneinander geraten. Haben Sie erwartet, dass sich das Verhältnis zwischen den beiden Oppositionsparteien so kompliziert entwickelt?

Ich habe mit Grünen durchaus positive Erfahrungen gemacht. Wo es notwendig ist, arbeiten wir gut zusammen. Dennoch: Es ist klar, dass wir beide Opposition sind, aber gleichzeitig im Wettbewerb miteinander stehen.

Gregor Gysi und Dietmar Bartsch
"Er wird mit großen Verdiensten in die Geschichte eingehen". Linken-Politiker Gysi, Bartsch 2010

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Wie wichtig ist Gregor Gysi für die Linke?

Ohne ihn würde es die Linke in dieser Form nicht geben.

Das ist jetzt ein historisches Lob…

Ich fange ja erst an. Ohne ihn wäre die Partei nicht da, wo sie heute steht. Gemeinsam mit Bisky und Lafontaine hat Gregor Gysi die Fusion zur Linkspartei politisch vorangebracht. Er wird mit großen Verdiensten in die Geschichte eingehen. Und jetzt ist er Fraktionsvorsitzender.

An den jüngsten Verwerfungen um das „No-Go-Papier“ war zu sehen, wie leicht die Linke aus der Ruhe zu bringen ist. Wie gefestigt ist Ihre Partei?

Messbar ist so etwas vor allem an Wahlergebnissen. Wir hatten zwischen 2008 und 2010 einen Höhenflug, den Aufbruch der neuen Partei. Damals hatten wir Themen, die uns zusammengeführt haben, beispielsweise den Mindestlohn. Jetzt fehlt es an solchen zugespitzten neuen Ideen. Unser Defizit ist strategischer Natur: Womit gewinnen wir die Wahl 2017? Natürlich sind No-Go-Papiere inakzeptabel. Aber das ist nicht das zentrale Problem. Wichtig ist, dass die Partei politisch und strategisch zusammengeführt wird.

Mit welchen Angeboten zum Beispiel?

Ein Beispiel: Wir werden uns um die ungleiche Einkommens- und Vermögensentwicklung kümmern. Die SPD hat in ihrem Wahlprogramm viel versprochen, tut aber als Regierungspartei gar nichts, um die wachsende Schere zwischen Arm und Reich zu schließen. Wir werden Antworten geben, das ist für die Linkspartei eine Riesenchance und Aufgabe.

Dietmar Bartsch (56) ist stellvertretender Vorsitzender der Linksfraktion im Bundestag. Gemeinsam mit Sahra Wagenknecht gilt der Pragmatiker in einer Doppelspitze als Anwärter für die Nachfolge von Gregor Gysi, wenn im Herbst 2015 eine neue Fraktionsführung gewählt wird. Offen ist, ob Gysi sich dann bereits zurückzieht. Das Gespräch führten Matthias Meisner und Hans Monath.

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