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Cameron ist erzürnt. Der britische Premierminister auf der Pressekonferenz in Brüssel.

© AFP

EU-Kommission fordert Nachzahlung: David Cameron will keine zwei Milliarden zahlen

Die EU-Kommission fordert zum 1. Dezember zwei Milliarden Euro Nachzahlung von den Briten. Doch Regierungschef David Cameron will nicht zahlen - jedenfalls nicht sofort.

Die Parallele zur Eisernen Lady Margaret Thatcher, die einst mit dem berühmten Satz „I want my money back“ den Britenrabatt im EU-Haushalt bekam, ist sicherlich beabsichtigt gewesen. Ihr Nachfolger David Cameron tat es ihr am Freitag beim Brüsseler Gipfel der Staats- und Regierungschefs gleich: „Ich zahle diese Rechnung nicht“, rief er Journalisten in einer Wutrede zu, in der er auf eine am Vorabend bekannt gewordene Nachzahlungsforderung der EU-Kommission reagierte. „Wir werden nicht plötzlich unser Scheckbuch herausholen und einen Scheck über zwei Milliarden Euro schreiben. Das wird nicht passieren“, so der sichtlich verärgerte Premier weiter.
Hintergrund ist ein Schreiben der Brüsseler Behörde an die Londoner Schatzkanzlei. Darin wird die Regierung darüber informiert, dass sie einer ersten Schätzung zufolge bis zum 1. Dezember etwa 2,1 Milliarden Euro an die EU-Kasse nachschießen muss.
Es gehört zur Brüsseler Routine, dass in jedem Herbst die Beitragszahlungen der Mitgliedstaaten dahingehend überprüft werden, ob sie noch der ursprünglich prognostizierten Wirtschaftsleistung entsprechen, die bei der Berechnung der jeweiligen Zahlungen zugrunde gelegt wird. So sollen etwa auch die Niederlande, Griechenland und Italien etwas nachzahlen, während Deutschland und Frankreich für 2014 eine Rückzahlung erwarten können. „Ich bin nicht gegen Anpassungen hier und da, bei denen man mal ein bisschen mehr, mal ein bisschen weniger zahlen muss“, sagte Cameron. Doch sei es „eine völlig unakzeptable Arbeitsweise für diese Organisation“, ohne Vorwarnung eine solche Rechnung zu präsentieren. Er setzte bei seinen Kollegen ein baldiges „Krisentreffen“ der EU-Finanzminister durch.

Neue Berechnungsmethode bei der Wirtschaftsleistung - auch Prostitution zählt

„Im Fall von Großbritannien und den Niederlanden ist das Bruttoinlandsprodukt 2014 wesentlich höher gewesen, als sie selbst zu Jahresanfang dachten, also wird ihr Beitrag erhöht“, sagte der Sprecher des derzeit amtierenden EU-Haushaltskommissars Jacek Dominik. Hinzu kommt, dass gerade erst eine neue – allerdings gemeinsam vereinbarte – Berechnungsmethode für die Wirtschaftsleistung zur Anwendung gekommen ist. Sie berücksichtigt auch die weniger schönen Seiten einer Volkswirtschaft wie die Prostitution, Glücksspiel oder Schwarzarbeit.

Der SPD-Europaabgeordnete Jens Geier sprach von „populistischen Empörungen“, wenn sich die britische Regierung weigere, von ihr selbst zuvor unterstützte Regeln einzuhalten: „Pizza bestellen und dann nicht bezahlen wollen, das geht nicht.“
Doch Cameron steht unter Druck. In der Ratssitzung, die er wegen es Themas eigens unterbrach, hielt er dem scheidenden Kommissionschef José Manuel Barroso laut Diplomaten vor, dieser habe „keine Ahnung“, was er mit derartigen Zahlungsaufforderungen anrichte. „Das ist keine Summe, das ist eine tödliche Waffe“, zitierte der britische Premier seinen italienischen Amtskollegen Matteo Renzi in Bezug auf den Brüsseler Brief. Britische Diplomaten erklärten Camerons Frust auch damit, dass der von Seiten der United Kingdom Independent Party (Ukip) angegriffene Cameron bei den anderen Gipfelthemen Klima und Ebola seine Forderungen durchgesetzt hatte, was nun aber vom Budgeteklat überlagert worden sei. „Ist das hilfreich dabei, Großbritannien in der EU zu halten?“, wiederholte Cameron die Frage eines Journalisten, um sie auch gleich zu beantworten: „Nein, das ist es ganz sicher nicht.“

Ukip könnte weiteren Parlamentssitz gewinnen

Unterdessen ließ sich in Großbritannien der Chef der Ukip, Nigel Farage, die Chance nicht entgehen, die Brüsseler Rückzahlungs-Aufforderung genüsslich aufzugreifen. Die Forderung der EU-Kommission sei „empörend“, sagte Farage. Der Ukip-Vorsitzende verglich die EU mit einem „durstigen Vampir“, der vom Blut der britischen Steuerzahler lebe.
Cameron steht unter erheblichem Druck der Ukip und EU-kritischer Hinterbänkler in der eigenen Tory-Fraktion im Unterhaus. Bei der Europawahl im Mai war die Ukip zur stärksten Kraft in Großbritannien geworden. Dass dahinter mehr steckt als eine Laune der britischen Wähler, wurde Anfang des Monats deutlich, als der erste Ukip-Abgeordnete bei einer Nachwahl ins Unterhaus einzog – ein böses Omen für die Parlamentswahl im kommenden Mai. Auch bei der nächsten Nachwahl am 20. November im Wahlkreis Rochester and Strood südöstlich von London deuten Meinungsumfragen auf einen Erfolg der Ukip in.
Angesichts der Brüsseler Milliarden- Forderungen und der EU-feindlichen Stimmung im eigenen Land befindet sich Cameron in der Zwickmühle. Noch im Juli hatte der Regierungschef versucht, mit einer Regierungsumbildung das Vertrauen der Wähler zurückzugewinnen – bislang ohne durchschlagenden Erfolg. „Jede einzelne der Strategien, die der Regierungschef mit Blick auf die EU angewandt hat, ist fehlgeschlagen“, stichelte Ukip-Chef Farage am Freitag. Cameron stehe nun vor der Wahl, noch vor der Parlamentswahl im Mai ein Referendum über den Verbleib Großbritanniens in der EU abzuhalten oder die Unterhauswahl zu verlieren. Cameron plant hingegen ein EU-Referendum erst für das Jahr 2017. Zuvor will er bei Verhandlungen mit den EU-Partnern eine Rückverlagerung von Zuständigkeiten von Brüssel nach London erreichen.

Kalkulierter Wutausbruch

Mit seinem Wutausbruch in Brüssel hat Cameron denjenigen Parteifreunden einen Gefallen getan, die von ihm einen noch härteren Kurs gegenüber der EU erwarten. Allerdings ließ sich Premier ein Hintertürchen offen. Zwar erklärte er, dass er die Zwei-Milliarden-Euro-Rechnung nicht bis zum 1. Dezember bezahlen werde. Eine spätere Überweisung nach Brüssel schloss er aber nicht aus.

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