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Sebastian Fiedler, SPD-Bundestagsabgeordneter und Ex-Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, hält die Umwelt-Kriminalität für unterschätzt.

© Imago/Jürgen Heinrich

Europaweite Razzia gegen die ’Ndrangheta: „Für die Mafia ist Deutschland attraktiv“

Der SPD-Innenexperte und frühere Chef des Bundes Deutscher Kriminalbeamter über den Schlag gegen die ‘Ndrangheta-Mafia. Und warum Umwelt-Kriminalität zu kurz kommt.

Mit mehr als 1000 Beamten ist die Polizei am Mittwoch gegen Mitglieder der italienischen Mafia ’Ndrangheta in Deutschland vorgegangen. Was steckt dahinter?
Die italienische Mafia und gerade die ’Ndrangheta ist ein global agierender krimineller Konzern mit einem Umsatz eines „Global Players“. Die Aufgabe der Mafia-Bekämpfung also lautet: Zerschlage einen global agierenden Konzern!

Was sind die Auswirkungen der ’Ndrangheta-Aktivitäten in Deutschland?
Wir haben hier ein extremes Rauchgift-Problem, was auf den Aktivitäten unter anderem der ‘Ndrangheta beruht. Sie ist globalen Kokain-Geschäft erfolgreich unterwegs. In Deutschland haben wir eine Kokain-Schwemme, mit massiven negativen Gesundheitsfolgen. Obwohl ständig große Mengen Kokain sichergestellt werden, ändert sich der Marktpreis nicht. So wurden 2021 an norddeutschen Häfen 19 Tonnen Kokain sichergestellt, in Antwerpen 110 Tonnen.

Was treibt die ’Ndrangheta außerdem in Deutschland?
Fast schon traditionell ist Deutschland für die Mafia ein beliebter Ort zur Geldwäsche. Bargeld-intensive Kleinbetriebe wie Restaurants und Eisdielen werden dazu genutzt, Gelder aus kriminellen Geschäften zu waschen. Außerdem ist Deutschland als Ruhe- und Rückzugsraum für die Mafia attraktiv.

Sie verweisen auf eine Europol-Schätzung, wonach es bis zu 5000 Gruppierungen der Organisierten Kriminalität in Europa gibt. Welche Bedeutung hat die ’Ndrangheta in diesem Spektrum?
Eine große. Deshalb verwies ich auf den Umsatz, der sich auf Niveau von Weltkonzernen bewegt. Einer italienischen Universität zufolge setzt die ’Ndrangheta bis zu 50 Milliarden Euro pro Jahr um. Daran erkennen Sie, dass es sich um einen Big Player handelt. Sie haben seit Jahrzehnten etablierte Strukturen und Erfahrungen. Längst hat die Mafia eine Evolutionsstufe erreicht, wo sie nach Möglichkeiten auf Gewalttaten verzichtet. Wie seit jeher mag sie es nicht, dass über sie geredet wird. 

Wie bewerten Sie das, was Sie bisher über den Einsatz am Mittwoch wissen?
Es handelt sich wohl um einen Erfolg, an dem man erkennen kann, dass Spezialisierungen sinnvoll sind, wie die neue zentrale Stelle zur Bekämpfung Organisierter Kriminalität „ZEOS“, die vor zwei Jahren bei der Staatsanwaltschaft in Nordrhein-Westfalen eingerichtet wurde; übrigens hinter dem Rücken des NRW-Innenministers. Diese konzentriert sich voll auf die Organisierte Kriminalität. Hier sind sehr gute Staatsanwälte tätig, die von anderen Aufgaben befreit sind, und sind sehr erfahren.

Das Erfolgsgeheimnis lautet: Ermittlungen konzentrieren.

Sebastian Fiedler, SPD-Innenexperte

Die Polizei war in fünf Bundesländern tätig.
Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Ermittlungsverfahren sollten möglichst nicht bei zu vielen Staatsanwaltschaften verteilt bearbeitet werden. Deutschland- und europaweite Durchsuchungen werden ohnehin mithilfe von Eurojust und Europol europäisch koordiniert.

Das Erfolgsgeheimnis lautet: Ermittlungen konzentrieren. Daraus ergeben sich Durchsuchungsobjekte, Festnahmen in anderen Bundesländern oder europäischen Staaten. Auch Eurojust lobt die Bündelung der Kompetenten bei der zentralen Stelle zur Bekämpfung Organisierter Kriminalität in NRW.

Tut die Ampel-Regierung genug im Kampf gegen die Organisierte Kriminalität (OK)?
Ja, und die Ampel tut mehr als diverse Bundesregierungen vor ihr. Es gibt ein Strategiepapier zum Kampf gegen die Organisierte Kriminalität von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) vom letzten Herbst. Darin finden Sie einen Passus, wo der Bund die Länder dazu auffordert, solche Schwerpunkt-Staatsanwaltschaften einzurichten.

Die Ampel verfolgt im Kampf gegen die OK eine europaweite Strategie, die über die Ressorts greift. Die Bargeld-Obergrenze ist da ein Punkt. Der Bundesfinanzminister tut etwas gegen die Geldwäsche. In seinem Ministerium ist dafür eine 50-köpfige Einheit aktiv, die das Wissen von Polizei, Staatsanwaltschaften und Geheimdiensten einbezieht.   

Was ist in Deutschland das größte Defizit im Kampf gegen die OK?
Die Umweltkriminalität. Da müssen wir erheblich mehr tun. Hier klaffen Anspruch und Wirklichkeit in Deutschland krass auseinander. Umweltkriminalität ist das drittgrößte Phänomen der OK. Sie spielte schon bei der Gründung der italienischen Mafia eine Rolle, denken Sie an die illegale Abfallentsorgung. Und die Zeit drängt.

In den Statistiken findet sich fast nichts zur Umweltkriminalität, doch das Ausmaß ist immens. Nur ein Beispiel: Die Entwaldung geschieht global zu 15 bis 30 Prozent illegal, in Myanmar gar zu 90 Prozent. Die Entwaldung ist der zweitgrößte CO₂-Treiber. In Deutschland ist es relevant, weil wir oft am Ende der Lieferkette dieser kriminellen Strukturen stehen. Das Holz wird hier verkauft und gekauft. Von den Umweltaktivisten höre ich zu diesem Thema wenig.

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