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Weniger Vorsorge: Beim Hautkrebs-Screening sank die Patientenzahl am stärksten.

© Karl-Josef Hildenbrand/dpa

Experten warnen vor gesundheitlichen Folgen: Aus Scham nicht zur Krebsvorsorge?

Bei Früherkennungsuntersuchungen sind die Patientenzahlen während der Pandemie stark eingebrochen. Doch schon vorher waren viele nachlässig.

Das Problem bestand schon vorher, doch die Corona-Pandemie hat es nochmal drastisch verschärft: Erschreckend viele Menschen in Deutschland nehmen die ihnen zustehenden Untersuchungen zur Früherkennung von Krebs nicht wahr. Das ist in einer aktuellen Analyse samt Langzeitauswertung zu entnehmen, die das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) heute in Berlin präsentierte.

Demnach ist die Zahl der Krebsvorsorge-Untersuchungen bei gesetzlich Krankenversicherten in den Pandemiejahren 2020 und 2021 teilweise um mehr als 20 Prozent eingebrochen. Besonders starke Rückgänge gab es der Studie zufolge bei der Früherkennung von Hautkrebs. Hier betrug das Minus im ersten Pandemiejahr 19,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Dieser Trend setzte sich auch im ersten Quartal des Jahres 2021 mit minus 20,8 Prozent fort.

Nur bei Darmkrebs-Vorsorge ein leichtes Plus

Beim Mammografie-Screening und der Früherkennung von Prostatakrebs waren die Rückgänge geringer, aber immer noch beträchtlich – sie lagen im Vergleich zu 2019 bei jeweils 8,1 Prozent. Die Teilnehmerquote zur Früherkennung von Gebärmutterhalskrebs sank um 5,5 Prozent. Lediglich bei den Koloskopien zur Früherkennung von Darmkrebs war am Ende – trotz Rückgängen in der ersten Pandemiewelle – aufs ganze Jahr betrachtet ein leichter Anstieg von 2,1 Prozent festzustellen.

„Hier wäre der Anstieg ohne die Pandemie sicher noch höher ausgefallen“, meint WidO-Geschäftsführer Jürgen Klauber. Denn seit Anfang 2019 könnten Männer schon ab 50 statt bisher ab 55 Jahren an der Vorsorge teilnehmen. Zudem würden die Anspruchsberechtigten seit Mitte 2019 per Anschreiben von ihrer Krankenkasse zu dieser Vorsorge eingeladen. Wenn man neben den Früherkennungs-Koloskopien jedoch alle diagnostischen Darmspiegelungen im ambulanten und stationären Bereich in die Betrachtung einbeziehe, ergebe sich auch für 2020 ein Rückgang von 6,5 Prozent gegenüber 2019.

Schwerere Erkrankungen und mehr Tote zu erwarten

Ein Minus, das Folgen haben dürfte. Die ausgebliebene Diagnostik lasse befürchten, dass gefährliche Tumore seltener rechtzeitig erkannt würden, so Klauber. Darauf deutet jedenfalls die Auswertung von Abrechnungsdaten der Kliniken, wonach Darm- und Brustkrebs-Operationen seltener erfolgten als üblich. Im gesamten Pandemie-Zeitraum von März 2020 bis Juli 2021 gab es bei Darmkrebs-OPs gegenüber 2019 einen Rückgang von 13 Prozent. Bei den Brustkrebs-OPs betrug das Minus vier Prozent.

Auch Fälle, bei denen dringender Behandlungsbedarf besteht, seien durch nicht wahrgenommene Früherkennungs-Untersuchungen in den vergangenen Monaten nicht erkannt worden, sagte der WIdO-Geschäftsführer. „Mittelfristig könnte sich dies in einem größeren Anteil höherer Schweregrade bei den Erkrankungen zeigen und auf die Sterblichkeit auswirken.“ 

Die Rückgänge bei der Inanspruchnahme der Krebs-Früherkennung werden auch durch eine Forsa-Umfrage bestätigt, an der Ende September mehr als 3.200 Personen ab 18 Jahren teilnahmen. Demnach hatten 56 Prozent im Verlauf der Pandemie mindestens einen Termin zur Krebsvorsorge geplant. 14 Prozent von ihnen gaben an, dass diese Untersuchung nicht wie vorgesehen stattgefunden habe. In den meisten Fällen erfolgte die Terminabsage mit Bezug zur Corona-Pandemie. Und bis September 2021 wurde nur ein Drittel dieser verpassten Termine zur Krebsvorsorge nachgeholt.

28 Koloskopien ersparen eine Krebserkrankung

Doch schon vor der Pandemie gab es bei der Krebs-Früherkennung viel Luft nach oben. So wurde der Auswertung zufolge seit 2011 nur etwa die Hälfte aller Anspruchsberechtigten, die im vergangenen Jahr 65 Jahre alt waren, von der Darmkrebs-Früherkennung erreicht. Dabei sei der Erfolg durch diese Diagnostik außerordentlich, so der Leiter des Bereiches Medizin im AOK-Bundesverband, Gerhard Schillinger. Eine Auswertung von Registerdaten habe ergeben, dass mit dem Koloskopie-Screening in den ersten zehn Jahren etwa 180.000 Dickdarm-Karzinome verhindert werden konnten. Das entspreche einer ersparten Darmkrebserkrankung bei 28 Untersuchungen.

Noch mäßiger war die Teilnahme an der Früherkennung von Prostatakrebs. Diese nutzte von den 54- bis 70-Jährigen nur knapp jeder Dritte in mindestens drei der vergangenen zehn Jahre, bei den über 70-jährigen war es knapp jeder Zweite. Und beim Hautkrebs-Screening nahmen lediglich 13 Prozent der Männer und 16 Prozent der Frauen zwischen 45 und 70 im betrachteten Zehn-Jahres-Zeitraum die Früherkennung wie empfohlen mindestens viermal in Anspruch.

Besser sieht es bei der Früherkennung von Gebärmutterhalskrebs aus. Daran nahmen mehr als 80 Prozent der Frauen zwischen 29 und 40 den Empfehlungen entsprechend teil, also in mindestens drei von zehn Jahren. Auch diese Früherkennung sei „eine Erfolgsgeschichte“, betonte Schillinger. Vor der Einführung 1971 sei Gebärmutterhalskrebs mit 16.000 Neuerkrankungen pro Jahr noch der häufigste bösartige Tumor bei jungen Frauen gewesen. Inzwischen habe sich die Neuerkrankungs-Zahl auf 4.300 Fälle reduziert. Auch beim Mammographie-Screening zur Früherkennung von Brustkrebs, das in Deutschland seit 2009 flächendeckend offeriert wird, registrierten die Wissenschaftler hohe Teilnahmequoten. Nur ein Viertel der anspruchsberechtigen Frauen habe das Angebot im betrachteten Zeitraum nicht genutzt.

Umfrage belegt: Vorsorge ist oft schambesetzt

Ein Männerproblem mal wieder? Nicht nur, wenn man sich die Zahlen zur Darmkrebs- und Hautkrebs-Früherkennung ansieht, wo beide Geschlechter nachlässig sind. Bei der Forsa-Befragung gab jedenfalls fast jede:r vierte Befragte an, sich nicht für Krebsvorsorge zu interessieren – auch wenn Frauen dem Thema grundsätzlich offener gegenüberstehen als Männer.

Ein Grund dafür ist offenbar, dass sich bei der Krebsvorsorge für viele offenbar um schambesetzte Untersuchungen handelt. So räumten 42 Prozent der Befragten ein, selten oder nie im persönlichen Umfeld über Gesundheitsvorsorge oder Vorsorgeuntersuchungen zu sprechen. Jede:r fünfte Befragte (21 Prozent) sagte offen heraus, dass es ihm oder ihr „unangenehm oder peinlich“ sei, im Bekannten-, Freundes- oder Kollegenkreis darüber zu sprechen. Bei Männern unter 45 war es fast jeder Dritte. Und 35 Prozent der Befragten erklärten, dass die Beschäftigung mit Früherkennung und Vorsorge ihrer Einschätzung nach durch Tabus beeinträchtigt werde.

Grund genug für die AOK, eine Kampagne zum Thema Krebs-Früherkennung zu organisieren. Unter dem Titel „Deutschland, wir müssen über Gesundheit reden“ seien unter anderem TV-Spots und Anzeigen geplant, teilte der Bundesverband mit. Damit wolle man „gerade jetzt, in der nach wie vor andauernden Pandemie, einen Anstoß geben, einen Termin bei seinem Arzt oder bei der Ärztin zu vereinbaren und gegebenenfalls versäumte Untersuchungen nachzuholen“, so Vorstandschef Martin Litsch.

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