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Recep Tayyip Erdogan.

© Uncredited/Turkish Presidency/AP/dpa

Finnland und Schweden in Ankara: Erdogan riskiert im Nato-Poker einiges – wenn nicht alles

Der türkische Präsident trägt den Streit mit dem Westen öffentlich aus, um im Inland zu punkten. Das Thema PKK ist dabei nur vorgeschoben. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Susanne Güsten

Der türkische Präsident Erdogan genießt die internationale Aufmerksamkeit wegen seiner Veto-Drohung gegen den Nato-Beitritt von Finnland und Schweden. Mit seiner Kritik an den Nordeuropäern und anderen westlichen Staaten zwingt er seine Bündnispartner zum Nachdenken über türkische Sicherheitsinteressen im Konflikt mit der PKK – und vielleicht auch zu Zugeständnissen an Ankara. Das wäre ein Erfolg, den Erdogan in Wählerstimmen ummünzen könnte.

Dass der türkische Staatschef es einfach nicht mehr erträgt, dass andere Länder seiner Meinung nach im Umgang mit der PKK zu lasch sind, ist unwahrscheinlich. Er hatte in den vergangenen Jahren kein Problem damit, seine Beziehungen mit Russland bis hin zu milliardenschweren Waffenkäufen zu vertiefen, obwohl Moskau – anders als Europa – die PKK nicht einmal als Terrorgruppe einstuft, geschweige denn bekämpft.

Er will der David sein, der gegen Goliath kämpft

Wahrscheinlicher ist, dass Erdogan den Nato-Streit als Chance begreift, die Wähler zu Hause zu beeindrucken, um vor den Wahlen in einem Jahr aus dem Umfrage-Tief zu kommen. Erdogan wolle sich als David im Kampf gegen den westlichen Goliath profilieren, schrieb der Erdogan-kritische Journalist Mehmet Yilmaz am Mittwoch. Großbritannien hat bereits alle Beschränkungen für Waffenexporte an Ankara aufgehoben.

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Von Finnland und Schweden, deren Unterhändler am Mittwoch in Ankara erste Gespräche mit der türkischen Seite führten, fordert Erdogans Regierung schriftliche Garantien, dass sie künftig mehr Abstand zur PKK und deren syrischem Ableger YPG halten werden. 

Wir sollten endlich Kassensturz machen, alle Vorteile, vermeintliche Vorteile und alle Nachteile abwägen, welche die Türkei in der Nato mit sich bringen und die Konsequenzen ziehen. Die Türkei geht ihren eigenen Weg, der nicht mehr oder so wenig wie noch nie mit dem Westen kompatibel ist.

schreibt NutzerIn karia

Eine solche Erklärung würde in der Türkei als Eingeständnis verstanden, dass die nordischen Staaten tatsächlich bisher türkischen Staatsfeinden geholfen haben. Auch das wäre ein Prestigegewinn für Erdogan.

Auch Syrien bleibt Drohkulisse

Der Staatschef hat zudem neuen Krach mit den USA vom Zaun gebrochen, indem er eine weitere Militärintervention gegen die YPG in Syrien ankündigte: Die YPG ist Partner Washingtons im Kampf gegen den Islamischen Staat in Syrien. Die Drohung mit einem neuen Einmarsch in Syrien erhöht Erdogans Einsatz im Spiel um außenpolitisches Wahlkampf-Kapital.

[Lesen Sie auch diesen Gastbeitrag: Krieg, Demokratie und Klima: Unsere Zivilisation wird womöglich nicht überleben (T+)]

Der türkische Staatschef wandelt allerdings auf einem schmalen Grat. Er trägt den Streit öffentlich aus, um beim heimischen Publikum zu punkten, brüskiert damit aber die Verbündeten. Dass er sich in Europa und den USA nicht beliebt macht, kann Erdogan zwar egal sein. Doch wenn er nicht rechtzeitig eine Lösung für den von ihm selbst angezettelten Streit findet, riskiert er mehr als nur eine vorübergehende Verstimmung.

Sollte der türkische Präsident den richtigen Moment zum Einlenken verpassen, hat die Türkei ihren Ruf als Bündnispartnerin verspielt. Sie steht dann als unzuverlässiger und opportunistischer Staat da, dem man nicht über den Weg trauen kann. Im Fall einer echten Krise könnte die Türkei dann allein sein.

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