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Gestrandet. Diese Flüchtlinge, die auf der griechischen Insel Kythira am Strand unter Bäumen sitzen, wollten gar nicht nach Griechenland, sondern von der Türkei nach Italien. Doch ihr Segelboot fuhr an der Küste der Insel auf Grund.

© AP-dpa/Ippolytos Prekas/kythera.news

Flüchtlingsrouten: Im Segelboot nach Kalabrien

Warum Menschenschmuggler immer mehr Flüchtlinge von der Türkei nicht mehr nach Griechenland, sondern zu den weit entfernteren italienischen Küsten schicken.

Die griechische Insel Kythira lag bisher abseits der Hauptrouten von Menschenschmugglern, die Flüchtlinge von der Türkei in die EU schicken. Während auf Ägäis-Inseln wie Lesbos in Sichtweise der türkischen Küste in den vergangenen Jahren Hunderttausende Flüchtlinge ankamen, liegt Kythira südlich der Peleponnes-Halbinsel mehr als 300 Kilometer vom türkischen Festland entfernt. Doch nun erreichten innerhalb weniger Tage drei Segelboote mit mehr als 240 Flüchtlingen die Insel: Eines lief an der Küste von Kythira auf Grund, die beiden anderen wurden von der Küstenwache entdeckt. Dabei wollten die Passagiere aus Afghanistan, Iran und Irak überhaupt nicht nach Griechenland. Ihr Ziel war Italien.

Menschenschmuggler haben seit Jahresbeginn aus der Türkei doppelt so viele Flüchtlinge über das Meer nach Italien geschickt wie ins nahe Griechenland. Von Januar bis Mitte August fuhren nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerkes UNHCR rund 8400 Flüchtlinge per Schiff von der Türkei nach Italien; in Griechenland kamen im selben Zeitraum knapp 4200 Flüchtlinge per Boot an. In Italien machen Bootsflüchtlinge aus türkischen Häfen inzwischen fast 17 Prozent aller ankommenden Flüchtlinge aus, obwohl die Seereise rund 2000 Kilometer lang ist. Aus der Türkei ist es mehr als dreimal so weit nach Italien wie aus Libyen, dem Sprungbrett für die meisten Flüchtlinge in Italien.

Der illegale Verkehr auf der Kalabrien-Route zwischen der Türkei und der Spitze des italienischen Stiefels nahm schon 2021 zu. Doch in diesem Jahr ist der Menschenschmuggel auf diesem Weg richtig in Schwung gekommen. Von Januar bis Mitte August 2021 segelten laut UNHCR knapp 4000 Flüchtlinge aus türkischen Häfen nach Italien – im selben Zeitraum dieses Jahres waren es mehr als doppelt so viele. Allein von Januar bis Ende Juli dieses Jahres zählten UN-Vertreter in Italien 83 Flüchtlingsboote, die in der Türkei in See gestochen waren.

Illegale Push-backs? Athen weist den Vorwurf zurück

Die Schlepper wollen mit der neuen Route die griechische Küstenwache umgehen, die in der Ägäis patrouilliert und viele Flüchtlinge ohne Asylverfahren in die Türkei zurückschickt. Der türkische Innenminister Süleyman Soylu warf den Griechen schon im November vor, mit sogenannten Push-backs die Flüchtlingsschiffe nach Italien zu treiben.

Nach Angaben des türkischen Verteidigungsministeriums werden in der Ägäis regelmäßig Flüchtlinge gegen ihren Willen von der griechischen Küstenwache in Richtung Türkei geschoben. Auch internationale Medien berichteten über illegale Push-backs. Athen weist die Vorwürfe zurück, dass Flüchtlinge ohne Asylverfahren in die Türkei zurückgebracht werden. Selbst wenn Flüchtlinge auf griechischem Territorium ankommen, leben viele von ihnen in Lagern ohne menschwürdige Unterkünfte und sanitäre Einrichtungen. Manchmal mangelt es sogar an Wasser und Nahrung. Wer sich die Fahrt nach Italien leisten kann, will Griechenland meiden.

Für die Reisen aus der Türkei nach Italien werden häufig Segelboote eingesetzt, die für längere Seereisen gebaut sind und in der Feriensaison weniger auffallen als Schlauchboote. Eines der Boote, die jetzt in Kythira ankamen, war ein Segel-Katamaran. Das Boot, das an der Felsenküste von Kythira auf Grund lief, war eine Segeljacht, die mit ihrem blauen Sonnenschutz aussah wie ein Ausflugsboot für Touristen. Anders als bei den Schlauchbooten in der Ägäis werden die Segelboote nicht von den Flüchtlingen gesteuert. Die griechische Polizei auf Kythira nahm türkische und russische Insassen der Boote unter dem Verdacht des Menschenschmuggels fest.

Die meisten Flüchtlinge kommen aus Afghanistan

Aus der Türkei fahren vor allem Afghanen, Ägypter und Iraner nach Italien, wie Daten des UNHCR zeigen. Die Zahl der afghanischen Flüchtlinge steigt seit der Machtübernahme der Taliban in Kabul vor einem Jahr. Rund 3300 von ihnen setzten in den ersten sieben Monaten des Jahres von der Türkei nach Italien über.

Afghanen stellten mit Abstand die größte nationale Gruppe von Flüchtlingen auf dieser Route, und viele weitere könnten nachkommen: In der Türkei leben mehr als 100000 Afghanen, haben dort aber keinen Anspruch auf Asyl. Im Iran, dem östlichen Nachbarn der Türkei, haben sich nach UN-Angaben fast 800000 Afghanen in Sicherheit gebracht. Wegen der langen Überfahrt und den teuren Segelbooten können nur relativ wohlhabende Flüchtlinge das Geld für die illegale Reise nach Italien aufbringen. Die Nachrichtenagentur AP meldete im vergangenen Jahr, die Fahrt von der Türkei nach Kalabrien koste 8500 Euro pro Person; pro Kind werden demnach 4000 Euro fällig. Die Passage auf den Segelbooten gelte deshalb als Flucht erster Klasse. Allerdings würden die Menschen unter Deck eng zusammengepfercht.

Außerdem sind auch die Reisen auf den überfüllten Segelbooten lebensgefährlich. Ein Flüchtlingsboot, das letzte Woche in Antalya mit dem Ziel Italien gestartet war, sank nach etwa 100 Kilometer Fahrt in rauer See zwischen Rhodos und Kreta. Nur die Hälfte der etwa 60 Insassen wurde gerettet.

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