zum Hauptinhalt
Eingesperrt: Rund 40.000 Menschen verbüßen in Deutschland derzeit eine Freiheitsstrafe.

© dpa/Arne Dedert

Update

Geringe Löhne für Gefangene verfassungswidrig: „Gut, dass das Gericht festgestellt hat, dass das jetzige System auf Ausbeutung beruht“

Wer in Haft sitzt, arbeitet für einen Bruchteil des Mindestlohns. Menschenunwürdig, findet das Bundesverfassungsgericht. Die Bundesländer müssen ihre Gesetze nun überarbeiten.

Strafgefangene arbeiten in Deutschland für einen Lohn zwischen 1,37 Euro und 2,30 Euro. Das ist verfassungswidrig, hat das Bundesverfassungsgericht entschieden.

Über die Strafvollzugsgesetze Bayerns und Nordrhein-Westfalens, wo zwei Strafgefangene Verfassungsbeschwerde eingelegt hatten, schreibt das Verfassungsgericht in einer Mitteilung: „Sie verstoßen gegen das Resozialisierungsgebot und verletzen die Beschwerdeführer in ihrem Recht auf Resozialisierung.“ Dies widerspreche der im Grundgesetz festgeschriebenen Menschenwürde der Gefangenen.

Die beiden Bundesländer müssen ihre Gesetze bis Juni 2025 überarbeiten. Auch die Arbeit im Strafvollzug der weiteren Bundesländer könnte damit vor tiefgreifenden Änderungen stehen. „Aus dem Urteil müssen grundlegende Neuregelungen in allen Ländern folgen“, schreibt Christiane Graebsch, Prozessbevollmächtigte im Verfahren und Professorin für Recht der Sozialen Arbeit an der Fachhochschule Dortmund, auf Tagesspiegel-Anfrage. „Die Situation ist überall ähnlich und das Urteil enthält sogar diverse Hinweise auf Regelungen anderer Länder als Bayern und NRW, zum Beispiel Länder ohne Arbeitspflicht.“

40.199 Menschen verbüßen laut den jüngsten Angaben des Statistischen Bundesamts vom Juni 2022 in Deutschland eine Freiheitsstrafe. Rund 60 Prozent von ihnen arbeiten – in den Gefängnissen selbst, etwa in der Wäscherei oder der Küche, aber auch für externe Unternehmen.

Dazu zählen nach Recherchen des Portals „Correctiv“ unter anderem die Autohersteller BMW und Daimler, der Waschmaschinenhersteller Miele und die Lebensmittelfirma Dr. Oetker. Die beiden Beschwerdeführer aus den Justizvollzugsanstalten Werl und Straubing arbeiteten laut Verfassungsgericht als Kabelzerleger sowie in der anstaltseigenen Druckerei.

Resozialisierung als Ziel der Haftarbeit

Das Gericht rügte, dass in den Landesgesetzen nicht klar geregelt sei, welche Ziele Arbeit im Resozialisierungskonzept erfüllen soll. „Das Urteil hat den Ländern nochmals sehr deutlich gesagt, dass sie nicht einfach behaupten können, Arbeit diene der Resozialisierung“, erklärt Professorin Graebsch, „sondern ein konkretes Resozialisierungskonzept vorlegen müssen, in dem die Rolle der Arbeit klargestellt wird.“

Es komme „insbesondere darauf an, welchen Zwecken die Vergütung im Rahmen dieses Konzepts dienen soll“, sagte Richterin Doris König, die dem Zweiten Senat vorsitzt, bei der Verkündung des Urteils.

Doris König, die Vorsitzende des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe.
Doris König, die Vorsitzende des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe.

© dpa/Bernd Weißbrod

Der „Gegenwertcharakter“ der Arbeit müsse für die Gefangenen „unmittelbar erkennbar“ sein, heißt es in der Mitteilung des Verfassungsgerichts. Dies könne durch Geld ebenso wie durch nicht monetäre Vorteile wie eine Verkürzung der Haftdauer erfolgen. Elementar sei dabei, „dem Gefangenen den Wert regelmäßiger Arbeit für ein künftiges eigenverantwortliches und straffreies Leben“ deutlich zu machen. Wer Gefangene schlecht bezahlt, heißt das im Umkehrschluss, der gefährdet ihre Wiedereingliederung in die Gesellschaft.

An den bayerischen und nordrhein-westfälischen Resozialisierungskonzepten bemängelten die Richter zudem, dass Gefangene durch die geringen Löhne etwaige Wiedergutmachungsbeträge an Opfer sowie Unterhalt an ihre Familien nicht zahlen könnten. Auch fehle eine wissenschaftliche Evaluation der Gefängnisarbeit. Es sei jedoch „nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, ein bestimmtes Entlohnungsmodell vorzugeben“ und eine angemessene Lohnhöhe vorzuschlagen, machte Richterin König deutlich.

Gefangene erhalten neun Prozent des durchschnittlichen Einkommens aller, die in die deutsche Rentenversicherung einzahlen. Letztmals wurde diese sogenannte Eckvergütung 2001 erhöht, nach einem Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts. Vorher hatte sie bei fünf Prozent gelegen.

„Es ist gut, dass das Gericht festgestellt hat, dass das jetzige System auf Ausbeutung beruht“, sagt Manuel Matzke, Sprecher der Organisation Gefangenen-Gewerkschaft, die sich im Vorfeld für eine Erhöhung der Vergütung ausgesprochen hatte. Matzke fordert, dass die Gefangenen für ihre Arbeit den gesetzlichen Mindestlohn erhalten.

9
Prozent des deutschen Durchschnittseinkommens: Das ist die Grundlage, auf der der Lohn für Gefangene berechnet wird.

Das Verfassungsgericht bestätigt in seiner Mitteilung, dass die „Bezahlung vergleichbarer Tätigkeiten auf dem freien Arbeitsmarkt“ als Kriterium zur Festlegung der Löhne herangezogen werden könne. Allerdings sei auch eine Beteiligung der Gefangenen an den Kosten ihrer Haft zulässig, erklärte Richterin König. Damit wäre indes auch Manuel Matzke einverstanden. „Dies geschieht im offenen Vollzug bereits.“

Der Justizminister Nordrhein-Westfalens, Benjamin Limbach (Grüne), erklärte auf Tagesspiegel-Anfrage: „Wir werden die heute verkündete Entscheidung sorgfältig auswerten und dem Gesetzgeber einen Vorschlag vorlegen, der die verfassungsgerichtlichen Vorgaben zur Weiterentwicklung der Gefangenenvergütung berücksichtigt.“ Ein Sprecher des bayerischen Justizministeriums lehnte ein Statement ab.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false