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In welche Richtung soll die Schweiz ihre Fahne hängen?

© obs/Schweiz Tourismus

Global Challenges: USA vs. China – wo steht die Schweiz?

Der globale Großkonflikt lässt sich mit dem Geschäftsmodell der Alpenrepublik gut vereinbaren. Denn das fußt auch auf politischem Fingerspitzengefühl. Ein Gastbeitrag.

Ein Gastbeitrag von Renate Schubert

- Global Challenges ist eine Marke der DvH Medien. Das neue Institut möchte die Diskussion geopolitischer Themen durch Veröffentlichungen anerkannter Experten vorantreiben. Heute ein Beitrag von Prof. Dr. Renate Schubert, Professorin für Nationalökonomie an der ETH Zürich. Weitere Autoren und Autorinnen sind Prof. Dr. Ann-Kristin Achleitner, Sigmar Gabriel, Günther Oettinger, Prof. Dr. Volker Perthes, Prof. Jörg Rocholl PhD und Prof. Dr. Bert Rürup.

Die rechtspopulistische Schweizerische Volkspartei hat bei der letzten Volksabstimmung eine krachende Niederlage erlitten. Mit klarer Mehrheit sprach die Bevölkerung sich am 27. September gegen die maßgeblich von der SVP initiierte „Begrenzungsinitiative“ aus – man will sich nicht vom Rest der Welt isolieren, erst recht nicht von Europa. Eine Mitgliedschaft in der Europäischen Union steht dennoch nicht zur Diskussion, zu unterschiedlich sind das Verständnis der Schweiz und jenes der meisten EU-Länder von der Rolle des Staats und den Rechten und Pflichten der Bürgerinnen und Bürger.

Gerade weil die Schweiz eine von der EU unabhängige Position schätzt, kommt sie nicht umhin, im geopolitischen Konflikt zwischen den USA und China Stellung zu beziehen. Funktioniert das klassische Neutralitätspostulat des Landes auch in Zeiten zunehmender Rivalität der beiden Hegemonialmächte? Und was sind die Folgen des Machtkampfs der Großen für die kleine, stark vernetzte Schweiz?

Derzeit deutet wenig darauf hin, dass die Schweiz ausschließlich auf die Karte „USA“ oder den Trumpf „China“ setzt, auch wenn einige Medien schon von einer „Unterwerfung“ unter die Vereinigten Staaten von Amerika sprechen. Anlass für die Unterwerfungsthese war die Tatsache, dass die Eidgenössische Technische Hochschule Zürich ihre Wissenschaftler im vergangenen Jahr aufgefordert hatte, dem chinesischen Unternehmen Huawei keine Forschungstechnologie mit amerikanischen Komponenten mehr bereit zu stellen.

Vorangegangen war die an amerikanische Konzerne gerichtete Weisung von US-Präsident Donald Trump, eigene Hightech-Technologie nicht länger an Huawei zu verkaufen. Gegen die Unterwerfungsthese spricht allerdings, dass Huawei bereits stark in der Schweizer Wirtschaft präsent ist: Die Chinesen beteiligen sich am Ausbau des 5G-Netzes, waren in diesem Jahr offizieller Sponsor des traditionsreichen Lauberhorn-Skirennens, statten Sportstadien mit Wireless-Infrastruktur aus und finanzieren Forschungszentren sowie Professuren.

Nun ist China ohne Zweifel angetreten, die USA als Weltmacht Nummer eins abzulösen – in militärischer Hinsicht, aber auch in punkto Handel, Technologie und Finanzmärkte. Dagegen stemmen sich die Amerikaner in seltener Einigkeit, ob Republikaner oder Demokraten. Im Hochtechnologiesektor Handelsbeschränkungen gegen China zu verhängen, wirkt da nur folgerichtig. Es ist zu erwarten, dass die USA sich künftig noch stärker von globalen Lieferketten abkoppeln werden, an denen China beteiligt ist. Bei Medizingeräten und Arzneimitteln etwa kann das ja auch sinnvoll sein, wie die Coronakrise gezeigt hat.

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Aber wäre „Decoupling“ aus Sicht der Alpenrepublik ebenfalls eine erfolgversprechende Strategie? Wohl kaum. Etwa die Hälfte aller Schweizer Warenimporte und -exporte ist schließlich in globale Wertschöpfungsketten eingebunden. Glieder aus diesen Ketten zu lösen, wäre für ein kleines Land problematisch. Das ginge mit verringerten Handelsmöglichkeiten einher, die durch mögliche zusätzliche Chancen, Produkte direkt in den USA oder eben in China abzusetzen, nicht zu kompensieren wären. Hinzu kommt: „Decoupling“ kostet – die Preise für Konsumgüter, in der Schweiz ohnehin schon auf hohem Niveau, würden weiter steigen.

Wegen des chinesisch-amerikanischen Antagonismus' scheint derzeit allerdings alles auf eine bipolare Welt technologischer Standards hinauszulaufen – eine Art „Tech Cold War“ mit US-Standards einerseits und chinesischen Standards andererseits. Beide dürften für absehbare Zeit nicht ohne weiteres kompatibel sein. Diese Zweiteilung wird die Schweiz ebenso wie die meisten anderen Länder zwingen, Farbe zu bekennen und sich bei Industriestandards und Datenspeicherung für die eine oder die andere Welt zu entscheiden.

Es geht um kostspielige Entscheidungen

Würden Länder oder Unternehmen zweigleisig fahren und mit beiden Standards arbeiten, wären damit ineffizient hohe Kosten verbunden. Die Welt steht also vor schwierigen und kostspieligen Entscheidungs- und Aushandlungsprozessen. Vergeltungsmaßnahmen durch die jeweils nicht erfolgreiche Seite sind alles andere als unwahrscheinlich.

Käme es aufgrund von allgemeinen geo- und machtstrategischen Überlegungen zur Abkopplung der US-Finanzmärkte von China, würde dies den europäischen Finanzzentren – nicht zuletzt Zürich – in die Hände spielen. Sie könnten dann gesuchte Partner der USA oder Chinas werden. Vieles spricht jedoch dafür, dass es für eine Abkoppelung im Finanzsektor schon zu spät ist. Gerade amerikanische Geschäftsbanken sind inzwischen stark in China engagiert, da sie dort lohnende und wachsende Geschäftsfelder sehen.

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Zuletzt zeichneten US-Investoren eifrig chinesische Staatsanleihen, obwohl US-Präsident Donald Trump das natürlich nicht gerne sieht. Zu hoffen bleibt, dass die Konflikte zwischen den USA und China sich nicht auch noch in militärischer Hinsicht wechselseitig hochschaukeln. Nicht weniger als 90 Prozent des chinesischen Handels und 40 Prozent der Ölimporte sind auf Seewege angewiesen, die von den USA kontrolliert werden – im Fall eines „heißen Kriegs“ würden die geopolitischen Karten jedenfalls ganz neu gemischt.

Viele Länder sind also mit schwierigen Entscheidungen konfrontiert, wie sie künftig ihren Handel, ihre Industrien und ihre Finanzmärkte positionieren wollen. Für kleine, wirtschaftlich stark vernetzte Staaten sind die Herausforderungen besonders groß. Spielt dabei auch noch der Technologie- und der Finanzsektor eine wesentliche Rolle, wird es noch komplizierter.

Die Schweiz hat sich profiliert als politischer Mediator

All dies trifft auf die Schweiz zu. Eine hohe Aufmerksamkeit für das, was zwischen den „Großen“ passiert, ist unverzichtbar, will die Schweiz ihre gute wirtschaftliche und technologische Position verteidigen.

Das Talent der Schweiz, da darf man vorsichtig optimistisch sein, sich militärisch, aber auch sonst vor allzu vollmundigen Bekenntnissen für die eine oder andere Seite zu hüten, wird auch im Konflikt zwischen den USA und China zum Tragen kommen. Im Übrigen ist eine kleine, wohlhabende Nation mit Fingerspitzengefühl für das Ausloten von Verhandlungspositionen für Peking ebenso interessant wie für Washington. Die Schweiz hat in der Vergangenheit ihr Geschick bewiesen, für streitende Parteien erfolgreich die Rolle eines politischen Mediators zu spielen. So könnte der Großkonflikt zwischen USA und China sogar durchaus gut zum helvetischen „Geschäftsmodell“ passen.

Renate Schubert

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