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In der Bundestagsdebatte räumte Lauterbach ein, dass das Finanzierungsproblem der Pflege mit seinem Gesetzentwurf nicht gelöst werde.

© imago/photothek

Grüne fordern Scholz-Machtwort: Finanzierungsproblem der Pflege weiter ungelöst

Auch aus den Reihen der Ampel-Koalition kommen Forderungen nach erheblichen Nachbesserungen. Druckmittel haben die unzufriedenen Abgeordneten aber kaum.

Als Karl Lauterbachs Entwurf für eine Pflegereform vor drei Wochen endlich das Bundeskabinett passiert hatte, war von Erleichterung wenig zu spüren. Der Gesundheitsminister selber sprach von einem schwierigen Gesetz, Kassen und Verbände übten vernichtende Kritik. Von dem ehrgeizigen Projekt sei nach dem Ringen mit Finanzminister Christian Lindner (FDP) „nur noch ein Torso“ geblieben, so ihr Befund. Und zwei der drei Ampelpartner kündigten an, im Bundestag auf erhebliche Nachbesserungen drängen zu wollen.

Am Donnerstag war es soweit, der mehrmals abgespeckte Gesetzentwurf beschäftigte erstmals das Parlament. Eingebracht von den Koalitionsfraktionen selber, damit das Ziel, die Reform bis zum 1. Juli über die Bühne zu bringen, noch erreichbar ist. Dieser Termin muss gehalten werden, denn das Bundesverfassungsgericht hat für die geforderte Orientierung der Pflegebeiträge an der Kinderzahl, die in dem Paket mitgeregelt wird, eine entsprechende Frist gesetzt.

Zudem wäre die Soziale Pflegeversicherung ohne die anvisierten Beitragserhöhungen womöglich schon im Sommer zahlungsunfähig. Der Aufschlag soll 6,6 Milliarden Euro pro Jahr bringen. Das Defizit im Vorjahr betrug 2,2 Milliarden.

 Lindner hat verhindert, dass pflegebedürftige Menschen und ihre Angehörigen in der Höhe entlastet werden, wie es notwendig wäre.

Maria Klein-Schmeink, Grünen-Fraktionsvize

Die Zeit drängt also. Das macht es nicht leichter, den Kompromiss nochmal aufzuschnüren. Doch Grünen-Fraktionsvize Maria Klein-Schmeink hält das für unverzichtbar. Lindner habe verhindert, „dass pflegebedürftige Menschen und ihre Angehörigen in der Höhe entlastet werden, wie es notwendig wäre“, sagt sie. Zudem gebe es, anders als im Koalitionsvertrag vereinbart, keine Steuermittel für gesamtgesellschaftliche Aufgaben – also weder für Rentenbeiträge von pflegenden Angehörigen, für die Ausbildung von Pflegekräften, für die pandemiebedingten Zusatzkosten. Alles bleibe an den Beitragszahlern hängen.

Auf das versprochene „Entlastungsbudget“ wird komplett verzichtet

Das Hoffen, dass es doch noch Steuerzuschüsse gibt, scheint wenig aussichtsreich. Zu massiv war der Widerstand hier aus dem Finanzministerium, zu viele andere milliardenschwere Ausgabeposten hat der Bund gerade am Hals. Doch dann müsse es wenigstens bei den versprochenen Hilfen für pflegende Angehörige bleiben, drängen die Grünen. Wenn man nicht dafür sorge, dass die Angehörigen die Versorgung weiter zuhause stemmen könnten, stehe die Gesellschaft „vor einem riesigen Problem“, warnte Klein-Schmeink im Bundestag.

Tatsächlich hatte Lauterbach zuletzt auch hier nochmal massiv gekürzt. Geplant ist nun nur noch eine angesichts der Inflation geradezu läppische Pflegegeld-Erhöhung von fünf Prozent ab 2024 – und das, obwohl der Posten seit 2017 nicht mehr erhöht wurde. Auf das versprochene „Entlastungsbudget“ von bis zu knapp 3500 Euro im Jahr, das pflegenden Angehörigen Auszeiten ermöglichen sollte, wird komplett verzichtet. Und verschwunden sind auch vorgesehene Förder-Millionen für Initiativen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf und für Modellvorhaben in den Kommunen zur Unterstützung von Pflegebedürftigen.

Immerhin: Zum Januar 2025 und 2028 sollen Geld- und Sachleistungen entsprechend der Preisentwicklung dynamisiert werden. Und für stationär Versorgte ist ebenfalls etwas mehr Kostenhilfe vorgesehen. Bei bis zu einem Jahr im Heim soll der Zuschuss von fünf auf 15 Prozent steigen, im zweiten Jahr von 25 auf 30, im dritten von 45 auf 50, bei mehr als 36 Monaten von 70 auf 75 Prozent. Aus Expertensicht genügt das jedoch nicht annähernd, um das Abrutschen von immer mehr Pflegebedürftigen in die Sozialhilfe zu verhindern.

Druckmittel für die geforderten Nachbesserungen haben die unzufriedenen Abgeordneten kaum. Das zeigt der etwas verzweifelt wirkende Hilferuf, den die Grünen einen Tag vor der Bundestags-Befassung aussandten. Die Pflege brauche jetzt endlich auch „Rückendeckung des Kanzlers“, so Klein-Schmeink. Bislang hat Olaf Scholz kein besonderes Interesse an dem sozialpolitisch brisanten Thema erkennen lassen. Im Gegenteil: Er schlug sich auf Lindners Seite. Auch die Pflegeexperten der SPD fühlen sich von ihm im Regen stehen gelassen.

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz nannte den Hilferuf an den Kanzler eine Ablenkung. „Nicht die Regierung macht das Pflegegesetz, sondern der Bundestag“, sagte Vorstand Eugen Brysch. Die Abgeordneten müssten als Gesetzgeber schon selber Verantwortung übernehmen.

Doch was, wenn Lindner und Scholz stur bleiben? Die FDP-Abgeordnete Nicole Westig brachte gestern eine verpflichtende Zusatzvorsorge ins Spiel. Und denkbar wäre auch ein weiteres Drehen an der Beitragsschraube. Damit wird unter Koalitionsexperten bereits geliebäugelt, offen bekennen möchte sich zu solcher Forderung bislang aber niemand. Nach den bisherigen Plänen steigt der allgemeine Beitragssatz zum Juli um 0,35 Prozentpunkte, für Kinderlose um 0,6. Aktuell liegt er bei 3,05 beziehungsweise 3,4 Prozent des Bruttolohns.

In der Bundestagsdebatte räumte Lauterbach ein, dass das Finanzierungsproblem der Pflege mit seinem Gesetzentwurf nicht gelöst werde. Man benötige hier nochmal grundlegende Änderungen, dazu sei er gesprächsbereit. Nach der Reform wäre also vor der Reform. Mal wieder.

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