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Journalisten warten am Freitag bei der Fortsetzung der Sondierungsgespräche vor der CDU-Zentrale.

© Michael Kappeler/dpa

Jamaika-Sondierungen: Pokern, Tricks und Andeutungen - so wird verhandelt

CDU, CSU, FDP, Grüne - bei allen vier Parteien ist die Nervosität enorm. Und so versuchen sie ihre "Spins" beim Publikum zu "verkaufen".

In den entscheidenden Jamaika-Sondierungsrunden zeigt sich, dass es nicht nur um Inhalte geht. Die Parteien müssen ihren Standpunkt auch in der Öffentlichkeit "verkaufen". Also wird viel gepokert, auch mit psychologischen Tricks, mit Andeutungen und Deutungen gearbeitet - neudeutsch: "Spin" genannt. Die Nervosität ist schließlich auf allen Seiten groß, die Sorge vor einer Abstrafung durch die eigenen Wähler enorm. Das erklärt nach Angaben von Unterhändlern auch die Verlängerung der Sondierung. Eine Übersicht über einige Tricks und "Operationen" der Sondierungsparteien in den letzten Verhandlungstagen:

Operation "KEIL"

Vor allem Grüne und FDP verbreiten gerne, wenn sich in den Sondierungen Differenzen zwischen CDU und CSU zeigen - oder man diese zumindest wahrgenommen haben will. Denn die Union als klar stärkster Block wäre schwächer, wenn beide Schwesterparteien nicht geeint auftreten würden.

Die "Operation Keil" gibt es aber noch in anderen Varianten: Anhänger der einen Partei streuen, dass die anderen Parteien Sitzungen immer wieder unterbrechen müssten, um sich intern zu beraten. Das soll Risse bei den Gesprächspartnern andeuten. Über die FDP wird kolportiert, dass Parteichef Christian Lindner eigene Fachpolitiker korrigiere - die kaum Prokura bei Verhandlungen hätten. Dies erzählen Unionsvertreter aber auch über die Grünen - und diese wiederum über die CSU.

Operation "HÄRTE"

Die CSU exerziert diese Übung beim Thema Migration. Man habe bereits Kompromisse mit der CDU in der Flüchtlingsfrage gemacht, betonen etwa CSU-Generalsekretär Andreas Scheurer und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. Also könne man keine weiteren Zugeständnisse mehr in den Gesprächen mit FDP und Grünen machen. Die kategorische Ablehnung der Diskussion über den Familiennachzug soll gerade den Grünen zeigen, dass der Aufwand für eine Debatte an diesem Punkt gar nicht lohnt. Die anderen Parteien nutzen dies auch, um die Gesprächspartner von der Wichtigkeit zentraler Forderungen zu überzeugen. Für die FDP ist die Soli-Abschaffung kaum verhandelbar, für die Grünen der "geordnete" Kohleausstieg oder der Familiennachzug für Flüchtlinge.

Operation "HOFFNUNG"

CDU-Politiker zeigen sich seit Tagen demonstrativ optimistisch zu den Erfolgsaussichten der Sondierungen - und dies blieb auch am Freitag so. Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther strahlte am Donnerstagmorgen: "Wir schaffen das." In verschiedenen Varianten betonen CDU-Spitzenpolitiker ihre Zuversicht jeden Tag. Sinn der Übung: Eine Dynamik entfalten, die die Partner mitzieht und allen den Eindruck vermittelt, dass eine Einigung "alternativlos" sei. Dann fällt eine Nicht-Einigung umso schwerer. Denn Politik ist auch Psychologie.

Operation "DROHUNG"

Die FDP fuhr diese Strategie vor allem zu Beginn der Beratungen. FDP-Chef Christian Lindner redete anfangs nur von einer Chance von 50:50. Sein Vize Wolfgang Kubicki sprach am Donnerstag von einer möglichen Verschiebung des Sondierungsabschlusses - und hatte vorher mehrfach unterstrichen, die Liberalen hätten keine Angst vor Neuwahlen. Auch am Freitag blieb er bei düsteren Prognosen. Die Grünen hatten ebenfalls und immer wieder durchschimmern lassen, dass sie sich nicht unbedingt in der Nacht zu Freitag einigen müssten - ihr Parteitag sei schließlich erst am 25. November. Die Botschaft dahinter: "Wir müssen nicht um jeden Preis abschließen." Deshalb wird nun erst einmal das ganze Wochenende über weiterverhandelt - ohne Zeitlimit.

Operation "VAGHEIT"

Die anderen Parteien erwähnen gerne, dass sich CDU-Chefin Angela Merkel doch sehr zurückhalte und vor allem die anderen diskutieren lasse. Öffentlich hielt sich Merkel tatsächlich mit Forderungen und Positionierungen zurück - was öffentlich und hinter den Kulissen von anderen Parteien gerne kritisiert wird. Merkel mache es sich zu einfach, lautet die Kritik. Ein Kalkül dahinter: Scheitern die Sondierungen, soll die CDU-Chefin auf jeden Fall mitschuldig sein. Dabei zeigen etwa die Einzelgespräche der Kanzlerin mit Grünen und FDP am Freitag, dass sie hinter den Kulissen versucht, die Fäden zu ziehen.

Operation "EMPÖRUNG"

Die Politiker gaben sich in den vergangenen Tagen vor den wartenden Journalisten gerne sehr entschlossen, manchmal empört. Grund sind echte Genervtheiten in den Sondierungen etwa zwischen CSU und Grünen. Nach außen werden diese Emotionen aber gerne verstärkt: Höhepunkte der Empörung waren die Auftritte von CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt und dessen unfreundlichen Worte über die Grünen - aber auch der Wutausbruch des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne) über Angriffe der CSU am Mittwochabend. Ein Ziel: Die Öffentlichkeit zu überzeugen, dass "die andere Seite" Schuld an den Problemen sei - und den eigenen Anhängern zu zeigen, dass man sich nichts gefallen lässt.

Operation "VERGELTUNG"

Dazu gehört das Prinzip der Vergeltung, das in der Jamaika-Sondierung angesichts des starken Misstrauens der vier Parteien untereinander besonders oft angewandt wird. Begeht die eine Seite ein tatsächliches oder vermutetes Foul, wird dieses sofort auf derselben Ebene beantwortet und zwar mit Ansage: Einen solchen Schlagabtausch gab es zu Beginn der Sondierung zwischen Grünen und FDP zu Finanzen - und in der Nacht zu Freitag dann zwischen Grünen und CSU. CSU-Chef Horst Seehofer empörte sich später öffentlich, Grünen-Bundesgeschäftsführer Michael Kellner habe von internen Machtkämpfen in der CSU gesprochen. (Reuters)

Andreas Rinke

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