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Polizeibeamte stehen hinter explodierendem Feuerwerk.

© dpa / Julius-Christian Schreiner

Studie zu Jugendkriminalität: „Eine Migrationserfahrung ist keine direkte Ursache für Straffälligkeit“

Kriminologe Christian Walburg hat aktuelle Entwicklungen und Ursachen von Jugendkriminalität untersucht. Gibt es einen ansteigenden Trend? Welche Rolle spielt Migration?

Von Christopher Schade

Ob bei den Krawallen in der Berliner Silvesternacht 2022/23 oder Gewaltdelikten in Freibädern im letzten Sommer: Die Jugendlichen in Deutschland scheinen einen steigenden Hang zur Straffälligkeit zu haben. Doch stimmt dieser Eindruck?

Christian Walburg, Jurist und Kriminologe an der Universität Münster, hat das für den Mediendienst Integration umfassend untersucht. Vor allem der vermeintliche Zusammenhang, ob der Anstieg von Gewalt durch die Migration begünstigt werde, hat er dabei in den Fokus genommen. Am Dienstag stellte er seine neue Studie vor, für die er unter anderem Daten aus polizeilichen Kriminalstatistiken und Befragungsstudien verglich.

„Jugendliche sind öfter straffällig als andere Bevölkerungsgruppen“, sagt Walburg. Die Jugend sei eine Zeit, in der Grenzen ausgetestet und manchmal überschritten werden. Laut einer Panelstudie haben 84 Prozent der Jungen und 69 Prozent der Mädchen zwischen 13 und 18 Jahren berichtet, mindestens einmal ein Delikt begangen zu haben.

Nur wenige sind regelmäßig straffällig

In der Regel handelt es sich dabei um leichte Delikte wie Sachbeschädigungen, kleinere Diebstähle, Cannabis-Besitz oder Fahren ohne Fahrschein, die auch nur episodenhaft begangen werden.

Jugendliche sind öfter straffällig als andere Bevölkerungsgruppen.

Christian Walburg, Jurist und Kriminologe an der Universität Münster

Nur bei einem kleinen Teil der Jugendlichen, etwa fünf bis sieben Prozent, kommt es zu länger anhaltender und intensiverer Straffälligkeit. Zu über drei Vierteln betrifft es junge Männer. Ab dem mittleren Jugendalter geht die Straffälligkeit von Jugendlichen dann tendenziell wieder zurück.

Seit der Jahrtausendwende war die Straffälligkeit von Jugendlichen erheblich gesunken. Gründe dafür seien unter anderem ein Rückgang von gewaltsamer Erziehung und mehr Präventionsanstrengungen an Schulen gewesen. „Der rücklaufende Trend hat sowohl Jugendliche mit als auch ohne Migrationshintergrund betroffen“, sagt Walburg.

Seit 2016 sei die Jugendstraffälligkeit dagegen wieder etwas angestiegen. Ob damit eine Trendumkehr eingetreten ist, lasse sich noch nicht genau sagen, da zwischendrin die weniger aussagekräftigen Coronajahre lagen.

„Dennoch muss man die neuen Zahlen aufmerksam beobachten“, so Walburg. Größere Ausschreitungen und Krawalle wie in der Berliner Silvesternacht seien kein neues Phänomen: Es gab sie in der Vergangenheit immer wieder.

Die Rolle der Migration

Sind Jugendliche mit Migrationshintergrund häufiger straffällig? Dazu muss zunächst der Begriff definiert werden: Die Gruppe der Jugendlichen mit Migrationshintergrund ist sehr heterogen.

Im Jahr 2022 hatten etwa 39 Prozent der Jugendlichen zwischen 15 und 19 Jahren nicht die deutsche Staatsangehörigkeit bei Geburt beziehungsweise mindestens einen Elternteil, auf den das zutraf. In Ballungszentren ist dieser Anteil höher: In Stuttgart hatten 2021 etwa 60 Prozent der unter 18-Jährigen einen Migrationshintergrund, in Berlin waren es Mitte 2023 etwa 55 Prozent.

Polizeiliche Kriminalstatistiken unterscheiden allerdings häufig nach Staatsangehörigkeit, nicht nach Migrationshintergrund. Zudem wird oft die Gesamtzahl der Tatverdächtigen veröffentlicht, aber nicht der relative Anteil im Verhältnis zur deutschen beziehungsweise nicht deutschen Bevölkerungsgruppe.

Nur in manchen Bundesländern, etwa in Berlin, gibt es solche Quoten zu Tatverdächtigen. Hier zeigt sich durchaus eine Tendenz: Unter nicht deutschen Jugendlichen wurden in Berlin 2022 10,7 Prozent als Tatverdächtige registriert, unter deutschen nur 5,8 Prozent. Dabei gilt es jedoch zu beachten, dass Personen, die als „ausländisch“ wahrgenommen werden, häufiger von der Polizei kontrolliert oder angezeigt werden.

Eine Migrationserfahrung ist keine direkte oder zentrale Ursache für Straffälligkeit.

Christian Walburg, Jurist und Kriminologe an der Universität Münster

Um diesen Faktor auszublenden, kann man auf Studien schauen, bei denen die Jugendlichen selbst zu straffälligem Verhalten befragt wurden. Eine Studie aus Niedersachsen kam 2019 zu dem Ergebnis, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund der ersten oder zweiten Generation nur etwas häufiger straffällig sind.

Bei drastischeren Taten wie Körperverletzungen oder Raubdelikten gibt es allerdings einen deutlicheren Unterschied: Für migrantische Jugendliche liegt der Täteranteil hier bei rund elf Prozent, für Jugendliche ohne Migrationshintergrund bei sechs Prozent.

Vielfältige Auslöser

Was sind die Ursachen hierfür? „Eine Migrationserfahrung ist keine direkte oder zentrale Ursache für Straffälligkeit“, betont Walburg. Stattdessen gebe es verschiedene Faktoren, welche die Straffälligkeit begünstigen und bei migrantischen Jugendlichen oft stärker ausgeprägt sind.

So kommen migrantische Jugendliche häufiger aus armutsgefährdeten Familien: 2021 waren es 37,4 Prozent, während bei den Jugendlichen ohne Migrationshintergrund nur 13,8 Prozent armutsgefährdet waren. Die Eltern haben in dem Fall häufig nicht genügend Ressourcen, um ihre Kinder zu fördern und zu beaufsichtigen. Aufgrund mangelnder Perspektive neigen schlechter ausgebildete Jugendliche eher zu straffälligem Verhalten.

Auch der Erziehungsstil könnte eine Rolle spielen: 2015 ergab eine Untersuchung in Köln und Hamburg, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund zu Hause eher physisch von ihren Eltern bestraft werden. Häusliche Gewalt erhöht die Gewaltaffinität der Jugendlichen.

37,4
Prozent der Jugendlichen mit Migrationshintergrund kommen aus armutsgefährdeten Familien.

Zuletzt spielt das Umfeld eine Rolle: Jugendliche, die straffällige Freundeskreise haben oder in Problemvierteln leben, könnten das Verhalten ihres Umfelds eher übernehmen.

Bei größeren Ausschreitungen wie der Silvesternacht in Berlin komme es zudem zu Gruppendynamiken und Aufschaukelungsprozessen, die gewohnte soziale Normen außer Kraft setzen. Häufig spielt hier Alkoholkonsum eine Rolle und es entstehe ein „Wir gegen die“-Gefühl gegen die Polizei.

Eine Erklärung dafür ist, dass sich bei diesen Krawallen erhebliche Entfremdungsprozesse von marginalisierten Gruppen gegenüber der Gesellschaft, dem Staat und der Polizei entladen.

Walburg empfiehlt, dass problematische Gewalt- und Männlichkeitseinstellungen in Familien, Schulen und der Jugendarbeit thematisiert werden. Insbesondere neu zugewanderte Jugendliche müssten dabei unterstützt werden, die Sprache zu erlernen und Kontakte aufzubauen.

Kinder und Jugendliche aus benachteiligten Familien und Stadtvierteln könne man mit mehr und besseren Kitas und Schulen Möglichkeiten geben, sich zu entwickeln und Anerkennung zu bekommen. Wichtig seien zudem eine jugendadäquate Polizeiarbeit und gute Jugendsozialarbeit.

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