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Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat Fehler zugegeben.

© Reuters/Liesa Johannssen

Update

„Politik ist nichts für feige Leute“: Scholz übernimmt Verantwortung für Krise der Ampel

In einem Interview äußert sich der Kanzler selbstkritisch zu seiner Rolle. Ans Aufgeben habe er aber nie gedacht. Scholz prognostiziert auch, es werde schwer, die AfD zurückzudrängen.

| Update:

Die Umfragewerte sind seit Monaten im Keller, das Vertrauen in die Bundesregierung sinkt auf immer neue Tiefstwerte. Das zerstrittene Erscheinungsbild der Ampelkoalition wird auch für das Erstarken der AfD verantwortlich gemacht.

Auch mit der Arbeit von Kanzler Olaf sind immer weniger Bürgerinnen und Bürger zufrieden; seine Sympathiewerte liegen beispielsweise deutlich unter denen von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD).

Nun hat sich Scholz zu seiner Rolle in der Krise der Bundesregierung geäußert. „Als Bundeskanzler trage ich die Verantwortung für die Regierung. Punkt. Es wäre also abwegig zu sagen, ich hätte nichts damit zu tun“, sagt Scholz in einem Interview mit der „Zeit“. Auf die Frage, ob dies eine Form der Selbstkritik sei, antwortet Scholz: „Ja.“

Insgesamt nehme ich eine größere Gereiztheit wahr.

Olaf Scholz, Bundeskanzler (SPD)

Leider ist es zu selten gelungen, wichtige Beschlüsse ohne langwierige öffentliche Auseinandersetzungen zu treffen. Das müssen wir uns ankreiden lassen, und darauf hätte ich gut verzichten können“, so der Kanzler.

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Die Stimmung im Land nehme er als „unruhig“ wahr. Scholz verwies auf ökonomische und politische Verwerfungen durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, die Folgen der Pandemie. „Insgesamt nehme ich eine größere Gereiztheit wahr“, sagte der Kanzler.

Viele Bürger seien unsicher, ob „das alles gut ausgeht für sie – ob wir das hinkriegen mit dieser wohl größten industriellen Modernisierung seit mehr als 100 Jahren. Das ist eine Reise, deren Ende noch nicht abzusehen ist.“ Das wolle er „offen und ehrlich aussprechen“, so der Kanzler. Bislang hatte Scholz sich stets gewiss gegeben, dass er mit seiner Politik Recht behalten werde.

In den vergangenen zehn bis 15 Jahren sei zu viel liegen geblieben, weil Regierungen Konflikte vermieden hätten, sagte der Kanzler weiter. Und auch die gesellschaftlichen Aushandlungsprozesse hätten sich verändert, so Scholz.

„Früher wurden unterschiedliche gesellschaftliche Perspektiven in einflussreichen Organisationen, in Vereinen und Verbänden, in Gewerkschaften und Volksparteien und zwischen ihren Anhängern quasi vorverhandelt. Heute stoßen viele widersprüchliche Positionen oft das allererste Mal in einem Koalitionsausschuss aufeinander. Das ist ein Problem, denn es kommen wirklich neue und große Aufgaben hinzu“, sagte Scholz.

Scholz fordert von SPD, Grünen und FDP Willen zur Einigung

Die Auflösung von traditionellen gesellschaftlichen Strukturen sei ein Phänomen der Moderne, befand Scholz. „Deshalb ist es umso mehr unsere Pflicht, unterschiedliche politische Perspektiven in einer Regierung zusammenzubringen. Und dabei muss der Wille sichtbar werden, sich zu einigen. Das erwarte ich von allen Beteiligten. In den nächsten zwei Jahren wird das in dieser Regierung von ganz zentraler Bedeutung sein.“

Der Geist ist aus der Flasche.

Olaf Scholz, Bundeskanzler (SPD) zur AfD

Zu den Erfolgen der AfD sagt der Kanzler: „Der Geist ist aus der Flasche.“ Dies zurückzudrängen werde „schwer, wenn es um die geht, die rechte Gesinnungen haben.“ Die anderen müsse man überzeugen, „indem wir eine Politik machen, die unser Land auf den richtigen Weg führt und die Probleme angeht.“

Die Koalition habe mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz und dem neuen Staatsangehörigkeitsrecht einerseits die Grundlage dafür geschaffen, offen für Arbeitskräfte zu sein, „die in unserem Land ihre Fähigkeiten entwickeln oder einfach anpacken wollen in einer Fabrik“. Andererseits habe die Ampel „sehr weitreichende Entscheidungen getroffen, um die irreguläre Migration nach Deutschland zu begrenzen“, argumentierte Scholz.

Scholz weiter: „Die AfD schadet unserem Land. Das Erstarken rechtspopulistischer Parteien sehen wir aber überall in Europa“, sagte der Kanzler mit Blick unter anderem auf Finnland, Schweden, die Niederlande oder auch Frankreich. „Da ist also was los in unseren Gesellschaften“, so Scholz.

Politik ist nichts für feige Leute.

Olaf Scholz, Bundeskanzler (SPD)

Scholz sprach sich in dem Interview aber dagegen aus, Politikern wie dem thüringischen AfD-Landesvorsitzenden Björn Höcke die bürgerlichen Rechte zu entziehen, so wie es derzeit als Idee diskutiert wird. „Das überzeugt mich nicht, ehrlicherweise“, sagte Scholz.

„Der Mann ist politisch furchtbar und hat schlimme Ansichten, seine Worte klingen wie ein Nachhall aus der dunkelsten Zeit Deutschlands“, erklärte der Kanzler. Eine Online-Petition zur Aberkennung der Grundrechte Höckes wird nach Angaben der Organisatoren bislang von über 1,6 Millionen Menschen unterstützt.

Auf die Frage, ob ein Parteienverbot der AfD näher rücke, sagte der SPD-Politiker, dafür seien Behörden wie der Verfassungsschutz zuständig. Es sei aber eine wichtige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gewesen, die NPD aus der Parteienfinanzierung auszuschließen.

Die Frage, ob es ein Problem der Ampel sei, dass gefundene Kompromisse von der Bevölkerung nicht verstanden würden, beantwortete Scholz mit Blick auf die geplanten Streichungen der Subventionen bei den Bauern so: „Kürzungen führen zu Ärger, immer. Das war jedem klar. Niemand verzichtet gerne auf Geld vom Staat.“

Die Aufgabe als Bundesregierung sei aber, den Haushalt so aufzustellen, dass man mit dem Geld auskomme und zugleich all den Anforderungen gerecht werde, „die mit Blick auf unsere Sicherheit, auf den Kampf gegen den Klimawandel und mit Blick auf die Modernisierung unserer Wirtschaft gerade anstehen“. Es gehe natürlich nicht ohne Konflikte, so Scholz: „Politik ist nichts für feige Leute.“

Als Sozialdemokrat neige ich zu einer lutherischen Sichtweise: Letztendlich ist es eine sittliche Pflicht, zu arbeiten.

Olaf Scholz, Bundeskanzler (SPD), zu den Sanktionen beim Bürgergeld

Gefragt, ob es sein könne, dass die Menschen seine Politik einfach nicht gut fänden, erwiderte der Bundeskanzler: „Nein, die Politik ist richtig. Wir dürfen die Hände nicht in den Schoß legen, sondern müssen, wie gesagt, die Weichen für die Zukunft dieses Landes stellen und dafür sorgen, dass Deutschland auch künftig noch wirtschaftlich mithalten kann.“

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Angesprochen darauf, ob es sich bei der Einigung der Ampel auf Sanktionen beim Bürgergeld für Arbeitsverweigerer nicht um reine Symbolpolitik handele, widersprach Scholz scharf: „Nein, das ist nicht Symbolik. Als Sozialdemokrat neige ich zu einer lutherischen Sichtweise: Letztendlich ist es eine sittliche Pflicht, zu arbeiten. Unsere Gesellschaft ist auf Arbeit aufgebaut, auf dem Respekt vor der Arbeit und denen, die sie leisten. Deshalb muss es gute Löhne geben.“

Am Beispiel des geplanten Bürokratieabbaus machte Scholz in dem Gespräch deutlich, dass auch ihm manche Dinge in Deutschland zu langsam gehen. „Die Bürokratie nervt mich auch. Der Staat hat sich da über viele Jahre im Bund, in den Ländern, in den Gemeinden mit viel Liebe zum Detail ein Dickicht an Vorschriften zugelegt, das wir jetzt lichten.“

Ich bin ein zäher Kämpfer.

Olaf Scholz, Bundeskanzler (SPD)

Er verspüre selbst den Wunsch, als Bundeskanzler mal auf den Tisch zu hauen. „Aber: Die Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland sieht ihn nicht so richtig vor, wir regieren in Koalitionen.“ Sein Kurs sei aber klar, so Scholz: „Ich bin ein zäher Kämpfer. Die Entscheidungen im Kampf gegen irreguläre Migration wären wohl mit keinem anderen Kanzler möglich gewesen. Gleiches gilt für die aktuellen Anpassungen beim Bürgergeld.“

Scholz wies Gerüchte zurück, denen zufolge in der SPD unter seiner Beteiligung über eine Vertrauensfrage oder einen Kanzlerwechsel nachgedacht worden sei. Dies sei „ein Märchen“. Auf die Frage, ob er in der letzten Zeit erwogen habe, aufzuhören, sagte Scholz: „Nein.“

Mehreren Meinungsumfragen der vergangenen Wochen wie im jüngsten Politbarometer von ZDF und Tagesspiegel zufolge müssten die Regierungsparteien SPD, Grüne und FDP hohe Verluste hinnehmen, wenn schon jetzt ein neuer Bundestag gewählt würde.

Die nächste Bundestagswahl findet im Spätsommer oder Herbst 2025 statt. Die Opposition – allen voran CDU-Chef Friedrich Merz – fordert seit längerem Neuwahlen. (mit Reuters)

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