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Feiern ist vorbei - aber europäische Solidarität sollte es nicht sein (Archivbild des Europa-Parks in Rust).

© Patrick Seeger/dpa

Europa in Corona-Krise: Klotzen reicht nicht. Deutschland muss auf seine europäischen Partner zugehen

Kredite an Reformen zu knüpfen, wäre falsch. Auch die Sprache muss sich ändern. Wie Solidarität aussehen sollte. Ein Gastbeitrag

Franziska Brantner ist Parlamentarische Geschäftsführerin und Sprecherin für Europapolitik der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Es sind schwierige Zeiten für Europa. Die Weltgesundheitsorganisation hat unseren Kontinent zum Zentrum der Corona-Epidemie erklärt. Nicht nur Polen und Dänemark schließen die Grenzen. Frankreich verhängt eine Ausgangssperre, die deutschen Bundesländer schließen die Schulen. Für die nationalen Regierungen in Europa stehen nun täglich neue, tief in unser Leben eingreifende Entscheidungen an. Derweil bemüht sich die deutsche EU-Kommissionspräsidenten Ursula von der Leyen mit bislang eher bescheidendem Erfolg um ein koordiniertes Vorgehen der EU-Staaten gegen den Virus.

Hilfsaktionen für Italien sind dringend notwendig

In Wirklichkeit ist ein gemeinsames Vorgehen der europäischen Regierungen bislang für die Bürger kaum erkennbar. Im Gegenteil. Dort, wo der Virus in diesen Tagen die größte Zahl an Todesopfer fordert, nämlich in Italien, landete letzte Woche eine Frachtmaschine aus China mit dringend erforderlichen medizinischen Hilfsmitteln. In Deutschland gilt derweil weiter ein nur leicht gelockertes Exportverbot für diese Hilfsmittel, das weiter zu entschärfen sich von der Leyen vorgenommen hat, doch ohne unmittelbaren Erfolg.

Wenn es aber, wie die Bundeskanzlerin betonte, erste Aufgabe der Politik in der Virus-Krise ist, Menschenleben zu retten, sollte uns nichts davon abhalten, dazu auch in Italien unseren Teil beizutragen. Europäische Hilfsaktionen für Italien sind dringend notwendig.

Sprache der Kanzlerin verrät, dass Europa nicht im Mittelpunkt des Handelns steht

Doch Europa spielt im Corona-Diskurs der Bundesregierung nur eine untergeordnete Rolle. Man werde „nicht rein national“ handeln, verspricht die Kanzlerin, und stellt doch gerade damit das Nationale voran. Die Sprache von Kanzlerin und Vize-Kanzler verrät ein Handeln, das Europa nicht in den Mittelpunkt stellt. "Ich bin sehr stolz, dass wir so lange durchgehalten haben", sagt Finanzminister Olaf Scholz über seine rigide Haushaltpolitik, die er jetzt dadurch gerechtfertigt sieht, dass ihm in der Corona-Krise ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung stehen.

Doch das ist der richtige Stolz zur falschen Zeit. Natürlich dürfen wir Deutschen froh sein, dass die Kassen unseres Staats in der Krise nicht leer sind. Aber Defizite und europäische Sparpolitik bewirkten, dass etwa ein Land wie Frankreich seit der internationalen Finanzkrise von 2008 unter Sparzwang stand, gerade im Gesundheitswesen.

Kostenlose medizinische Versorgung ist eine unverzichtbare Errungenschaft

Schon seit einem Jahr streikt in Frankreich das Personal der Notaufnahmen gegen Sparmaßnahmen in Krankenhäusern, die sich heute, in der Corona-Krise, als folgenreiche Fehler erweisen. „Diese Epidemie offenbart uns, dass die kostenlose medizinische Versorgung unabhängig von Einkommen, Lebenslauf oder Beruf keine Haushaltslast ist, sondern eine unverzichtbare Errungenschaft, wenn uns das Schicksal einholt“, erkennt der französische Präsident Emmanuel Macron in der Corona-Krise – nachdem er selbst derjenige war, der die Streiks in den Krankenhäusern mit Sparmaßnahmen provozierte.  

Überall in Europa – man denke an die zahlreichen Krankenhausschließungen und Arzt-Entlassungen während der Euro-Krise in Griechenland – hat die rigide deutsche Sparpolitik einen Abbau des Sozialstaats und damit des Gesundheitswesens in Kauf genommen. Eben deshalb können wir Deutschen jetzt nicht unseren „Stolz“ über die eigene Lage verkünden. Das ist eine Anmaßung gegenüber anderen Europäern.

In der Corona-Virus-Krise werden voraussichtlich alle Mitgliedsstaaten der EU massiv öffentliche Gelder nutzen, um die Pandemie einzudämmen, den Menschen und der Wirtschaft zu helfen - und sich im Zweifel dafür auch verschulden. Olaf Scholz deutete am Freitag an, dass die Schuldenregeln euroweit flexibel zu interpretieren seien. Das ist auch richtig.

Italien kann sich nur teuer verschulden - das wäre eine doppelte Strafe

Aber da stellt sich bereits die Frage, zu welchen Kosten sich die einzelnen Mitgliedsstaaten verschulden können. Deutschland kann das dieser Tage günstiger als andere. Doch es wäre eine doppelte Strafe, wenn ein Land wie Italien sich in der Virus-Krise nun teuer verschulden müsste, dadurch die Zinsen auf seine Staatsanleihen in die Höhe schnellen und dazu führen, dass das Land de facto den Marktzugang verliert. Dies könnte zu einer neuen Euro-Krise führen. 

Genau dieses Krisenszenario aber zeichnete sich bereits am Freitag in der Marktreaktion auf die Intervention der Europäischen Zentralbank ab: Die Zinsen auf italienische Staatsanleihen stiegen, zu Ungunsten von Rom. Genauso für Portugal. Wir Deutschen aber sollten darin nicht die Probleme der anderen sehen: Die Auswirkungen der Pandemie können schon morgen ganz anders aussehen und jedes Land treffen. Am Ende ist es eine Pandemie, die uns alle unverschuldet trifft und die wir nur gemeinsam gut bestehen können.

Deswegen sollten die Finanzminister entschlossener handeln. Sie sollten sicherstellen, dass der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) jetzt voll für alle Euro-Länder zur Geltung kommen kann. Alle Länder brauchen jetzt die von Europa garantierte Sicherheit für die jeweils nötigen Krisenmaßnahmen.

Dafür sollte der ESM sofort eine vorsorgliche Kreditlinie für jene Länder anbieten, die darauf angewiesen sind. Diese Kreditlinie wäre dann nicht mehr wie bisherige ESM-Darlehen an umfassende Reformen im Empfängerland gebunden. Denn genau das wäre in der Corona-Krise jetzt falsch: Hilfskredite an Reformen zu koppeln. Eine vorsorgliche Kreditlinie des ESM würde dann auch den Marktzugang sichern.

Nicht an alten Krisen-Schemen festhalten

Dafür braucht es aber zunächst die Unterstützung der Bundesregierung. Statt an alten Krisen-Schemen festzuhalten, sollte sie sich an die Worte des deutschen ESM-Chefökonom Rolf Strauch halten: „Frühzeitige, vorsorgliche Stabilitätshilfen können verhindern, dass aus kleinen Problemen große Probleme werden.“ Oder aus großen Problemen noch größere.

Wobei die plötzlich so wichtige Rolle des gerade erst reformierten ESM zeigt: Nur stärkere europäische Finanzinstitutionen und eine koordinierte EU-Finanzpolitik können verhindern, dass die Märkte gegen einzelne Länder in der Krise spekulieren.

Wir müssen unsere Sprache verändern und Partner wertschätzen

Doch noch bevor einzelne Maßnahmen greifen, müssen wir unsere Sprache in der Krise ändern. Macron betonte in seiner Ansprache ans französische Volk, dass Frankreich sich „von dem inspirieren lässt, was die Deutschen mit ihrem großzügigeren und einfachen (Kurzarbeits-) System umgesetzt haben“. So klingt eine Sprache, die den Partner hervorhebt, nicht nur die eigenen Leistungen. Daran aber fehlt es in dieser Krise überall.

Statt mit Ignoranz und Hochmut sollten wir mit Respekt und Anerkennung auf Italien schauen. Norditalien verfügt über eines der besten Gesundheitssysteme der Welt. So wie der deutsche Vizekanzler zu tun, als könnten wir im Zuge des sich dort abspielenden Schreckensszenarios vor allem auf uns selbst stolz sein, macht aus uns schlechte Europäer.

Franziska Brantner

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