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Mit sich zufrieden. Benjamin Netanjahu ist länger im Amt als jeder andere israelische Premier vor ihm.

© Oded Balilty/Reuters

Netanjahus Rekord-Amtszeit: Länger im Amt als der Staatsgründer

Benjamin Netanjahu ist jetzt Israels dienstältester Premier. Was treibt den Mann an, der länger amtiert als Staatsgründer David Ben Gurion?

Auf diese Zahl hat Israels Premier Benjamin Netanjahu lange hingearbeitet: 4876 Tage wird er am Sonnabend im Amt sein und damit den legendären Staatsgründer David Ben Gurion als dienstältesten Ministerpräsidenten in der Geschichte des Landes überholen.

Netanjahu, ein Rekordbrecher – das gefällt dem Machthungrigen. Zunächst regierte „Bibi“, wie sie ihn alle nennen, von 1996 bis 1999, dann ab 2009 wieder, bis heute.

Der 69Jährige ist überzeugt, dass es im jüdischen Staat keinen gibt, der diesen Job so gut machen kann wie er.

Trotz Ermittlungen und drohender Anklage in drei Korruptionsfällen ist es ihm gelungen, sich im Amt zu halten. Wer ist dieser Mann, was ist sein Erfolgsgeheimnis? Versuch einer Typologie.

Mr. Security

Bedrohungen erkennen, Gefahren bekämpfen, die Heimat beschützen: Wer in Israel als Politiker erfolgreich sein will, muss die Sicherheit des Landes zur Priorität eigenen Handelns erklären. Überraschen kann das nicht. Der jüdische Staat ist von Feinden umgeben, seine Sicherheit keine Selbstverständlichkeit.

Auch Netanjahu lässt keine Gelegenheit aus, dies zu betonen. So behauptet „Mr. Security“ unermüdlich, nur er sei in der Lage, das Land vor dem Schlimmsten zu bewahren – und viele Bürger sehen das auch so. Das erklärt zum großen Teil Netanjahus Wahlerfolge. Dass sich Netanjahu glaubhaft für Israels Wohlergehen einsetzt, kommt nicht von ungefähr.

Seit dem Tod seines Bruders – er kam 1976 im ugandischen Entebbe bei einer Geiselbefreiung ums Leben – hat „Bibi“ den Antiterrorkampf zu einem Lebensthema gemacht. Während seiner Amtszeit gab es bisher keine längeren Kriege, Anschlagsserien blieben aus. So gibt der Regierungschef den Menschen ein Gefühl der Sicherheit.

Längst hat Netanjahu den Iran zur größten Gefahr erklärt. Unermüdlich warnt er vor den Mullahs und ihren atomaren Ambitionen. Und das schon seit vielen Jahren. Der Ministerpräsident hat den Kampf gegen diese Bedrohung zu seiner Mission gemacht. Eine Mehrheit der Israelis hält die Gefahr, die von Teherans Führung ausgeht, ebenfalls für real – und mit Blick auf die permanenten Vernichtungsankündigungen für existenziell.

Seine Mission. Israels Premier warnt ständig vor der Bedrohung durch den Iran, vor allem Teherans Atomprogramm.
Seine Mission. Israels Premier warnt ständig vor der Bedrohung durch den Iran, vor allem Teherans Atomprogramm.

© Lucas Jackson/Reuters

Der Spalter

Netanjahus Weltbild ist recht simpel. Es gibt darin nur zwei Lager: die Guten, also die Rechten, die auf seiner Seite stehen und Nationalismus predigen. Und die Bösen, also die Linken, die Friedensaktivisten, die „Landesverräter“ und die „sich selbst hassenden Juden“, die seine Ansichten nicht teilen wollen. Dazwischen? Nichts.

Nach zehn Jahren im Amt hat er Israel tief gespalten. In dieses „linke“ Lager steckt Netanjahu nicht nur regierungs- und besatzungskritische Nichtregierungsorganisationen. Seine politischen Kontrahenten beschimpft er ebenfalls konsequent als „links“, darunter sogar den rechtsnationalen, säkularen Avigdor Lieberman von der Partei „Unser Haus Israel“ , weil der während der Koalitionsverhandlungen nicht zu Kompromissen gegenüber den Ultraorthodoxen bereit war. Oder Benny Gantz vom Bündnis „Blau-Weiß“, den früheren Armeechef, obwohl in dessen Parteiprogramm noch nicht mal die Zweistaatenlösung für die Palästinenser erwähnt wird.

„Links“ gilt in Israel mittlerweile als Schimpfwort – rechts zu sein, ist unter Netanjahu dagegen salonfähig geworden. Um das rechte Lager zu stärken, und damit seine eigene Macht, schreckt der Premier mittlerweile nicht einmal mehr davor zurück, mit Extremisten zu koalieren. Und die arabische Bevölkerung grenzt Netanjahu gleich vollständig aus. Israel sei der Nationalstaat des jüdischen Volkes. Punkt.

Der Hardliner

Um seine Macht zu sichern, ist sich Netanjahu für fast nichts zu schade. Wahlkämpfe führt der Premier rücksichtslos, schlachtet selbst kleinste Fehler seiner Gegner brutal aus. Auch Benny Gantz bekam das zu spüren. Nachdem er im vergangenen Wahlkampf zwei misslungene Fernsehinterviews gab, dabei müde und unerfahren wirkte, schlug Netanjahu zu: Gantz sei psychisch labil. Wie soll so einer vor die Weltführer treten?

Dass es für Netanjahu selbst eng werden könnte, ihm eine Anklage in drei Korruptionsfällen wegen Bestechlichkeit, Betrug und Untreue droht, tut er als Teil der linken Hetzkampagne ab. „Es wird nichts geben, weil es nichts gegeben hat“, lautet sein Mantra seit mehr als zwei Jahren.

Den Linken und den Medien wirft er vor, Generalstaatsanwalt Avichai Mandeblit bedrängt und eine Anklage erzwungen zu haben. Noch allerdings ist diese bislang nicht offiziell eingereicht. Dafür bedarf es einer Anhörung Netanjahus, die für Oktober angesetzt ist.

Der Ministerpräsident will darauf nicht warten. Er bereitet bereits die Entmachtung des Obersten Gerichts und die Rückkehr zu einem Immunitätsgesetz von 2015 vor, um der Anklage zu entgehen. Viele Bürger sehen deshalb die demokratischen Grundlagen des Staats wie Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung in Gefahr.

Ein Fall fürs Gericht? Netanjahu steht unter Korruptionsverdacht.
Ein Fall fürs Gericht? Netanjahu steht unter Korruptionsverdacht.

© Amir Cohen/Reuters

Jetzt rudert Netanjahu zurück. Niemand ändere das Gesetz, weil es nicht geändert werden müsse und er einen derartigen Schritt nicht nötig habe. Ohnehin schätzt er die Zweideutigkeit, das Ungefähre. Zum Beispiel beim Konflikt mit den Palästinensern. Er weiß, dass die internationale Staatengemeinschaft noch immer auf die Zweitstaatenlösung baut – und formulierte deshalb lange Zeit vage und vorsichtig.

Etwa 2018, als der damalige deutsche Außenminister Sigmar Gabriel Israel besuchte: Sein Land werde auch künftig die Sicherheit westlich des Jordans kontrollieren, sagte Netanjahu damals. „Ob das dann als Staat definiert wird, wenn wir die militärische Kontrolle haben… Bezeichnungen möchte ich lieber nicht diskutieren.“

Seit US-Präsident Donald Trump im Amt ist, weiß Netanjahu allerdings, dass er einen mächtigen Verbündeten hat, der seine harschen Positionen teilt. Im Frühling kündigte Israels Premier an, einen Teil des Westjordanlandes annektieren zu wollen. Ein bloßes Wahlkampfmanöver, um Stimmen im nationalreligiösen Siedler-Lager zu sichern?

Der Medienprofi

Wie wichtig mediale Präsenz ist, hat Netanjahu schon früh in seiner Karriere als Diplomat in Washington erkannt. In den 80er Jahren lernte er bei einer bekannten amerikanischen Rhetoriktrainerin, selbstsicher und angstfrei zu sprechen.

Heute wirkt er bei öffentlichen Auftritten souverän, wortgewandt, staatsmännisch. Für Interviews ist er dennoch nur selten zu haben. Netanjahu bezichtigt Journalisten, gegen ihn zu hetzen, und sieht sie als Teil der „linken Verschwörung“ gegen ihn. Stattdessen postet der Regierungschef eigene Videos auf Facebook. So kann er Themen selbst setzen und seine Botschaften ungefiltert verbreiten.

Die klassischen Medien nutzt Netanjahu nur, wenn sie ihm nützen könnten. Zum Beispiel, wenn er zur besten Sendezeit, zu Beginn der Abendnachrichten, Beweise über ein geheimes iranisches Atomwaffenprogramm vorlegt. Oder, wie im Mai geschehen, noch einmal Druck auf seine politischen Gegner ausüben möchte und Ängste vor angeblichem Chaos schürt, das ohne ihn ausbrechen würde.

Auf einer Linie. Donald Trump und Benjamin Netanjahu kennen sich seit vielen Jahren.
Auf einer Linie. Donald Trump und Benjamin Netanjahu kennen sich seit vielen Jahren.

© Matty Stern/Planet Pix via Zuma Wire/dpa

Der Diplomat

Ein Telefonat mit Donald Trump, ein Treffen mit Wladimir Putin, ein Besuch bei Angela Merkel – wie kein anderer israelischer Premier vor ihm mischt Netanjahu mit, wenn es um Weltpolitik geht. Seinen Draht zu den Mächtigen weiß er zu nutzen. Und der dürfte es ihm erleichtert haben, neue Wege zu beschreiten und aus Gegnern Verbündete zu machen.

Das gilt insbesondere für die arabischen Königshäuser. Netanjahu ist es gelungen, aus einer erbitterten Feindschaft eine Art informellen Frieden zu zimmern. Entscheidend dafür: Die sunnitischen Herrscherhäuser teilen die Weltsicht des israelischen Regierungschefs – die größte Gefahr geht vom Iran aus.

Das sieht Trump genauso. Dessen Wahl zum US-Präsidenten war für Netanjahu ein Glücksfall. Beide verbindet nicht nur eine jahrelange Freundschaft, sondern auch die Überzeugung, dass Israels Belange in der Region Beachtung finden müssen. Im Nahen Osten kommt keiner an den beiden vorbei.

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