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Friedrich Merz, Vorsitzender der CDU

© Imago/Reuhl

Update

„Enttäuschender“ Flüchtlingsgipfel: CDU-Chef Merz warnt vor neuer „Migrationskrise“

Der Kanzler und die Länderchefs haben sich bei einem Spitzentreffen auf eine neue Lastenverteilung bei den Flüchtlingskosten geeinigt. Nicht nur die Kommunen kritisieren die Ergebnisse.

| Update:

Nach dem Bund-Länder-Treffen zur Flüchtlingspolitik hat der Unionsfraktionsvorsitzende Friedrich Merz vor einer neuen „Migrationskrise“ gewarnt. „Ohne wirksamen Grenzschutz, Druck auf die Herkunftsstaaten und eine echte Rückführungsoffensive schlittert Deutschland in eine neue Migrationskrise“, sagte der CDU-Chef am Donnerstag den Zeitungen der Funke Mediengruppe.

Die irreguläre Migration müsse spürbar begrenzt werden, sagte Merz. Die Ergebnisse des Flüchtlingsgipfel sind Merz zufolge „enttäuschend“. „Bundeskanzler Scholz spielt auf Zeit und will die Probleme bis zum November aussitzen“, betonte er weiter. Damit werde die Situation für Helfer, Landräte und Geflüchtete immer schwieriger.

Bund und Länder hatten sich am Mittwoch nach monatelangem Streit wegen der steigenden Flüchtlingszahlen auf eine zusätzliche Unterstützung der Kommunen verständigt. Vertagt wurde nach mehrstündigen Verhandlungen hinein dagegen die Entscheidung über die künftige Struktur der Bundeshilfen, wie das Länder im Vorfeld gefordert hatten.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sprach nach der Ministerpräsidentenkonferenz dennoch von einem „guten Tag für den Föderalismus“, weil man sich „zusammengerauft“ habe.

Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser begrüßte die Ergebnisse des Bund-Länder-Treffens. „Ich freue mich sehr über die Einigung, die zeigt, dass alle staatlichen Ebenen gemeinsam ihrer großen humanitären Verantwortung gerecht werden“, teilte die SPD-Politikerin am Donnerstagmorgen mit. „Dieses Maßnahmenpaket spiegelt exakt die Grundlinien unserer Flüchtlingspolitik wider: Wir schützen die Menschen, die vor Krieg und Terror geflüchtet sind. Damit wir hierzu weiter in der Lage sind, begrenzen wir die irreguläre Migration.“

Bei den Kommunen und bei der Opposition im Bundestag stießen die Gipfelergebnisse auf Kritik. „Eine Einigung erst im November kommt für das Jahr 2024 deutlich zu spät und stößt bei den Kommunen auf große Enttäuschung“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds, Gerd Landsberg, der „Rheinischen Post“.

Er äußerte sich mit Blick darauf, dass eine dauerhafte Lösung zur Finanzierung der Flüchtlingsunterbringung auf den Herbst vertagt worden war. Die nun bewilligte Milliarde sei „nur ein Tropfen auf den heißen Stein“. 

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„Das ist ein schlechtes Signal an die Städte“, sagte Städtetags-Präsident Markus Lewe der Zeitung. „Mit einer Vertagung drängender Probleme können die Landkreise nicht wirklich zufrieden sein“, sagte der Präsident des Deutschen Landkreistages, Reinhard Sager, den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Die Vertreter der Kommunen waren zu dem Treffen nicht eingeladen worden.

Der Grünen-Vorsitzende Omid Nouripour forderte rasch weitere Schritte. „Die Kommunen tragen eine große Last zurzeit“, sagte er am Donnerstag im ARD-„Morgenmagazin“. Einige Kommunen seien wirklich am Limit, und deshalb brauche es schnell Hilfe. „Jenseits aller anderen Diskussionen ging es darum, dass jetzt Geld fließt. Und das ist gelungen.“

Nouripour räumte zugleich ein: „Ich verstehe aber auch all diejenigen, die sagen: Wir müssen langfristige Lösungen genau für diese Frage finden. Und deshalb muss man jetzt so schnell wie möglich zu Lösungen kommen bei der Finanzierung. Wer sich von Gipfel zu Gipfel hangelt, der kriegt keinen Boden unter die Füße.“ Die vereinbarte Arbeitsgruppe müsse daher so schnell wie möglich Lösungen für die Zeit nach 2023 finden. 

Was die Kommunen eigentlich eingefordert haben, nämlich Planungssicherheit bei den Finanzen und eine Begrenzung der Zuwanderung – das ist nicht beschlossen worden.

Unionfraktionsvize Andrea Lindholz

Die Union kritisierte die Ergebnisse des Gipfels als „verpasste Chance“. „Für mich war es ein Gipfel der verpassten Chancen“, sagte Unionfraktionsvize Andrea Lindholz (CSU) am Donnerstag im ARD-„Morgenmagazin“. Die Kommunen seien nicht mit am Tisch gewesen. Dies hätten die kommunalen Vertreter auch zu Recht kritisiert.

Sie erkenne zwar an, dass es nun für dieses Jahr eine Milliarde Euro mehr gebe - aber: „Was die Kommunen eigentlich eingefordert haben, nämlich Planungssicherheit bei den Finanzen und eine Begrenzung der Zuwanderung - das ist nicht beschlossen worden“, kritisierte Lindholz.

CSU-Chef Söder gibt sich wenig optimistisch

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder kritisierte die Ergebnisse als „große Enttäuschung“ kritisiert und forderte rasch mehr Geld vom Bund „Nur eine Milliarde Euro für ganz Deutschland ist lediglich ein Tropfen auf den heißen Stein. Das ist ein dünnes und mageres Ergebnis und für die Kommunen viel zu wenig - das muss von der Ampel dringend aufgestockt werden“, sagte der CSU-Vorsitzende am Donnerstag der Deutschen Presse-Agentur in München.

Der Hinweis des Bundes auf seine Haushaltslage könne nicht das letzte Wort sein. „Über Unterbringung und Humanität darf nicht nach Kassenlage entschieden werden“, warnte Söder. Deshalb müsse dringend nachgearbeitet werden. Er gab sich allerdings nach dem Verlauf des Abends wenig optimistisch, dass der Bund dazu bereit ist.

„Der Ampel ist der Ernst der Situation und die Belastungsgrenze in den Kommunen offensichtlich nicht bewusst. Dieser Migrationsgipfel kann erneut als gescheitert betrachtet werden“, sagte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt am Donnerstag der Deutschen Presse-Agentur in Berlin.

„Die Kommunen brauchen keine Scheinlösungen und weitere Zeitverzögerungen. Sie brauchen dringende Unterstützung, bei den Kosten aber vor allem auch bei Infrastruktur, Kitaplätzen und sozialer Unterstützung“, verlangte Dobrindt. Er ergänzte: „Die Chance auf echte Entscheidungen zur Begrenzung und Steuerung der Migration wurden ebenfalls verpasst.“

Eine Milliarde Euro zusätzliche Beteiligung des Bundes

Der Fraktionschef der Linken im Bundestag, Dietmar Bartsch, nannte die Runde im Kanzleramt im Gespräch mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) einen „Enttäuschungsgipfel“.

Die Vorsitzenden der AfD-Fraktion, Alice Weidel und Tino Chrupalla, bezeichneten die Ergebnisse als „nicht geeignet, die dringend erforderliche Migrationswende in Deutschland einzuleiten. Noch mehr Geld für noch mehr Flüchtlinge wird die Flüchtlingskrise nicht lösen, sondern verlängern.“

Der Kompromiss sieht vor, dass der Bund seine Finanzhilfe für die mit der Unterbringung strapazierten Kommunen in diesem Jahr um eine weitere Milliarde aufstockt.

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Im vergangenen November war bereits vereinbart worden, dass er 2,75 Milliarden Euro als „flüchtlingsbezogene Pauschale“ an die Länder zahlt, die diese an ihre Städte und Gemeinden weiterreichen. Im Vorfeld hatten sowohl Scholz als auch Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) noch davon gesprochen, dass es keine finanziellen Spielräume mehr gebe.

Die zentrale Länderforderung nach Rückkehr zu einem „atmenden System“, das die Bundeshilfen nicht mehr pauschal bereitstellt, sondern wieder abhängig von den tatsächlichen Ankunftszahlen und zur Dauereinrichtung macht, ist ebenfalls Teil der Vereinbarung. In dem Beschlusspapier des Gipfels heißt es: „Aus Sicht der Länder bedarf es eines atmenden Systems, bei dem sich die finanzielle Unterstützung des Bundes an den Zugangszahlen der Geflüchteten orientiert.“

Wüst: „Mehr war heute nicht drin“

Sie beinhaltet allerdings keine inhaltliche Festlegung, sondern lediglich einen Fahrplan hin zu einer Entscheidung im November. So soll etwa eine gemeinsame Bund-Länder-Arbeitsgruppe im Juni einen Zwischenbericht dazu vorlegen.

Die Aufstockung der Beteiligung gilt als Zugeständnis an die Länder. Die sehen allerdings den Bund grundsätzlich in der Pflicht. „Der Bund allein hält den Schlüssel zur Steuerung und Begrenzung der Migration in der Hand. Solange er diesen Schlüssel nicht ausreichend nutzt, muss er sich an den Kosten der Länder und Kommunen beteiligen“, sagte Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU), der im November Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) sein wird.

„Mehr war heute nicht drin“, sagte NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU), der sich angesichts der angespannten Haushaltslage des Bundes zugleich für das zusätzliche Geld bedankte. In einer Protokollerklärung nannten die Länder Bayern, Sachsen und Sachsen-Anhalt diese Summe „völlig unzureichend“, da sie „der Belastungssituation vor Ort in keiner Weise gerecht werde“.

Niedersachsens Regierungschef Stephan Weil (SPD) verteidigte dagegen den Kompromiss: „Das waren die schwierigen Gespräche, die alle im Vorfeld erwartet hatten.“

Auch europäische Maßnahmen zur Reduzierung der Flüchtlingszahlen

Überwiegend begrüßt wurden Absichtserklärungen der Bundesregierung, die sogenannte irreguläre Migration stärker einzudämmen, auch wenn hierfür noch Verhandlungen auf EU-Ebene bevorstehen. Um Abschiebungen konsequenter durchzusetzen, hätten sich Bund und Länder auch darauf verständigt, die maximale Dauer des Ausreisegewahrsams von derzeit 10 auf 28 Tage zu verlängern, sagte Bundeskanzler Scholz.

Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl kritisierte scharf, dass sich Bund und Länder für Asylverfahren an den Außengrenzen der EU starkmachen wollen. Pro Asyl sei „schockiert, dass der Gipfel zu einer Finanzeinigung auf Kosten der Menschenrechte fliehender Menschen geführt hat“, sagte die rechtspolitische Sprecherin von Pro Asyl, Wiebke Judith, den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Donnerstagausgaben).

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„Haftzentren an den EU-Außengrenzen sind das Rezept für ein menschenrechtliches Desaster“, kritisierte Judith und forderte, die Bundesregierung müsse „dringend zu einer menschenrechtsbasierten Politik“ zurückkehren. Es sei zu hoffen, „dass in wenigen Wochen nicht die gleiche Debatte tobt - denn diese öffentliche Diskussion war Wasser auf den Mühlen der Rechtspopulisten“, monierte sie.

Laut dem Beschlusspapier des Treffens im Kanzleramt will sich der Bund im Zuge der geplanten EU-Asylreform dafür einsetzen, dass Verfahren für bestimmte Personengruppen verpflichtend schon „an den EU-Außengrenzen“ erfolgen. Dabei geht es um Menschen, „bei denen voraussichtlich eine geringe Chance auf Zuerkennung von internationalem Schutz besteht“, wie es in dem Papier heißt.

Rückführungen sollen dann direkt von dort erfolgen. In den vergangenen Jahren sind Anläufe für die Asyl-Reform wegen zu unterschiedlicher Interessen der EU-Mitgliedstaaten aber immer wieder gescheitert.

In Ausreisegewahrsam können Menschen genommen werden, die in ihre Heimatländer abgeschoben werden sollen, sich aber häufiger unkooperativ verhalten haben - zum Beispiel mit falschen Angaben über ihre Staatsangehörigkeit.

Vereinbart wurden den Angaben vom Gipfel zufolge auch erweiterte Zuständigkeiten der Bundespolizei und ein verbesserter Informationsaustausch zwischen Justiz- und Ausländerbehörden. (dpa, AFP)

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