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Horst Seehofer und Angela Merkel im März 2018

© imago/Jens Schicke

Merkels EU-Flüchtlingspolitik: Der Asyl-Streit der Union hat auch sein Gutes

Die CSU sollte die komplizierte Flüchtlingsdiskussion auf EU-Ebene genau verfolgen. Oder will sie das Bündnis mit Merkel grundsätzlich sprengen? Dann ist ihr nicht mehr zu helfen. Ein Kommentar.

Etwas Gutes hat der Streit mit Kanzlerin Angela Merkel, den die CSU mit ihrer Drohung von Zurückweisungen an der Grenze vom Zaun gebrochen hat, zumindest: Der politische Druck, der in Berlin und München entstanden ist, hat Bewegung in die europäische Diskussion um das weitere Vorgehen in der Flüchtlingspolitik gebracht. Vier Punkte werden in der zähen Debatte zwischen den EU-Staaten deutlich.

Erstens: Das von Merkel immer wieder beschworene Ziel, auch mit afrikanischen Staaten Vereinbarungen zu schließen, bleibt auf der Tagesordnung. Die Europäer werden es sich etwas kosten lassen müssen, wenn die Herkunfts- und Transitstaaten künftig dafür sicherstellen sollen, dass Migranten gar nicht erst die gefährliche Reise zum südlichen Rand des Mittelmeers antreten. Zu Recht fordert EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani, dass die EU-Staaten nach dem Vorbild des Abkommens mit der Türkei mindestens sechs Milliarden Euro bereitstellen sollten, um die Mittelmeerroute zu schließen.

Zweitens: Der Ausbau der EU-Grenzschutzagentur Frontex wird unerlässlich sein, damit die EU-Außengrenzen im Mittelmeer nicht mehr zum Schlupfloch für Schlepper werden.

Die Frage der Flüchtlings-Verteilung bleibt ungelöst

Drittens: Auch der beste Schutz der EU-Außengrenzen wird voraussichtlich nichts daran ändern, dass Migranten – in welcher Größenordnung auch immer – auch weiterhin in der EU Asyl beantragen. Damit stellt sich weiterhin die Frage: Wie können Ankunftsstaaten wie Italien, Spanien oder Griechenland entlastet werden?

Viertens: Italien nimmt in der gegenwärtigen europäischen Asyldiskussion eine Schlüsselrolle ein. Für die Regierung in Rom hat der verstärkte Schutz der europäischen Außengrenzen, der ohnehin in den EU-Beschlüssen seit 2016 immer wieder in den Vordergrund gerückt wurde, oberste Priorität. Ganz anders ist die Sichtweise von Mitgliedstaaten wie Deutschland und Österreich: Diese Länder haben ein Problem damit, dass in Italien registrierte Flüchtlinge häufig früher oder später bei ihnen landen. Zu Recht fordert inzwischen auch Merkel, dass Flüchtlinge es sich nicht aussuchen können, in welchem EU-Staat sie Asyl beantragen.

Italiens Plan der "sicheren Häfen" hat Schwächen

Der Streit zwischen dem Ankunftsstaat Italien und den von der „Sekundärmigration“ betroffenen Ländern Deutschland und Österreich ist der eigentliche Kern der gegenwärtigen Debatte. Sie sollte beim EU-Gipfel Ende der Woche und wahrscheinlich noch darüber hinaus geführt werden. Dabei wird vor allem Merkel diplomatisches Fingerspitzengefühl beweisen müssen. Ausgerechnet der Populisten-Regierung in Rom muss sie entgegenkommen, um dann möglicherweise in einem zweiten Schritt eine Lösung zu erzielen, die ein Weiterziehen von Flüchtlingen in Europa verhindert.

Dabei lohnt es sich durchaus, den vom italienischen Ministerpräsidenten Giuseppe Conte ins Spiel gebrachten Plan der „sicheren Häfen“ im Mittelmeer als Ausgangspunkt der Diskussion zu nutzen. Conte geht es bei diesem Konzept darum, dass Italien bei der Aufnahme von Flüchtlingen grundlegend entlastet wird und Migranten von vornherein auf alle EU-Staaten verteilt werden. Der Plan hat allerdings Schwächen: An erster Stelle wäre einzuwenden, dass die „sicheren Häfen“ einen „Pull-Effekt“ für die Schlepper ausüben würden.

Ein Bekenntnis zur Stärkung von Frontex wird beim Gipfel nicht ausreichen

Sinnvoller wäre hingegen ein Konzept zur Verteilung der Flüchtlinge, das Emmanuel Macron vorsieht. Der Vorschlag des französischen Präsidenten, geschlossene Zentren auf europäischem Boden zu errichten, hat es verdient, beim EU-Gipfel diskutiert zu werden – unter der Voraussetzung, dass auch Frankreich bereit wäre, solche Zentren einzurichten.

Ein solches Entgegenkommen Macrons würde nebenbei helfen, die französisch-italienischen Animositäten in der Flüchtlingsdebatte zu mildern. In jedem Fall sollte sich der EU-Gipfel um die schwierige Frage nicht herumdrücken, wie mit den Flüchtlingen auf EU-Boden verfahren werden soll. Ein wohlfeiles Bekenntnis zum Ausbau von Frontex allein wird nicht ausreichen.

Osteuropäer am Pranger

Nicht schonen sollte der EU-Gipfel übrigens auch die Osteuropäer, die dem Brüsseler Sondertreffen am Wochenende ferngeblieben sind. Immer deutlicher zeigt sich, dass die EU um finanzielle Sanktionen für jene Länder nicht herumkommen wird, die jeglichen Beitrag bei der Aufnahme von Flüchtlingen verweigern.

All diese Gesprächsstränge sollte die CSU im Auge behalten, wenn sie demnächst über Merkels Fortschritte auf EU-Ebene richten will. Möglicherweise geht es der CSU aber gar nicht mehr um die Zurückweisungen an der Grenze, sondern um Merkels moderierenden Regierungsstil insgesamt. Wenn die Christsozialen allerdings grundsätzlich das Bündnis mit der Kanzlerin in Frage stellen wollen, dann ist ihnen auch nicht mehr zu helfen.

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