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Seit der Coronakrise häufen sich rassistische Angriffe auf Menschen, die als asiatisch wahrgenommen werden.

© Andrej Ivanov/AFP

Nach dem Attentat in Atlanta: „Anti-asiatischer Rassismus sollte Thema der Mehrheitsgesellschaft sein“

Anti-asiatischer Rassismus ist nicht allein ein Problem der USA. Das betonen Aktivist:innen und Studien. Und auch in Deutschland häufen sich Angriffe.

Wieder sind aus rassistischen Motiven heraus Menschen getötet worden: Vergangenen Dienstag hatte ein 21-jähriger Schütze drei Massagestudios im Großraum Atlanta gestürmt und acht Personen erschossen. Sechs von ihnen waren Frauen asiatischer Herkunft. Die Attacke auf Menschen in drei Massagesalons in den USA schürt auch in Deutschland die Angst vor zunehmendem anti-asiatischen Rassismus.

Am Tag des Attentats veröffentlichte die amerikanischen Organisation „Stop AAPI Hate” einen Bericht, demzufolge Hassverbrechen gegen asiatischstämmige Menschen in den USA im vergangenen Jahr zugenommen haben. Fast 38.000 Übergriffe wurden registriert. Frauen waren überdurchschnittlich oft betroffen.

Aber auch in Deutschland belegen Daten eine Zunahme von Angriffen gegen als asiatisch wahrgenommene Menschen – ausgelöst durch die Coronakrise: Die deutsche Studie „Soziale Kohäsion in Krisenzeiten” berichtet von einem Zusammenhang zwischen zunehmenden Angriffen und der Coronakrise.

Dafür haben Wissenschaftler:innen, unter anderen der Humboldt-Universität zu Berlin, zwischen Juli und Dezember vergangenen Jahres 700 Menschen befragt, die wegen ihres Aussehens für asiatisch gehalten werden. Viele von ihnen sind Deutsche. 

Der Studie nach gaben 49 Prozent der Befragten an, die Diskriminierung gegen sie habe zugenommen. 62 Prozent von ihnen hätten verbale Angriffe erlebt, elf Prozent körperliche. Die Angriffe ereigneten sich demnach auf der Straße, in Geschäften, in Cafés und Restaurants und am Arbeitsplatz.

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Ursache sei die mediale Berichterstattung in der Pandemie, heißt es in der Studie. Die sei nämlich „vielfach klischeebeladen und stereotyp” und nehme Schuldzuweisungen vor. 

Corona spitzt die Lage zu

Ein Mitarbeiter des chinesischen Restaurants „Ming Dynastie" in Berlin-Mitte, das zu den bekanntesten Berlins zählt, erzählt dem Tagesspiegel, dass Freunde und Bekannte ihm immer wieder von rassistischen Beleidigungen auf der Straße berichten würden. Zum Beispiel, als sie noch vor Einführung der Maskenpflicht einen Mund-Nasen-Schutz trugen. Gegen ihn selbst bemerkt er jedoch seit Corona keine vermehrten Angriffe. Seinen Namen will er nicht nennen.

Doch wieso verstärkt gerade die Pandemie Rassismus gegen asiatisch gelesene Menschen? Der erste bekannte Fall des Coronavirus wurde im chinesischen Wuhan dokumentiert, von dort aus breitete sich das Virus. Doch das Virus ist kein “chinesisches Virus”, wie etwa der ehemalige US-Präsident Donald Trump immer wieder betonte.

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Sars-CoV-2 ist ein biologisch-medizinisches Phänomen, doch es wird in der öffentlichen Wahrnehmung häufig mit China in Verbindung gebracht. Das passt in ein historisch gewachsenes, rassistisches Narrativ, wie die Bundeszentrale für politische Bildung schreibt: “Seit dem 19. Jahrhundert wird die ‘Gelbe Gefahr’ mit der Entstehung und Verbreitung von Epidemien wie der Pest, in der jüngeren Vergangenheit mit Infektionskrankheiten wie Sars verknüpft.”

Offizielle Stellen: das Problembewusstsein fehlt

Hinzu kommt, dass anti-asiatischer Rassismus in Deutschland nicht weitreichend als Problem bekannt ist. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes stellt fest, ein Bewusstsein für anti-asiatischen Rassismus sei „in Deutschland bislang kaum ausgeprägt” und teilt dem Tagesspiegel mit:

„In Deutschland gab und gibt es gerade im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie Übergriffe auf der Straße, Beleidigungen im Supermarkt, verweigerte Arztbesuche und Wohnungsbesichtigungen, Diskriminierungen bei der Arbeit, negative Stereotypen in der Berichterstattung und rassistische Posts in den sozialen Medien.”

Nach dem Attentat von Atlanta protestierten Tausende Menschen in großen US-amerikanischen Städten gegen Rassismus.
Nach dem Attentat von Atlanta protestierten Tausende Menschen in großen US-amerikanischen Städten gegen Rassismus.

© John Lamparski/imago images/ZUMA Wire

Auch in den Kriminalstatistiken werden anti-asiatische Motive nicht eigens gelistet. Das Bundesinnenministerium teilt auf Anfrage mit, dass diese Straftaten als „politisch motivierte Kriminalität” unter den Themenfeldern „ausländerfeindlich”, „fremdenfeindlich” oder „Rassismus” registriert würden. 

„Kontinuität von Morden auch in Deutschland“

Thủy-Tiên Nguyễn engagiert sich bei beim Netzwerk „korientation e.V.”. Sie sieht anti-asiatischen Rassismus nicht als Problem in den USA, es sei ebenso ein deutsches Problem: „Auch in Deutschland gibt es eine Kontinuität von Morden an asiatischen und asiatisch gelesenen Menschen.“ Sie nennt die rassistisch motivierten Brandanschläge in Hamburg 1980, Hoyerswerda 1991 und Rostock-Lichtenhagen 1992.

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Auch Thị Minh Huyền Nguyễn, Mitbegründerin der Plattform ichbinkeinvirus.org, die zu Beginn der Coronakrise entstand, kritisiert das fehlende Problembewusstsein in Deutschland: „Anti-asiatischer Rassismus in Deutschland sollte Thema der Mehrheitsgesellschaft sein.“ Aus Sicht der beiden Aktivistinnen berichteten deutsche Medien zu spät über die die Morde in Atlanta vergangene Woche.

Ein weiteres Problem sei, dass über das Motiv des Täters zu viel spekuliert worden sei. Am Tag der Tat schlossen die Polizeibehörden Rassismus als Motiv zunächst aus. Der Sprecher der zuständigen Polizeibehörde in Cherokee, Jay Baker, diagnostizierte dem Tatverdächtigen Sexsucht.

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„Gestern war ein wirklich schlechter Tag für ihn”, kommentierte er die Tat. Diese Aussage sorgte für Ärger und Empörung unter Aktivist:innen in den USA und Deutschland. „Politiker:innen, Polizist:innen und Journalist:innen sollten aufhören, solche Anschläge zu relativieren und zu versuchen, den Tätern psychische Motive anzudichten”, sagt Thủy-Tiên Nguyễn dazu. „Die Morde werden aus rassistischen Motiven begangen.“ 

Wenn Rassismus besonders Frauen trifft

Sexismus und Rassismus seien in dieser Hinsicht miteinander verwoben. „Wir Frauen werden fetischisiert und exotisiert“, sagt Thị Minh Huyền Nguyễn. „Es herrscht dieses Narrativ dieser unterwürfigen asiatischen Frau vor.” Die Politikwissenschaftlerin Kimiko Suda bestätigt diesen Eindruck. Insbesondere Asiatisch-Deutsche, asiatische und asiatisch gelesene Frauen würden Diskriminierung erfahren.

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„Auch in deutschen Krimiserien findet sich dieses Narrativ der asiatischen unterwürfigen, übersexualisierten und sozial niedrig positionierten Frau”, sagt Suda. Narrative, die dieser Diskriminierung zugrunde liegen, reichten bis ins 13 Jahrhundert zurück, erklärt Suda.

„Als europäische Missionare und Kaufleute – etwa auch Marco Polo – nach Asien reisten, beschrieben sie die Frauen dort schon als ‚exotisch‘ und ‚unterwürfig‘. Diese Klischees werden in der Kultur aktuell weiterhin reproduziert.“ 

Und doch, Kimiko Suda ist auch etwas optimistisch: In letzter Zeit würden sich immer mehr Leute in Deutschland gegen diese Art des Rassismus wehren, besonders in den sozialen Medien. „Da tut sich was.” (Mitarbeit: Patrick Volknant)

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