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Brexit-Gegner protestieren in London

© Reuters/Henry Nicholls

Nach der Brexit-Abstimmung: Die Briten selbst sollten noch einmal das Wort haben

Theresa May wird der EU keine Zugeständnisse für den Brexit mehr abringen können. Ein zweites Referendum oder Neuwahlen wären besser. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christian Tretbar

Die Niederlage für Theresa May ist deutlich. Deutlicher als erwartet. Und ja, die EU sollte sich verhandlungsbereit zeigen aus purem Eigeninteresse, weil ein ungeregelter Brexit ein enormes politisches, wirtschaftliches und sicherheitspolitisches Risiko wäre.

Aber nach so einem politischen Desaster sollten auch die Briten selbst wieder das Wort haben: entweder in Form eines zweiten Referendums oder in Form von Neuwahlen. Ein zweites Referendum wäre keineswegs undemokratisch. Wenn eine Regierung den (knappen) mehrheitlichen Willen der Bevölkerung politisch nicht durchgesetzt bekommt und die Voraussetzungen für einen Brexit jetzt klarer sind, sollten die Menschen auch erneut das Wort haben.

Wenn es die politische Opposition diesmal richtig anstellt, werden die Fakten auch nicht mehr vom populistisches Getöse der Johnsons oder Farages‘ übertüncht. Die Wahrscheinlichkeit, dass Theresa May mit der EU noch so viele Zugeständnisse heraushandelt, dass sie damit das Parlament oder wenigstens ihre eigene Partei überzeugen kann, ist unwahrscheinlich. Auch deshalb, weil die Briten gerade mit Blick auf die Nordirland-Frage in einem Dilemma stecken, dass auch die EU nicht auflösen kann. Beim ersten Referendum ging es um die allgemeine Frage des Brexit. Bei einem zweiten müssten die Briten vor die Wahl gestellt werden: ungeregelter Brexit oder kein Brexit – das wäre die ehrlichste Frage.

Labour muss eine klare Haltung zeigen

Natürlich überwindet eine erneute Abstimmung des Volkes keine gesellschaftliche Spaltung, aber es kann helfen, ein klareres Bild zu bekommen. Eine, wenn auch sicher knappe Mehrheit für ein Verbleib Großbritanniens könnte vielleicht mehr zur gesellschaftlichen Stabilisierung beitragen als ein ungeregelter Brexit. Es könnte für ganz Europa ein klarer Auftrag zur Reform der EU sein. Möglicherweise könnte Großbritannien in Sachen EU-Beitrag und Arbeitnehmer-Freizügigkeit mit einem klaren Votum, in der EU zu bleiben, mehr raushandeln als auf der Suche nach kleinen Kompromissen beim Brexit.

Auch Neuwahlen wären ein, eigentlich folgerichtiger, Weg. Sie wären letztlich auch eine Art zweites Referendum mit anderen Mitteln – zumindest dann, wenn Labour sich zu einer eindeutigen, einer klaren pro-europäischen Haltung durchringt. Die unklare, verdruckste Haltung von Labour hat mit zu dem Chaos geführt, dessen Ergebnis nun zu betrachten ist. Nicht nur Theresa May steht also in der Verantwortung, sondern auch Oppositionsführer Jeremy Corbyn. Er glaubte auf dem populistischen Ticket bei der ersten Abstimmung mitschwimmen zu können. Doch eine solch schwammige Haltung kann und darf sich Labour und vor allem Corbyn nicht mehr erlauben.

Für die Europäer könnte es bald die Möglichkeit geben, indirekt über die Frage abzustimmen, wie viele Zugeständnisse zu machen sind oder ob man einen ungeregelten Austritt Großbritanniens in Kauf nimmt: bei der Europawahl im Mai. Und wer weiß, vielleicht nehmen die Briten an der Wahl ja sogar noch teil, falls die EU die Frist für den Austritt soweit verlängern sollte.

Klar ist natürlich, dass es im Ringen um den Brexit keine Gewinner (mehr) geben kann. Aber die britische und damit auch die europäische Bevölkerung hat wenigstens noch die Chance weniger zu verlieren als derzeit auf dem Spiel steht. Sie sollte jetzt nur rasch wieder in den Entscheidungsprozess einbezogen werden.

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