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USA: Obama in der Jobkrise

Der US-Präsident muss jetzt im Inland zeigen, dass ihm die kleinen Leute wichtig sind – wichtiger als Klima oder Nobelpreis.

Die Kameras sind immer dabei, wenn er spricht oder Hände schüttelt. Doch nur ein Teil der Bilder wird tatsächlich gesendet. Je nach Standort wird höchst unterschiedlich bewertet, was für die Hauptnachrichten taugt und was dort entbehrlich ist. So machen sich die Menschen im Ausland ein ganz anderes Bild, was für eine Art Präsident dieser Barack Obama ist, als die amerikanischen Bürger.

Am Dienstagabend gab es einen raren Moment weitgehender Einigkeit. In einer 35-minütigen Rede legte Obama seine künftige Afghanistanstrategie dar. Das interessierte gleichermaßen in den USA, in Europa und in Asien. Seinen „Job-Gipfel“ mit Unternehmern am Donnerstag im Weißen Haus verfolgten dagegen nur amerikanische Medien. Ebenso am Freitag seinen Besuch in Allentown, Pennsylvania – einer Region, die seit Jahren Arbeitsplätze in der Stahl- und Kohleindustrie verliert. In den USA war das Gespräch des Präsidenten mit Betroffenen, die unter dem Strukturwandel und nun zusätzlich unter der Finanzkrise leiden, das Hauptereignis des Tages.

Kommende Woche wird sich das umkehren. Obama fliegt nach Oslo – und am 18. Dezember nach Kopenhagen. In Oslo nimmt er am Donnerstag den Friedensnobelpreis entgegen. Mit der Stippvisite beim UN-Klimagipfel möchte er guten Willen bekunden. Verbindliche Zusagen über die Reduktion von Treibhausgasen in den USA hat er nicht im Gepäck. Bilder beider Ereignisse werden auch Amerikaner zu sehen bekommen. Sie werden aber nicht die Schlagzeilen bestimmen. Es wäre kein Wunder, wenn diese Auftritte Obamas auf mehr Interesse in Europa stoßen als in den USA.

Viele Amerikaner empfinden die Folgen der Wirtschaftskrise als so bedrohlich für ihren Alltag, dass sie Auslandsreisen des Präsidenten als unnötige Ablenkung von seinen vordringlichen Aufgaben wahrnehmen. Klimapolitik gilt ihnen als Luxus in Zeiten der Wirtschaftskrise. Die USA sind nach einer neuen Umfrage der „Washington Post“ das einzige Industrieland, in dem der Glaube an die Erderwärmung seit 2006 spürbar gesunken ist.

Der Erfolg des Kampfes gegen Rezession, Immobilienflaute und Arbeitslosigkeit sind der Maßstab, an dem Amerikaner Obama messen, gefolgt von der Gesundheitsreform. Die Themen, die das Ausland bewegen – Schließung Guantanamos, Irakabzug, Friedensprozess im Nahen Osten – sind in den USA nachrangig. Der Besuch in Allentown am Freitag war der Auftakt zu einer „Main Street Tour“. Mit ihr will der Präsident beweisen, dass ihm das Schicksal einfacher Bürger in den „Main Streets“ der Kleinstädte mindestens so sehr am Herzen liegt wie das der Banker in Wall Street. Ehe er ins Flugzeug nach Kopenhagen steigt, wird er am Dienstag eine Rede über die ökonomische Lage halten. Man erwartet, dass er ein weiteres Konjunkturpaket vorschlägt. Es könne aus den noch übrigen Mitteln des Bankenrettungsfonds finanziert werden, 139 Milliarden Dollar.

Direkt vor Obamas Auftritt in Allentown kamen die neuen Arbeitsmarktzahlen ans Licht. Noch immer gehen netto Jobs verloren, obwohl sich Banken und Unternehmen langsam erholen, aber im November waren es nur noch minus 11 000. Im Frühjahr verschwanden noch jeden Monat eine halbe Million Jobs. Die Arbeitslosenrate beträgt nun offiziell zehn Prozent, doppelt so viel wie in normalen Zeiten. Obama nannte die Trendwende in Allentown „ein Hoffnungszeichen“. Und natürlich betonte er, dies sei ein Erfolg seiner Wirtschaftspolitik.

Der Präsident wird im In- und Ausland verblüffend unterschiedlich bewertet. Seine internationale Bilanz ist bescheiden. Die erste Afghanistanstrategie, im März verkündet, musste er nun nachbessern und noch einmal 30 000 Mann Verstärkung schicken. Der Irakabzug stockt. Seinen Friedensbemühungen in Nahost widersetzen sich Israelis und Palästinenser. Guantanamo wird er nicht, wie versprochen, im Januar 2010 schließen können. Dennoch ist die Obama- Begeisterung in Westeuropa unverändert hoch.

In der Innenpolitik kann er zählbare Erfolge vorweisen, aber seine Zustimmungswerte in den USA sinken rapide. Inzwischen liegen sie unter 50 Prozent. Dabei hat er Amerika überraschend schnell aus der Rezession geholt. Im Winter 2008/2009 hatten viele einen Kollaps des Finanzsystems und zumindest den Zusammenbruch mehrerer Großbanken befürchtet. Nun verdienen die wichtigsten Geldhäuser bereits wieder kräftig und haben die Rettungsmilliarden zurückgezahlt. GM und Chrysler haben ein geregeltes Pleite-Verfahren durchlaufen und sich neu am Markt aufgestellt. Im dritten Quartal erlebten die USA ein Wachstum von über drei Prozent. Nur die Arbeitslosenrate bleibt vorerst hoch. Mit etwas Glück für Obama wird die Kurve rechtzeitig vor der Kongresswahl im November 2010 nach unten weisen.

Bei der Gesundheitsreform deutet mittlerweile vieles auf einen Erfolg hin. Die Hürden in der parlamentarischen Beratung, die zwischenzeitlich fast unüberwindbar schienen, haben Obamas Helfer durch geräuschlose Kompromisse beiseitegeräumt. Das Paket, das nun im Senat verhandelt wird, lässt zwar einige Wahlversprechen unerfüllt. Aber die Wetten stehen gut, dass er im Januar die „umfassendste Neuordnung des Krankenversicherungssystems seit 70 Jahren“ unterzeichnen kann, wie sein Sprecher Gibbs das Projekt nennt. Die Clintons waren 1994 daran gescheitert. Ein solcher historischer Erfolg würde Obamas Durchsetzungskraft belegen und ihn mit neuem politischem Kapital versorgen.

Nach den jüngsten Prognosen der innenpolitischen Experten würde er dieses Kapital aber nicht verwenden, um den Senat doch noch zu einem substanziellen Klimaschutzgesetz zu drängen. Dieses Ziel gilt angesichts der Ablehnung bis weit in Obamas Partei hinein als kaum noch aussichtsreich. Zu viele moderate Demokraten aus Kohlestaaten widersetzen sich. Eher werde Obama im Frühjahr einen neuen Anlauf zu einer Reform des Einwanderungsrechts nehmen, die unter Bush gescheitert war. Auch das wird man dann wohl im Ausland nur am Rande verfolgen. In den USA dagegen könnte er mit zwei so hochkarätigen Erfolgen – Gesundheits- und Einwanderungsreform – getrost der Präsidentschaftswahl 2012 entgegensehen. Die Amerikaner wollen erst einmal selbst gerettet und von der innenpolitischen Bilanz des Präsidenten überzeugt werden, ehe der sich an die Rettung der Welt machen darf.

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