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Annalena Baerbock und Robert Habeck.

© imago/Emmanuele Contini/Bearbeitung: Tagesspiegel

Parteitag in schweren Zeiten: Muss die Grünen-Spitze in Karlsruhe mit einem Aufstand rechnen?

Machtverlust in Hessen, Streit bei der Migrationspolitik, kein Geld für Klimaschutz und Wut an der Basis: Beim Grünen-Parteitag könnte es viel Zoff geben. Drei Experten geben eine Einschätzung.

Von
  • Karl-Wilhelm Koch
  • Rezzo Schlauch
  • Julia Reuschenbach

Verluste bei den Landtagswahlen in Hessen, Ungereimtheiten in der Migrationspolitik, nun fehlen auch noch Milliarden für den Klimaschutz. Am Wochenende treffen sich die Grünen in Karlsruhe zu einem Parteitag.

Kommt es zum Aufstand der unzufriedenen Basis? Kann die Parteiführung die Gemüter beruhigen? Drei Experten geben Prognosen ab. Alle Folgen unserer Kolumne „3 auf 1“ finden Sie hier.


Die Grünen bewegen sich in einer Parallelgesellschaft

„Politik beginnt mit der Betrachtung der Wirklichkeit“ ist das Credo der Realpolitik. Stattdessen blenden die mitregierenden Grünen die gesellschaftliche Wirklichkeit aus. Beispiel Migration: Grüne Kommunalpolitiker:innen, die die Situation und Stimmung beschreiben, werden in der Parteiführung abgeblockt. Nur in letzter Sekunde ist man zu Zugeständnissen bereit. Womit man aber niemanden mehr überzeugen kann.

Wer zu spät kommt, den bestrafen die WählerInnen. Die Folgen in Hessen und Bayern: herbe Wahlklatschen. Eine aktuelle Studie alarmiert: 62Prozent der Grünen bewegen sich abgeschottet in einer Parallelgesellschaft. Es geht auch anders. Ministerpräsident Winfried Kretschmann zeigt, wie Grüne sich erfolgreich an die Gesellschaft andocken.

Wenn beim kommenden Parteitag ein „weiter so“ zelebriert wird, ist es höchste Zeit, Realpolitik neu zu justieren. Was spricht gegen einen neuen Flügel „Grün-Liberal“? Der Realpolitik ernst nimmt und mit Betrachtung der Wirklichkeit beginnt.


Wahlprogramme werden in vorauseilendem Gehorsam weichgespült

Die grünen Beschlüsse gelten, sie werden nicht mehr umgesetzt. Wahlprogramme werden in vorauseilendem Gehorsam weichgespült, Koalitionsverträge nicht eingefordert. Die krachende Wahlniederlage in Hessen (minus 5 Prozent) wird als „zweitbestes Ergebnis“ schöngeredet. Und dann ist man entsetzt, wenn die SPD im Überbietungswettbewerb noch mehr Grundsätze preisgibt.

1993: Alle anderen Parteien gaben die Asylpolitik unter dem Druck der rechten Pöbler und Brandschanzer auf, bis auf die Grünen. Jetzt sitzen die Pöbler im Reichstag und behaupten, sie seien „die Alternative“. Und die Grünen knicken ein. Asylrecht wird auch von uns nicht mehr nach den Menschenrechten definiert, sondern nach der Belastbarkeit der Kommunen.

Klimapolitik war gestern, Krisen werden nicht diplomatisch gelöst. Das nötige Geld ist dank Lindners „kreativer“ Haushaltsführung dahin. Ein Großteil der Delegierten meint: Lieber falsch regieren als gar nicht. Die frustrierten Wähler:innen suchen derweil nach links-ökologischen „Alternativen“. Grüner Basis-Aufstand? 1000 Grüne fordern in einem offenen Brief die Rückkehr zur wertegeleiteten Politik und gelebter Basisdemokratie. Aber reicht das, den nötigen Kurswechsel vorzunehmen?


Einen Aufstand wird es wohl nicht geben

Sicher, die Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen wird kein Schönwetterereignis. In der ersten Hälfte der Legislatur musste man vielfach am eigenen Fundament rütteln. Aber die Partei machte deutlich, dass man zum Ampel-Bündnis steht und zeigte, dass man hart in der Sache ringen und am Ende geschlossen hinter Entscheidungen stehen kann. Auch dann, wenn es weh tut.

Bislang unterstützten ihre Anhänger diesen Kurs. Ein „Aufstand“ wird Karlsruhe daher wohl eher nicht werden, zumal die Partei als einzige der Regierungsparteien in den Umfragen Stabilität zeigt, während SPD und FDP derzeit weit hinter ihren Ergebnissen aus 2021 zurückliegen.

Aber: Nicht nur das jüngste Urteil des BVerfG ist ein herber Schlag ins grüne Kontor. Es wird am Wochenende vor allem darum gehen, wie man bis zur Wahl 2025 Stammwähler halten will und wie man der über diese Gruppe hinaus vorhandenen Erwartungshaltung, dass Grün – gerade klimapolitisch – am Ende der Legislatur einen echten Unterschied macht, glaubhaft gerecht werden kann. 

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