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Liegt ihr Schicksal in den Händen von Union und SPD? AfD-Fraktionschefs Alice Weidel und Alexander Gauland im Bundestag.

© Kay Nietfeld/dpa

Rechtspopulismus: Wie man die AfD wieder klein kriegt

Seit Monaten legt die AfD in Umfragen zu. Dabei könnten die Volksparteien ihr die Luft nehmen, behauptet das provokante Buch eines Politologen.

Von Hans Monath

Dieses Buch über Rechtspopulismus wird viele ärgern und heftigen Widerspruch provozieren. Es ist eine Zumutung für Linke und Linksliberale, vor allem für jene, die sich für die härtesten und tatkräftigsten Gegner der AfD halten. Das Instrumentarium ihres Abwehrkampfes gegen die Partei Alexander Gaulands erklärt Timo Lochocki in seinem Werk mit dem etwas verblasenen Titel "Die Vertrauensformel" für wenig tauglich oder gar für gefährlich. Die Gleichsetzung der AfD mit "Nazis", die moralische Empörung über jede neue Provokation, das verschärfte Bekenntnis zur offenen Gesellschaft und die Kampfansage aller Fortschrittlichen gegen jeden Versuch einer strengeren Regulierung von Migration – das alles mag gut gemeint sein, wird das Übel aber eher fördern, warnt der Politikwissenschaftler.

Lochockis Buch ist eine Zumutung, aber es ist eine notwendige Zumutung. Denn nach der Lektüre sieht man klarer, dass der Vormarsch der AfD kein Naturgesetz ist, sondern eine Reaktion auf ein Versagen der Volksparteien, das sich korrigieren lässt. Der Autor empfiehlt genau das, wovor die dauerempörten AfD-Gegner warnen. Er will die durch den Zuzug von Flüchtlingen Verängstigten durch eine zumindest symbolisch härtere Regulierung von Migration besänftigen und im Lager der Volksparteien halten, statt sie zu stigmatisieren und wegzutreiben. Auch deshalb zitiert er Konrad Adenauer: "Nehmen Sie die Menschen, wie sie sind, wir haben keine anderen."

Wer nun glaubt, das Buch beschönige die AfD, irrt gewaltig. Für seinen Autor hat die Partei das Potenzial, die demokratische Kultur und den gesellschaftlichen Konsens in Deutschland langfristig zu zerstören. Nur wenige Jahre, so argumentiert er, bleiben, um gegenzusteuern.

Woher bezieht er seine Gewissheit? Der Sozialempiriker Lochocki hat – auch für seine Promotion – den Aufstieg von Rechtspopulisten in den USA und westeuropäischen Ländern genau studiert und legt überzeugend dar: Die AfD ist vor dem Hintergrund der NS-Geschichte auch ein deutsches Phänomen, aber ihr Erfolg hat Vorläufer in anderen Ländern. Die nationalistische AfD gehört paradoxerweise zu einer internationalen Bewegung und lässt sich gut vergleichen. Noch ist das Klima in Deutschland nicht so vergiftet wie in den USA oder Großbritannien, wo Donald Trump gewählt und die EU zum Teufel gewünscht wurde. Es kann aber dazu kommen.

Das Potenzial der AfD hält der Wissenschaftler für riesig, weil konservative Wähler – sowohl der Union wie der SPD – rund 40 Prozent aller Wahlbürger ausmachen. Um sie zu halten, empfiehlt Lochocki, einen Keil zwischen Konservative und Rechtsextreme zu treiben. Damit das gelingt, muss auch die SPD etwas tun, was den meisten ihrer Funktionäre mit jeder Faser widerstrebt: Sie müsste einem „bürgerlichen Kompromiss“ mit der Union zum Thema Migration zustimmen, der Härte signalisiert und den Streit befriedet. Danach könnte dann endlich wieder um ökonomische und soziale Themen gestritten werden, was die politischen Ränder weiter schwächen würde. Ein wichtiges Argument des Buches dabei heißt: Die Stärke der AfD steht in keinem Zusammenhang mit den realen Flüchtlingszahlen, sondern wird bestimmt von der politischen Kommunikation von Union und SPD etwa über Migrations- und Europapolitik, Themen der sogenannten "Identitätspolitik". Wenn sich aber alle fortschrittlichen Kräfte gegen die Rechtskonservativen verbünden, signalisieren sie den 40 Prozent konservativer Wähler, sie seien antidemokratisch und könnten gleich zur AfD wechseln.

Mit Recht könnte man den Autor fragen: Warum soll man dafür sorgen, dass sich die Vorstellungen der Konservativen von der Steuerung und Beherrschung von Migration erfüllen? Haben nicht die Anhänger einer bunteren Gesellschaft das gleiche Recht darauf, dass die Politik ihre Vorstellungen umsetzt? Die Antwort lautet: Natürlich gilt deren Anspruch an die Politik genauso viel. Doch die Entscheidung muss man in kühler Abwägung fällen. Linke und Linksliberale kündigen der Republik nicht die Gefolgschaft auf, wenn ihnen dieses Ziel verwehrt bleibt. Konservative aber werden weiter in großer Zahl von den Volksparteien zu den Rechtspopulisten überlaufen, wenn ihre Ordnungsvorstellungen unerfüllt bleiben. Weil diese Entwicklung für die Demokratie so gefährlicher ist, gebietet es die Vernunft, ihnen entgegenzukommen. Genau besehen ist es auch im Interesse der Fortschrittlichen, den erreichten Stand der Liberalität und Offenheit in Deutschland zu verteidigen, statt ihn mit einem kompromisslosen Ringen um mehr Migration zu gefährden.

Der Autor liefert gute Argumente dafür, warum die Mehrheitsvertreter die Attraktivität der Rechtspopulisten mindern und die von ihnen ausgehende Gefahr bannen können. Man muss nicht jede seiner Wertungen teilen, kann fragen, ob er nicht die Zerstörungsmacht sozialer Ungleichheit unterschätzt und reale Politik für weniger wirksam hält als das Reden über sie. Trotzdem gilt: Das Erscheinungsdatum dieses Buches ist ein schwarzer Tag in der Geschichte der AfD. Zumindest dann, wenn sich viele politisch interessierte Leser von seinen Vorschlägen provozieren und überzeugen lassen – im besten Fall auch die Parteivorsitzenden von CDU, CSU und SPD. Denn Lochokis Thesen können die liberale Republik entscheidend stärken.

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