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Olaf Scholz SPD, Bundeskanzler, aufgenommen im Rahmen der 88. Sitzung des Bundestages im Deutschen Bundestag in Berlin.

© Imago/Photothek/Felix Zahn

Regierungserklärung zum Krieg: Scholz definiert das deutsche „Nie wieder“ neu

Mit Blick auf die Lehren aus der deutschen Geschichte zieht Bundeskanzler Olaf Scholz Grenzen für die Politik der Bundesregierung. Krieg dürfe kein Mittel der Politik sein.

Eine Rede, die von machtvollen Ankündigungen nur so strotzt, wird es nicht. Der reine Nachrichtenwert hält sich in Grenzen. Wohl fordert Bundeskanzler Olaf Scholz am Donnerstag in seiner Regierungserklärung deutlicher als bisher von der chinesischen Regierung eine neue Politik gegenüber Russland. „Nutzen Sie Ihren Einfluss in Moskau, um auf den Rückzug russischer Truppen zu drängen“, ruft der Kanzler da ins Plenum des Bundestages: Liefern Sie keine Waffen an den Aggressor Russland!“

Und der Sozialdemokrat Scholz kündigt als Reaktion auf die schleppende Beschaffungspraxis der nun mit mehr Geld ausgestatteten Bundeswehr an, dass „ein Großteil“ der vom neuen Sondervermögen finanzierten Rüstungsprojekte „noch in diesem Jahr unter Vertrag“ stehen sollen. Das aber ist es weitgehend gewesen mit Neuigkeiten aus dem Munde des Regierungschefs.

Ihm geht es auch um etwas Anderes in seinem Vortrag, der unter der Überschrift „Ein Jahr Zeitenwende“ steht. Er selbst hat den Begriff am 27. Februar des vergangenen Jahres – drei Tage nach Beginn des russischen Angriffs – am selben Rednerpult verwendet und damit hohe Erwartungen im In- und Ausland geweckt. Er will also Bilanz ziehen, die gravierenden politischen Veränderungen dieser Zeit nochmals ausführlich einordnen und vor dem Hintergrund der Demonstrationen vom Wochenende gegen die von ihm beschlossenen Waffenlieferungen neu begründen.

Mit der Waffe an der Schläfe lässt sich nicht verhandeln.

Olaf Scholz, Bundeskanzler

Man schaffe, so Scholz, an die Unterstützer und Unterstützerinnen von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer, „keinen Frieden, wenn man hier in Berlin „Nie wieder Krieg“ ruft und zugleich fordert, alle Waffenlieferungen an die Ukraine einzustellen“.

Der Kanzler erinnert – während Kiews Berlin-Botschafter Oleksij Makeiev auf der Besuchertribüne unter der Reichstagskuppel sitz – an Ortsnamen wie Butscha und Kramatorsk und somit daran, „welches Schicksal den Ukrainerinnen und Ukrainern unter russischer Besatzung blüht“.

Er äußert Verständnis für jene, die eine Eskalation des Krieges fürchten, nicht „Hurra“ rufen, wenn neue Waffen geliefert werden, weil diese Vorsicht sein eigenes Handeln geprägt hat und zur erneuten Versicherung führt, dass der Kanzler eine direkte Konfrontation zwischen Nato und Russland verhindern werde.

Und dennoch sind seine Worte, mit denen er Deutschlands Unterstützung für die Ukraine verteidigt, an diesem Tag eindringlicher als bisher sonst. „Mit der Waffe an der Schläfe lässt sich nicht verhandeln“, sagt Scholz: „Unsere europäische Friedensordnung ist wehrhaft.“

Die Lehren aus der deutschen Geschichte

Mit Blick auf die Lehren aus der deutschen Geschichte definiert Scholz für seine Regierung neu und eindeutiger als bisher, was „nie wieder“ geschehen darf. „Unser ,Nie Wieder‘ bedeutet, dass der Angriffskrieg niemals zurückkehrt als Mittel der Politik“, so der Kanzler: „Unser ‚Nie wieder‘ bedeutet, dass sich Putins Imperialismus nicht durchsetzen darf.“

Die Worte des deutschen Regierungschefs sind auch deshalb so klar, weil er an der diplomatischen Front mit Moskau derzeit keinerlei Bereitschaft erkennt, über einen gerechten und nicht einseitigen Frieden zu verhandeln: „Im Moment spricht nichts dafür.“

Mit seiner Regierungserklärung beeindruckt Olaf Scholz an diesem Donnerstag auch jene Abgeordneten seiner eigenen Koalition, die ihm gerade in der Ukrainepolitik bisher eher einen Mangel an Empathie und Eindeutigkeit bescheinigten.

„Mit seinem Satz ‚Es gibt Situationen, da ist Widerstand die Rettung‘ ist er so klar wie nie“, sagt Sara Nanni, die verteidigungspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, dem Tagesspiegel: „Diese Klarheit braucht es.“ Das Zitat, mit dem der Kanzler seine Regierungserklärung schließt, entstammt einem Tagebucheintrag der Ukrainerin Yevgenia Belorusets genau vor einem Jahr.

Jede Ukrainerin, jeder Ukrainer sehnt sich nach Frieden – mehr als irgendwer sonst.

Olaf Scholz, Bundeskanzler

Der Grundsatzkonflikt darüber, ob Frieden schaffen mit mehr Waffen in dieser Lage geboten ist oder aus der eigenen Vergangenheit heraus eben nicht, durchzieht vor dem Hintergrund des Protests vom Wochenende die Debatte.

Bevor Oppositionsführer Friedrich Merz dem Kanzler vorhält, dass eine Zeitenwende nicht nur Regierungserklärungen, sondern auch Entscheidungen erfordere, nimmt er sich die Linke vor. „Niederträchtig“ und „beschämend“ nennt er die Aussage der abwesenden Wagenknecht, wonach Vergewaltigung eben zum Krieg gehöre.

Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann wirft der Linkspartei vor, bei den Friedensprotesten absichtlich die Nähe zu Rechtsextremen zu dulden: „Sie wissen, was Sie tun“. Das kontert Linkspartei-Fraktionschef Dietmar Bartsch mit einer klaren Verurteilung der russischen Aggression, um dann in Bezug auf Waffenlieferungen „eine unsägliche Verengung des Meinungskorridors“ zu beklagen. „Es ist nicht unser Krieg“, beharrt dagegen der AfD-Fraktionsvorsitzende Tino Chrupalla, der dem Kanzler zugleich „Kriegsrhetorik“ unterstellte.

Solches Vokabular benutzt Olaf Scholz nicht. Wohl aber hat er sich rhetorisch so eindeutig wie nie auf die Seite der Ukrainerinnen und Ukrainer gestellt: „Jede Ukrainerin, jeder Ukrainer sehnt sich nach Frieden – mehr als irgendwer sonst.“

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