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Rot-rot-grüne Gedankenspiele: Linke werden links liegen gelassen

Linken-Fraktionschef Gregor Gysi bringt eine Woche vor der Niedersachsen-Wahl erneut die Möglichkeit eines rot-rot-grünen Bündnisses ins Spiel. Welche Chancen haben solche Überlegungen?

Von
  • Sabine Beikler
  • Matthias Meisner

Als Ende August 2012 die Linke ein „Diskussionspapier zur Wahlkampfplanung“ mit Werben für Rot-Rot-Grün im Bund vorstellte, wiesen SPD und Grüne diesen Flirtversuch brüsk zurück. Ernst-Dieter Rossmann, Sprecher der Parlamentarischen Linken der SPD-Fraktion, sprach damals von einem „vergifteten Angebot“. Eine Woche vor der Niedersachsen-Wahl startet Linksfraktionschef Gregor Gysi einen erneuten Versuch. Die SPD werde sich einer Diskussion über Rot-Rot-Grün nach Niedersachsen nicht mehr lange entziehen können, sagte Gysi im Tagesspiegel-Interview. Und Oskar Lafontaine legt am Sonntag beim Politischen Jahresauftakt der Linken in der Berliner Volksbühne nach: „SPD und Grüne darf man nicht allein regieren lassen“, sagt der frühere Vorsitzende, „es kommt nur Mist dabei heraus.“ Er unterstütze „sehr stark“, dass die neuen Parteichefs Katja Kipping und Bernd Riexinger SPD und Grünen auch im Bund das Angebot einer Regierungsbeteiligung machen. Freilich müsse dies, fügt er hinzu, immer „inhaltlich bestimmt“ sein. Einige Stichworte: Mindestlohn, nie wieder Krieg, Vermögenssteuer.

Der Saarländer treibt ein Stück weiter, was Kipping, Riexinger und Gysi seit Monaten schon propagieren. Lafontaines Lebensgefährtin Sahra Wagenknecht hat sich erst am vergangenen Montag verpflichten lassen, im Fall des – nach Umfragen höchst unwahrscheinlichen – Falles eines Wiedereinzugs der Linken in den niedersächsischen Landtag dort als Verhandlungsführerin etwaiger Koalitionen zur Verfügung zu stehen.

Kipping ist schon seit langer Zeit in rot- rot-grüner Mission unterwegs. Gemeinsam mit der früheren hessischen SPD-Chefin Andrea Ypsilanti und dem grünen Europaabgeordneten Sven Giegold gründete sie das Institut Solidarische Moderne – aber auch dieser Gesprächskreis fristet ein Nischendasein. An diesem Montag will sie in Hannover ein Papier vorstellen, in dem es um die „Machtperspektive“ für ein Linksbündnis im Bund geht.

Doch der Zeitpunkt – so verständlich er aus Sicht der Linken sein mag – ist denkbar ungünstig. Eine Woche vor der Landtagswahl in Niedersachsen stoßen alle rot-rot-grünen Überlegungen der Linkspartei bei SPD und Grünen auf Granit. „Ich halte nichts davon, in Niedersachsen über Splitterparteien wie die FDP, Linke und Piraten zu spekulieren. Das tun CDU und diese Parteien aus durchsichtigen Gründen. Rot-Grün ist erreichbar und darauf setzen wir“, sagte der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Hubertus Heil. Juso-Chef Sascha Vogt betont ebenfalls, Rot–Grün sei das Projekt in Niedersachsen. „Alle weiteren Kaolitionsdiskussionen stehen zurzeit nicht an“, sagt er. „Das Gift im Angebot ist noch nicht gewichen“, sagt auch der SPD-Linke Ernst-Dieter Rossmann. Die SPD habe in Niedersachsen die Chance auf Rot-Grün. „Wir werben für die Inhalte der SPD.“ Die Linke schlage eine strategisch-taktische Richtung ein, die die SPD ablehne. „Wir wollen uns nicht in Koalitionstaktiken verlieren“, sagt Rossmann.

Auch nach der Niedersachsen-Wahl dürfte mit Blick auf die Bundestagswahl eine Annäherung zwischen SPD und Linken kaum chancenreicher sein. In der SPD verweist man auf unvereinbare Positionen vor allem in der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Das geht von der Bündnistreue bis zum Einsatz der Bundeswehr. „Der Veränderungsbedarf liegt bei den Linken“, sagt ein langjähriger SPD-Politiker. Hinzu komme das Selbstverständnis der SPD, die „Leitpartei der Linken“ zu sein, wie ein anderer sagt, und „neben sich“ keine anderen linken Parteien zu akzeptieren.

Die Grünen haben es da einfacher. Sie setzen auf Eigenständigkeit, aber mit dem Wunschziel Rot-Grün. „Die Offerten der Linkspartei sind ein durchschaubares Wahlkampfmanöver, denn sie droht auch in Niedersachsen aus dem Landtag zu fliegen. In keiner der entscheidenden Fragen – verantwortliche Europapolitik, solide und solidarische Haushaltspolitik, Verhältnis zu den Vereinten Nationen, Umgang mit Auslandseinsätzen der Bundeswehr – hat die Linkspartei in den letzten Jahren nötige programmatische Entscheidungen für eine Regierungsfähigkeit herbeigeführt“, sagte Grünen-Spitzenkandidat und Fraktionschef Jürgen Trittin dem Tagesspiegel. Einen Politikwechsel gebe es nur „mit starken Grünen in einer rot-grünen Koalition“. Die Linke dagegen sei „orientierungslos“: Diese Woche wolle sie Brandenburgs Regierungschef Matthias Platzeck für das gleiche Verhalten im BER-Skandal das Vertrauen aussprechen, für das sie am Sonnabend Wowereits Abwahl verlangt habe. „Ein schizophrener Schlingerkurs“, sagt Trittin. „Die Linken sind nicht regierungsfähig“, sagt Brigitte Pothmer, Koordinatorin des Realo-Flügels in der Bundestagsfraktion. „Wir beurteilen die Fragen nicht ideologisch, sondern in der Sache.“

Doch weil angesichts sinkender Umfragewerte der SPD die Chancen für Rot- Grün schwinden, wird bei manchen grünen Parteilinken Rot-Rot-Grün ganz leise „gedacht“. Offiziell äußern will sich niemand. Es wird auf Schnittmengen in der Sozial- und Wirtschaftspolitik verwiesen, es werden aber auch „Schwierigkeiten“ in der Außenpolitik angesprochen. Probleme haben diejenigen Grünen, die Kontakte zu Vertretern des Linken-Forums Demokratischer Sozialismus pflegen, vor allem mit „linken Spinnern“ in der Linkspartei, die sektiererische Inhalte verträten.

Im anlaufenden Wahlkampf, in dem die Linke in den Spekulationen über Mehrheitsbildungen praktisch keine Rolle spielt, ist die Frage für die Partei selbst von hoher Bedeutung: Wenn es schon auf eine große Koalition hinausläuft, soll die Entscheidung für die SPD möglichst unbequem werden. Ähnlich gilt das für die Grünen. Lafontaine sagt, die SPD solle doch nur mal einen Eid auf ihre Programme ablegen. „Zumindest zur Hälfte stehen dort Dinge, die wir mitmachen würden.“

Außerparlamentarisch hat die Linke für ihren Ansatz bisher praktisch keine Verbündeten gefunden. Riexinger pampte neulich Gewerkschaftsführer wie Michael Sommer und Berthold Huber an, sie hätten sich längst mit einer kommenden großen Koalition im Bund abgefunden. Die so Kritisierten widersprachen nicht einmal. Für Februar ist ein Gespräch der Linken-Führung mit der DGB-Spitze vereinbart. Auch in der Linken rechnet keiner ernsthaft damit, dass sich am Kurs der Gewerkschaftsfunktionäre etwas ändert.

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