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Der russische Impfstoff Sputnik V.

© Mohammed ABED / AFP

Russischer Impfstoff für Deutschland: Sputnik soll Impfdebakel lindern – ein Skandal

Warum bewerben Söder, Spahn & Co den russischen Impfstoff so auffallend? Möglich, dass die EMA-Zulassung nie kommen wird. Wegen ernster Einwände. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Haben Wladimir Putins Agenten Zugang zu Markus Söder, Jens Spahn und Harry Glawe, dem Wirtschaftsminister von Mecklenburg-Vorpommern, und ihnen etwas ins Getränk gemischt? Sie fantasieren vom russischen Impfstoff Sputnik V als Lösung der deutschen Corona-Probleme, wollen Vorverträge über Massenlieferungen abschließen und zum Teil jetzt schon Steuergelder dafür locker machen – obwohl seit Wochen die Zweifel wachsen, ob das Vakzin hier jemals als Impfstoff zugelassen wird.

Sputnik wird immer mehr zu einem skandalumwitterten Impfstoff. Ihn zur Hoffnung für Deutschland hoch zu reden, ist nicht nur fahrlässig. Allmählich wird das zu einem politischen Skandal.

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Die Chancen auf einen positiven Ausgang des Zulassungsverfahrens sinken. Die Warnungen betreffen unter anderem den Verdacht, dass Russland der zuständigen europäischen Arzneimittelbehörde EMA fragwürdige Unterlagen eingereicht habe. Die EMA prüft nun, ob die von Russland behaupteten Testreihen den ethischen und wissenschaftlichen Standards der EU entsprechen.

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Die Slowakei klagt: Wir erhalten nicht den zugesagten Stoff

Auf das Ansinnen der EMA, die Kliniken und Labors zu besuchen, in denen die Daten angeblich erhoben wurden, reagiert Moskau hinhaltend. EMA-Direktorin Emer Cooke warnt: Sputnik werde kein schneller Heilsbringer.

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Zum Hype um Sputnik hatte die Fachzeitschrift „Lancet“ beigetragen. Anfang Februar veröffentlichte sie eine Studie über eine mehr als 90-prozentige Wirksamkeit des Impfstoffs. Die Slowakei, die Sputnik bestellt hatte, ohne auf die EMA-Zulassung zu warten, beschwert sich nun, dass die gelieferten Dosen nicht mit der für „Lancet“ verwendeten Probe übereinstimmen.

Argentiniens Präsident Alberto Fernandez wurde mit Sputnik geimpft – und ist dennoch an Corona erkrankt.

Moskauer Vermarktungsmodell

Nach allem Anschein betreibt der Russian Direct Investment Fund (RDIF), der den Impfstoff international vermarktet, ein doppeltes Spiel. Er hat keine international vertrauenerweckende Zulassung für das Vakzin. Er ist auch nicht in der Lage, die Millionen Dosen, deren Lieferung er in Verhandlungen in Aussicht stellt, selbst zu produzieren.

Zulassung und Massenproduktion in Europa sind fraglich.
Zulassung und Massenproduktion in Europa sind fraglich.

© dpa

Aber er kennt die Nöte europäischer Politiker, die ihren Bürgern erklären sollen, warum nicht mehr Impfstoff zur Verfügung steht. Und nutzt das aus, um mehrere Ziele zugleich zu erreichen.

Der RDIF sucht Produktionsstätten in der EU, darunter in Italien und in Illertissen, Bayern. Er ahnt, dass er keine EMA-Zulassung bekommt, möchte dieses fehlende Gütesiegel aber durch „Made in Germany“ kompensieren. Und wenn er dann auch noch darauf verweisen könnte, dass EU-Länder wie Österreich, Italien, Ungarn, die Slowakei oder gar Deutschland angeblich erfolgreich mit Sputnik impfen oder das zumindest vorhaben, könnte der Rubel rollen.

Auch Spahn erwog eine nationale Zulassung

Doch dafür brauchen die Russen zumindest nationale Zulassungen in der EU. Ungarn hat es vorgemacht. Die Slowakei folgte zunächst, verweigert nun aber die nationale Zulassung. Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz versucht sich ebenfalls mit Sputnik-Erfolgen zu schmücken – mit dem Ergebnis, dass österreichische Medien nun besonders genau hinschauen bei den Einwänden gegen den russischen Impfstoff.

[Die Antworten auf die wichtigsten Frage rund ums Impfen gegen das Coronavirus finden Sie in unserem großen Impf-Spezial]

Auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hatte sich zwischenzeitlich überreden lassen, einen nationalen Alleingang ohne EMA-Zulassung in Erwägung zu ziehen. Davon ist er inzwischen abgerückt. Er verhandelt aber weiter über Sputnik.

Das zuständige Paul-Ehrlich-Institut (PEI) hatte dem Tagesspiegel im März auf Anfrage mitgeteilt: „Es wird keine Zulassung speziell in Deutschland geben.“ Es bekräftigte diese Festlegung nun erneut.

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Auf eine rasche Sputnik-Massenproduktion an europäischen Pharmastandorten braucht auch niemand zu hoffen. Laut Pharma-Insidern sind vier bis sechs Monate nötig, um sie anlaufen zu lassen. Selbst wenn Söder dabei bleibt, die Herstellung in Illertissen zu unterstützen und mit Vorverträgen über Massenlieferungen zu verbinden, würde wohl frühestens nach den Sommerferien Zählbares herauskommen.

Söder und Spahn sollten ihr Vorgehen erklären

Und das Haupthindernis bleibt erstmal. Die EMA-Zulassung kommt nicht so schnell, womöglich nie. Eine nationale deutsche Zulassung an der EMA vorbei wird es auch nicht geben.

Söder, Spahn & Co haben einiges zu erklären: Warum wollen sie dennoch schon jetzt Lieferverträge für Sputnik schließen? Warum riskieren sie deutsche Steuergelder? Und wie wollen sie deutsche Sputnik-Nutzer gegen potenziellen Impfstoffbetrug absichern?

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