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Internationale Organisationen wie die UN geraten im Zeitalter des Trumpismus immer stärker unter Druck.

© Spencer Platt/Getty Images/AFP

Die Krise des Westens: Sei ein Kosmopolit

Politiker, die das Gemeinsame, das Verbindende unter den Menschen im Blick haben, werden als Gutmenschen verunglimpft. Das muss sich ändern. Ein Gastbeitrag.

Wenn am 31. Dezember die Glocken die westliche Welt in ein neues Jahr nach Christi Geburt läuten, dann haben sie nicht nur einen freudig erhebenden, sondern auch einen warnenden, weckenden Klang: Sturmgeläut. Im neuen Jahr 2018 wird aller Voraussicht nach der Kampf um eine freiheitliche, gerechte Weltordnung nicht enden. Das westliche Konzept von freiheitlicher Demokratie in aufgeklärten, emphatischen Gesellschaften ist weiterhin unter Feuer, von außerhalb seines Geltungsbereiches und aus seinem Inneren heraus. 

Machthaber von außerhalb dieser Hemisphäre wie der chinesische, russische oder türkische Präsident geißeln den pluralen und weltlichen Charakter der westlichen Gesellschaftsordnung als verrottet, gottlos und promiskuitiv. Grund für den nahenden Untergang seien Homosexualität und Laszivität. Innerhalb Europas rufen einige Mitglieder im Osten der Union nach einer illiberalen Demokratie, die es nur um den Preis institutioneller Veränderungen, die Aufhebung der Gewaltenteilung und die Unterwerfungen der bürgerlichen Freiheiten unter das Diktat einer Partei geben kann: Polen und Ungarn könnten die EU vor eine Zerreißprobe stellen. Der angelsächsische Teil der westlichen Welt ist ebenfalls im Aufruhr: Der Wunsch nach Abgrenzung in wirtschaftlichen und politischen Belangen hat die USA und das Vereinigte Königreich gleichermaßen auf einen isolationistischen Weg geschickt. Im Westen Europas, aber beileibe nicht nur da, hat sich ein Unbehagen an der wachsenden Integration der Europäischen Union, das sich in der Kritik an der Gemeinschaftswährung, dem Euro, entladen hat, transformiert in eine radikale Ablehnung des Islam, der als ein nicht-europäischer Fremdkörper betrachtet wird und als eine Bedrohung für die christlich-abendländische Welt. Die Frage der Zuwanderung aus islamisch geprägten Ländern nach Europa hat die Wahlen in Frankreich, den Niederlanden, Österreich und der Bundesrepublik Deutschland auf das maßgebliche Weise geprägt.

Trump will nur den eigenen Status Quo sichern

Gegen was wird hier zu Felde gezogen? Der ehemalige Berater im Weißen Haus, der Rechtspopulist Steve Bannon, nennt als den Feind, den alle genannten Bewegungen vereint, die so genannten Globalisten und ihre Agenda. Gemeint sind damit, wenn man einmal von den Verschwörungstheorien absieht, die um diese Globalisten gesponnen werden, diejenigen Menschen, die sich für internationale Lösungen der großen Politikthemen wie Klimawandel und Flüchtlingsströme einsetzen. Es geht um diejenigen, die daran glauben, dass internationale Organisationen wie die Vereinten Nationen eine Schlüsselrolle einnehmen bei der Bewahrung des Weltfriedens. Es sind letztlich auch diejenigen, die an Freihandel glauben und die im Falle seines Erfolges eine Abmilderung, wenn nicht sogar ein Ende der Armut prophezeien. In der Welt eines Menschen wie Steve Bannon werden solche Zeitgenossen als liberal verschrieen. Wer global denkt, gerät ins Visier. Die Konkurrentin von Donald Trump im Kampf um das Weiße Haus, Hillary Clinton, wird von Bannon und seinen Anhängern als liberale Globalistin geschmäht. Diese Kritik mag im Kern nach Kapitalismus-, Globalisierungs- und Neoliberalismus-Kritik klingen. In der Realität ist die Politik der Anti-Globalisten bislang allerdings nur darauf gerichtet gewesen, die Taschen seiner ohnehin schon reichen Unterstützer noch voller zu machen, also den Status Quo zu beschleunigen durch eine Zerstörung der Autorität jener internationalen Akteure, die zumindest theoretisch dem Spuk ein Ende bereiten könnten. Von einer Option für die Armen, wie sie jede aufrechte Kritik am US-amerikanischen Finanzkapitalismus formulieren muss, sind Herr Bannon und seine Freunde weit entfernt.

Gegen wen oder was kämpfen Menschen wie Steve Bannon, Donald Trump, Nigel Farage, Victor Orban oder Mateusz Morawiecki in Wahrheit? Es wird verständlich, wenn wir einen Begriff nutzen, der in Europa vielleicht geläufiger ist als der des Globalisten. Die europäische Geistesgeschichte nennt diejenigen, die sich für grenzüberschreitende Verständigung einsetzen, Kosmopoliten. Dieser Begriff ist positiv besetzt. Er ist nicht dadurch verunreinigt, dass er als Steigbügelhalter die ausufernde menschenverachtende Ideologie des Finanzkapitalismus kaschieren musste. Der antike Mensch, der sich selbst den Namen Kosmopolit gegeben hat, setzte auf das Lebensmodell eines emphatischen Weltbürgers, das auch heute noch absolut nachahmenswert ist: in 2018 sollten wir alle versuchen, bessere Weltenbürger zu werden.

Der Kosmopolit ist ein Lokalpatriot

Ein erster Schritt ist die Annäherung an das Konzept: Der Kosmopolit ist Lokalpatriot! Er kennt die Menschen, die um ihn herum sind, und er wertschätzt die Stadt, in der er lebt. Das erste, was jeder Kosmopolit ist, ist emphatisch. Die antiken, die griechischen Kosmopoliten umarmten dabei einen Lebensstil, der eher an Franz von Assisi als an Gordon Gekko erinnert: der griechische Kosmopolit lehnte es ab, in einem echten Haus zu leben. Gemauerter Besitz, so scheint es ihm, vermauert auch das Hirn. Das Haus mag für das Eigene und die Überhöhung dessen, was einem selbst am nächsten ist, stehen. In der Tat bleibt die Balance zwischen dem, was einem einzelnen zukommt, und dem, was der Gemeinschaft zusteht, bis heute Thema hitziger philosophischer und sozialstaatlicher Debatten. Der Kosmopolit der römischen Antike steht seinen griechischen Partnern in nichts nach: Auch dort wird eher die Einfachheit, in Lebensweise und Rhetorik, verklärt, als darauf optimiert, sich auf Kosten anderer die Taschen noch voller zu machen. Die Dämonisierung des Kosmopoliten als Globalisten will beim Blick auf die europäischen Vorbilder nicht wirklich funktionieren.

Ein Kosmopolit braucht keinen Status als Vielflieger oder einen Abschluss an einer Elite-Universität. Auch hier verzerren die neuen Populisten die Wahrheit: ein Kosmopolit ist der Mensch, der aus den Erfahrungen, die er in seinem unmittelbaren Umfeld macht, Schlüsse ziehen kann, die über sein Umfeld hinausgehen. Das ist eine emphatische Grundierung, die im Falle der Flüchtlingskrise im Jahr 2015 so aussieht: stelle Dir vor, mein Dorf wird morgen evakuiert und ich muss mit wenigem, das mir bleibt, in eine fremde Umgebung ziehen. Eine auf Mitmenschlichkeit bauende ethische Grunddisposition ist das, nicht mehr und nicht weniger. Das Fanal in der genannten Krise war es, als zu Protokoll gegeben werden konnte, dass die Deutschen diese Flüchtlingskrise mit ihren Augen anschauen müssten und nicht durch die Augen der Geflüchteten. Wie falsch: man wird weder dem Phänomen Herr, noch den Menschen, um die es geht gerecht, wenn man den Blick einengt und das Herz gleich mit.

Kosmopolit zu sein, bedeutet ein weites Herz und einen auf Unterscheidung der Geister getrimmten Verstand zu haben. Kosmopolit sein, bedeutet in der Konsequenz nicht wie seine Gegner glauben machen wollen, ein beliebiger Mensch zu sein, der ohne Prinzipien darauf aus sei, das Tafelsilber des Eigenen zu verscheuern. Das Prinzip, das hier gelebt wird, ist vielmehr das eines vergleichenden Zueinander: Was für mich gilt, wenn ich fliehen müsste, sollte doch auch für jeden anderen Menschen gelten. So erhält der Kosmopolit eine ethische Richtschnur, eine Orientierung am Menschlichen, was in Konsequenz nicht dazu führt, dass Deutschland alle Flüchtlinge der Welt aufnähme (weil das schlichtweg nicht ginge), sondern man sich so gut es geht in den Flüchtenden hineinversetzt, um zu verstehen, was es braucht, um seine Flucht zu beenden und neue Fluchtursachen zu vermeiden. Empathie ist die ethische Grundausstattung jedes Kosmopoliten.

In Deutschland werden Kosmopoliten als "Gutmenschen" verunglimpft. Das ist weniger hart als die Beschimpfung, die sich der Globalist aus dem Munde der neuen rechten Populisten und Autokraten anhören muss. Dennoch muss man es sich auf der Zunge zergehen lassen: gut zu sein, gut sein zu wollen, den Zustand, so wie er ist, als nicht hinnehmbar zu empfinden und an seiner Überwindung zu arbeiten wird verlacht und herabgewürdigt. Eine Gesellschaft, die es einigen wenigen erlaubt, dass sie so weit sinkt, wird unweigerlich erfahren, dass sie das Etikett ethisch nicht verdient. Zudem werden sich die Geister der Abgrenzung, die sie rief, zügig gegen sie selbst richten, gegen die Minderheiten und Andersdenkenden in dieser Gesellschaft. Diese destruktive Grundhaltung führt nicht dazu, dass sich die konkrete Politik verändern würde - dass kann sie aufgrund der Enge des Blicks, des Verstands und des Herzens gar nicht - sondern erst einmal nur zu einer Polarisierung innerhalb der Gesellschaft, zu Gräben, zu Vereinfachung und Verurteilung. Ein Blick auf die polarisierten angelsächsischen Gesellschaften genügt, um diese These zu bestätigen. Und auch in Deutschland ist die Polarisierung in einem Grad vorangeschritten, wie man sie von einer Gesellschaft, die eigentlich auf Mitte und Maße bedacht ist, bis vor wenigen Jahren nicht erwartet hätte.

Das politische Primat der Empathie muss gefestigt werden

Es ist entscheidend für das Gelingen des Jahres 2018, dass die Kosmopoliten nicht nachlassen, für ihr Modell zu werben: aus der Liebe zum Eigenen erwächst das Verständnis und das Zutrauen für das Fremde. Dabei hat der Kosmopolit immer das Gemeinsame, das Verbindende unter den Menschen im Blick. Es ist die Erkenntnis, die aus den Trümmern des 20. Jahrhunderts, aus seinen Kriegen und dem Horror der Shoa geborgen wurde, dass die Erkenntnis der neuzeitlichen Moderne, der US-amerikanischen und französischen Revolution gewonnenen Erkenntnis, dass alle Menschen gleich sind, sich in Institutionen und Gesetzgebung gießen muss, um nicht nur philosophisches Prinzip zu bleiben, sondern gelebte Wirklichkeit zu werden. Das Denken über den Kosmopolitismus hat daher nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der Deklaration der universellen Menschenrechte das entscheidende Ziel im Blick gehabt, den Glauben an eine gemeinsame Menschheitsfamilie, das Vertrauen auf einen Bund aller Weltbürger in eine Ordnung, in Recht und Institutionen mit dem Ziel der Friedenssicherung zu übersetzen. Der Empathie als ethischer Grundlage müssen Institutionen korrespondieren, die nachhaltig und auf Dauer den politischen Primat der Empathie festigen und sichern.

Wer diese Haltung diskreditiert, der muss sich nach dem wahren Grund fragen lassen, warum er das Ressentiment gegen den Kosmopoliten in die Welt setzt und kultiviert. Es geht um eine nachhaltigen Zerstörung des Vertrauens und des Zutrauens des Mitmenschen. Ein tieferer Abfall vom Humanismus ist nicht möglich als dieser Versuch, Menschen gegen andere Menschen aufzubringen und mit Niedertracht und Missgunst aufeinander zu hetzen. Meine Hoffnung aber ist, dass diese Ziele der Bannons dieser Welt nicht erreicht werden können, je mehr Menschen sich die kosmopolitische Sicht aneignen, Menschen auch dort zu sehen, wohin der Schall ihrer eigenen Dorfkirchenglocken nicht mehr reicht. Als die Apollo-Mission an Weihnachten 1968 zum ersten Mal ein Foto der Erde machte, hat der Anblick des blauen Planeten bei vielen Menschen den kosmopolitischen Geist der Antike freigesetzt: sind wir nicht alle Bewohner des selben zerbrechlichen, winzigen, schönen Planeten, der im All seine Bahnen zieht? Das Foto, das den “Erdaufgang” zeigt, hat die Friedensbewegung ebenso wie den Naturschutz inspiriert. Die Wirklichkeit, die die Alten in Athen nur ahnen konnten, ist für uns Gewissheit: unser Leben wird nur gemeinsam, als Menschheitsfamilie, gelingen oder er wird überhaupt nicht gelingen.

Alexander Görlach ist Affiliate Professor an der Harvard Universität, im In Defense of Democracy-Programm der F.D.Roosevelt-Stiftung am College der Universität. Görlach ist ferner Senior Fellow am Carnegie Council for Ethics in International Affairs und Herausgeber des Online-Magazin www.saveliberaldemocracy.com .

Alexander Görlach

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