zum Hauptinhalt
Mahnwache des Landesbauernverbands Baden-Württemberg am Samstag in Stuttgart.

© dpa/Christoph Schmidt

„Sie haben sich verrannt“ : Koalition und Union rufen Bauern vor Protesten zu Mäßigung auf

Der Bauernverband will eine Woche der Empörung inszenieren. Die SPD fordert Respekt und Maßhalten. Die CSU warnt vor Radikalität.

Angesichts der angekündigten Bauernproteste und der Versuche von rechten Kräften, diese zu instrumentalisieren, haben Politiker der Regierungsparteien und auch der Union am Samstag zu Mäßigung aufgerufen. Die Bauern wollen ab Montag protestieren, weil die Bundesregierung plant, Subventionen bei der Kraftfahrzeugsteuer und beim Dieselkraftstoff zu kürzen.

Die Ankündigung von Kanzler Olaf Scholz (SPD), Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP), diese zum größeren Teil wieder zurückzunehmen, hält den Bauernverband nicht von weiteren Protestaktionen ab. Verbandspräsident Joachim Rukwied fordert die komplette Rücknahme der Kürzungen „ohne Wenn und Aber“ und geht von größeren Verkehrsbehinderungen durch die Proteste in ganz Deutschland aus.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier forderte die Bauern am Samstag auf, friedlich zu demonstrieren und die Gesetze einzuhalten. „Demonstrationen gehören zur Demokratie. Kritik an der Regierung ist legitim. Aufrufe zu Hass und Gewalt überschreiten jedoch die Grenze dessen, was gerechtfertigt ist“, sagte er der „Bild“.

Demokratie lebt von der politischen Auseinandersetzung. Allerdings gibt es auch dort Grenzen. 

Katja Mast, SPD-Politikerin

Katja Mast, Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion, sagte dem Tagesspiegel: „Demokratie lebt von der politischen Auseinandersetzung. Allerdings gibt es auch dort Grenzen. Wie in jedem persönlichen Streit sind Respekt und Maßhalten in Ton und Handeln unverzichtbar. Wo es um Nötigung oder Gewaltandrohung geht, ist diese Grenze überschritten.“

Mast nannte die „sogenannte Protestaktion“ gegen Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) eine „klare und inakzeptable Entgleisung“. Sie sei eine Warnung, „was in der kommenden Woche auf uns zukommen könnte“. Habeck war von gewaltbereiten Landwirten am Donnerstag daran gehindert worden, eine Fähre zu verlassen, woraufhin diese wieder ablegen musste.

„Allen Protestierenden muss klar sein: Wer unverhältnismäßig agiert und die Grenzen von Respekt und freier Meinungsäußerung überschreitet, schadet nicht nur seinen Zielen, sondern auch dem gesellschaftlichen Miteinander und macht sich gegebenenfalls strafbar“, sagte Mast. „Die Demokratie fußt darauf, dass Menschen miteinander reden. Das muss immer möglich sein. Und dafür gibt es auch viele Möglichkeiten von Gesprächen über Demonstrationen bis hin zur Verbandsarbeit.“

„Verrohung der Auseinandersetzung“

Die SPD-Politikerin verwies auch auf die Ruppigkeit in der politischen Auseinandersetzung. „Nicht zuletzt Politiker der AfD heizen schon lange aggressive Debatten an – so auch regelmäßig im Bundestag. Das führt zu einer Verrohung der politischen Auseinandersetzung, die Eskalationen das Feld bereitet.“

Auch die Opposition im Bund und die Freien Wähler müssten sich fragen lassen, ob sie immer den richtigen Ton träfen. Es sei gut, dass der Bauernverband sich von der Aktion gegen Habeck distanziert habe. „Doch es bleibt wichtig für die Bäuerinnen und Bauern, genau hinzuschauen, wer ihre Proteste instrumentalisiert, und dafür zu sorgen, dass sie friedlich ablaufen“, sagte Mast.

„Blockaden unverhältnismäßig“

Lindner nannte die angekündigten Blockaden der Bauern beim Dreikönigsparteitag der FDP „unverhältnismäßig“. Sachbeschädigungen und Landfriedensbruch seien „Fälle für den Staatsanwalt“, sagte er. „Sie haben sich verrannt, bitte kehren Sie um“, appellierte er an den Bauernverband.

Die Gesellschaft habe zwar eine Verantwortung für die Landwirtschaft, aber die Landwirtschaft habe auch eine Verantwortung für die Gesellschaft, sagte der Finanzminister. Die Landwirtschaft sei ein „hochsubventionierter Sektor“, der auch einen Beitrag leisten müsse, um den Bundeshaushalt verfassungsgemäß aufstellen zu können. 

„Politik nicht erpressbar“

Auch Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) lehnt weitere Zugeständnisse ab. Zur Radikalisierung der Protestformen wie der jüngsten Blockade einer Fähre mit Habeck an Bord sagte er im ZDF: „Wer jetzt glaubt, dass er die Politik erpressen kann, wer jetzt glaubt, mit Umsturzfantasien hier irgendwie Eindruck machen zu können, wird sehen, dass die Mehrheit unseres Landes und auch die Politik da sehr klar steht: Wir sind nicht erpressbar.“ Özdemir warnte vor einer Unterwanderung der Bauern-Proteste durch Extremisten.

Auch von der CSU kam eine Aufforderung zur Mäßigung. Seine Partei lehne „jegliche Radikalität“ ab, sagte der bayerische Ministerpräsident Markus Söder. Allerdings nutzten die AfD und andere radikale Kräfte die friedlichen Proteste aus. „Dass diese Proteste der Bauern etwas robuster ausfallen, ist völlig normal, aber wenn es von dieser Robustheit in die Radikalität gleitet, dann ist eine Grenze überschritten“, sagte der CSU-Chef. Landesgruppenchef Alexander Dobrindt ergänzte, die berechtigten Proteste müssten „auf demokratischer Grundlage stattfinden“.

CDU-Chef Friedrich Merz rief die Landwirte dazu auf, bei ihren Protesten friedlich zu bleiben und sich nicht instrumentalisieren zu lassen. Merz schrieb in einer E-Mail an seine Anhänger, alle, die protestieren wollten, sollten dies mit „Augenmaß und vor allem ohne Gewalt“ tun. „Landwirte, Spediteure oder wer auch immer dürfen sich nicht instrumentalisieren lassen von Leuten und Gruppierungen, die den legitimen Protest missbrauchen, um das ganze System unseres Landes infrage zu stellen.“

Laut Sicherheitsbehörden gibt es im Zusammenhang mit den Protesten Mobilisierungsaufrufe und Solidaritätsbekundungen von Rechtsextremisten, Gruppierungen der Neuen Rechten und der Querdenker-Szene. Das berichtete die „Welt am Sonntag“ unter Berufung auf das Bundeskriminalamt und den Verfassungsschutz. Darunter seien Aufrufe für einen „Generalstreik“ und „Umsturzrandale“ sowie für eine „Unterwanderung“ der Demonstrationen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false