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Peer Steinbrück und Sigmar Gabriel.

© dpa

Die Wahlkampfbeobachter (11): SPD: Hü Steuern, hott Steuern

Sigmar Gabriel und Peer Steinbrück verkünden auf einmal - mitten im Wahlkampf -, dass ein zentrales Versprechen des Wahlprogramms nicht mehr gilt. Die SPD wollte Reiche mit höheren Steuern belasten. Hat die Parteispitze kalte Füße bekommen? Es zeigt ganz deutlich: Wenn es um die Macht geht, dann wird auch bei den Genossen eiskalt kalkuliert.

Von Antje Sirleschtov

Was ist nur los in der SPD? Gerade haben wir gedacht, Peer Steinbrück nimmt nach den Kapriolen der Vergangenheit die letzten vier Wahlkampfwochen sportlich gelassen, erzählt überall von seiner populären „Fahrradkette...“ und wird so am Ende doch noch ein achtbares Wahlergebnis einfahren.

Doch nun stellt er sich neben Sigmar Gabriel, den Parteichef, und beide verkünden in großer Eintracht mal ebenso und nebenbei, dass eines der zentralen Versprechen des Wahlprogramms nicht mehr gilt. Oder zumindest nur noch eingeschränkt. Teilweise. Auf jeden Fall aber nicht mehr so, wie man das noch bei den Parteitagen im letzten Winter und dann auch im Frühling nochmal unter dem tosenden Applaus der SPD-Mitglieder bekräftigt hatte.

Immer montags bis freitags erscheint die Kolumne "Die Wahlkampfbeobachter".

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Und, was am wichtigsten ist: Wie es im Wahlprogramm der SPD verankert ist. Einem Dokument, das die Partei demokratisch legitimiert hat und mit dem sie sich bei den Wählern am 22. September um Stimmen bewirbt. Eines ist klar: Die SPD hat in diesem Programm eine höhere Belastung der Gutverdienenden, Reichen und Vermögenden mit Steuern angekündigt. Höherer Spitzensteuersatz, höhere Erbschaftssteuer und auf jeden Fall Besteuerung von Vermögen. Der Grund für die Steuererhöhungspläne der SPD war nicht oder allenfalls nur am Rande ein dickes Loch, das im Haushalt des Staates klafft und mit den Mehreinnahmen gestopft werden muss.

Da war doch mal was mit Gerechtigkeit

Die Begründung der Sozialdemokratie war schlicht und überzeugend: Es gibt ein Gerechtigkeitsproblem. Ein „neues soziales Gleichgewicht“ in Deutschland hatte Steinbrück angemahnt und „die Bändigung von Fliehkräften in unserer Gesellschaft“ in Aussicht gestellt. Beiträge dazu sollen die Bezieher hoher Einkommen leisten. Damit mehr in Bildung investiert werden kann und in den Schuldenabbau. Das war keine wohlschmeckende Botschaft, die die SPD den Wählern mit gutem Einkommen und den Mittelständlern überbracht hat. Und mancher war auch verwundert, wie vehement sich ausgerechnet Angela Merkels Ex-Finanzminister, eben Peer Steinbrück, für die Einführung einer Vermögenssteuer aussprach. Aber das Gerechtigkeitsargument hat letztlich viele überzeugt. Denn es liegt darin ja eine innere Wahrheit.

Nun wissen wir, dass es die SPD mit der Gerechtigkeit wohl doch nicht ganz so ernst gemeint hat. Zwar sollen die Steuern erst mal angehoben werden, beteuern Steinbrück und Gabriel. Wenn man dann aber Steuerschlupflöcher geschlossen hat, versprechen beide, habe man genug Geld und könne wieder über die Senkung der Steuern für die Besserverdiener reden. Und die Erbschafts- und Vermögenssteuer? Auch die tritt nun in den Hintergrund. Man muss erst mal sehen, heißt es, wie das Verfassungsgericht dazu steht.

Bekommt die SPD kalte Füße?

Von Gerechtigkeit spricht keiner mehr. Die Botschaft ist jetzt auf einmal: Wenn genug Geld in der Kasse ist, brauchen die Gutverdiener nicht mehr zu bluten. Sigmar Gabriel ist sich noch nicht einmal zu schade, das Wort „Steuersenkungen“ in den Mund zu nehmen. Hatte er beim Augsburger Parteitag nicht geschworen, das „Zeitalter des egoistischen Neoliberalismus ist zu Ende“?

Es mag sein, das die SPD-Spitze fünf Wochen vor der Bundestagswahl kalte Füße bekommen hat. Schließlich brummt die Wirtschaft, und die Staatskasse kann gar nicht so schnell neue Säcke aufstellen, wie Steuergeld hineinfließt. Auch schwinden die Chancen dahin, stärkste Kraft im Bundestag zu werden. Nur so kann man sich erklären, warum jemand wie Gabriel einen solchen Anfängerfehler begeht und seine wichtigste Botschaft im Kampf gegen Merkel & Co. verwässert. Jürgen Trittin nennt das Herumgeeiere seines Lieblingskoalitionspartners nachsichtig tadelnd „hasenfüßig“, und in Merkels Wahlkampfzentrale knallen die Sektkorken.

All die Wähler, die sich zunächst erschrocken gefragt hatten, ob sie sich ein Kreuzchen bei der SPD werden leisten können und sich schließlich doch dem Gerechtigkeitsargument geöffnet haben, sind nun aber vor den Kopf gestoßen. Von wegen Fliehkräfte: Wenn es um die Macht geht, dann scheren sich offenbar auch die Genossen nicht um die Gerechtigkeit. Dann wird eiskalt kalkuliert. Und wenn die Umfragebarometer nach unten zeigen, dann wird eben über Bord geworfen, was man an Überzeugungen eben noch mit Verve verteidigt hat.

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