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Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und der Präsident des Bundesverfassungsgerichts Stephan Harbarth, hier bei einem Festakt zum Tag der Deutschen Einheit.

© dpa/Christian Charisius

Treffen von Regierung und Verfassungsgericht: Das unglaubliche Schweigen in Karlsruhe

Eine Woche vor dem Haushaltsurteil war Olaf Scholz noch zu Gast bei den Verfassungsrichtern. Über sein Gespräch mit dem Gerichtspräsidenten sagt der Kanzler nichts. Der Richter aber ist auskunftsfreudiger.

Es muss eine ganz besonders gewaltengeteilte Atmosphäre geherrscht haben, als sich das Bundeskabinett mit den Richterinnen und Richtern des Verfassungsgerichts zum Gedankenaustausch traf. Es war exakt eine Woche vor Verkündung des verhängnisvollen Urteils zum Nachtragshaushalt der Ampel und zwei Wochen, nachdem eben diese Verkündung ihrerseits vom Gericht angekündigt worden war.

Am Abend des 8. November in Karlsruhe war sämtlichen Beteiligten mithin klar, dass da was kommt. Doch was genau, das wussten nur die Mitglieder des Zweiten Senats, die ihr Urteil schon geschrieben hatten. Die Gäste aus Berlin dachten daran oder auch nicht. Danach zu fragen wäre nicht verboten, ist aber verpönt.

Das Schweigen über das kommende Urteil muss besonders gedröhnt haben, als die verabredeten Themen erörtert wurden. „Die Krise als Motor der Staatsmodernisierung“ stand auf dem Programm. Eine Haushaltskrise ist nun da, wobei noch offen ist, welche Modernisierung sie in Gang bringt.

Zu den Inhalten persönlicher Begegnungen und vertraulicher Gespräche wird grundsätzlich keine Auskunft gegeben.

Ein Regierungssprecher zum Austausch zwischen Kanzler Scholz und Gerichtspräsident Harbarth

Auch das zweite Thema „Generationengerechtigkeit: Politisches Leitbild und Verfassungsprinzip“ fügt sich in das aktuelle Szenario. Schließlich soll die Schuldenbremse seinerzeit im Grundgesetz installiert worden sein, um Jüngere nicht unter Zinslasten zu erdrücken.

Finanzminister Lindner fehlte

Wie tief man beim Dialog einander in die Augen schaute und was dort zu ergründen suchte, ist nicht bekannt. Wohl aber, wer aus dem Kabinett alles dabei war. Laut Regierung neben Scholz dessen Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt (SPD), Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), Innenministerin Nancy Faeser (SPD), Justizminister Marco Buschmann (FDP), Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD), Ernährungsminister Cem Özdemir (Grüne), Familienministerin Lisa Paus (Grüne), Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) und Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD).

Vielleicht hätte Finanzminister Christian Lindner (FDP) erspüren können, was in der Luft lag. Aber er ließ sich entschuldigen.

Die seit mindestens zwei Jahrzehnten wiederkehrend stattfindenden Treffen, die in der Rechtsprechung des Gerichts als „institutionalisierter Interorganaustausch“ verewigt wurden, stehen spätestens in der Kritik, seit man sich deswegen einem Befangenheitsvorwurf der AfD ausgesetzt sah.

Im Sommer 2021 war das Gericht zum Abendessen im Bundeskanzleramt geladen. Passend zu Corona wurde unter anderem über „Entscheidung unter Unsicherheiten“ referiert. Weil man Auskünfte zu einem Vier-Augen-Gespräch zwischen der damaligen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Gerichtspräsident Stephan Harbarth – im früheren Leben CDU-Politiker – verweigerte, verstärkte sich der Verdacht, hier könnte gekungelt werden.

Die Bundesregierung reagierte darauf mit einer wortreichen, jedoch inhaltlich eher bescheidenen Transparenzoffensive. Während es in früheren Jahren kaum Informationen zu den Treffen gab, wurden auf parlamentarische Anfragen der AfD nun immerhin Themen und Teilnehmer offengelegt, einschließlich sämtlicher protokollarischer Abläufe vom Stehempfang bis zum Käseteller.

Danach pausierte der Organaustausch, manch einer dachte schon, er habe sich erledigt. Doch dann unternahm der Protokollausschuss des Gerichts im Oktober 2022 mit Präsident Harbarth, Vizepräsidentin Doris König – deren Zweiter Senat jetzt das Haushaltsurteil fällte – sowie vier weiteren Richtern einen Vorstoß, die Regierung einzuladen. Angesichts der Umstände wirkt es rückblickend nun so, als habe sich ein Schlächter sein Opfer einbestellt.

Stur bleibt das Kanzleramt in seiner Informationspolitik gleichwohl bei einem entscheidenden Punkt. Auch diesmal gab es ein Vier-Augen-Gespräch des Regierungschefs mit dem Gerichtspräsidenten, „am Rande des Stehempfangs zu Beginn der Veranstaltung“. Fragen dazu bleiben unbeantwortet, denn solch eine Zusammenkunft soll Transparenzansprüchen entzogen sein. „Zu den Inhalten persönlicher Begegnungen und vertraulicher Gespräche wird grundsätzlich keine Auskunft gegeben“, sagt dazu ein Regierungssprecher.

Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts mit der Vorsitzenden Doris König bei der Verkündung des Urteils zur Schuldenbremse.

© dpa/Uli Deck

Zwar waren Harbarth und sein Erster Senat nicht zuständig – doch hätte Scholz hier trotzdem etwas erfahren, dürfte dies nach seiner Ansicht sein Geheimnis bleiben: Was persönlich und was vertraulich ist und amtsbedingten Transparenzansprüchen damit generell entzogen sein soll, entscheidet das Kanzleramt offenbar selbst.

Das Gespräch betraf keine richterlichen, sondern präsidentielle Aufgaben des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts.

Ein Sprecher des Bundesverfassungsgerichts zum Austausch zwischen Kanzler Scholz und Gerichtspräsident Harbarth

Aufmerksamkeit verdient, dass der Karlsruher Gerichtspräsident dies im Rahmen seiner eigenen Auskunftspflichten offenbar anders sieht. Das Bundesverfassungsgericht bestätigt auf Anfrage einen „kurzen Austausch“ zwischen Scholz und Harbarth („Dauer: wenige Minuten“) und geht dann sogar auf den Inhalt ein: „Das Gespräch betraf keine richterlichen, sondern präsidentielle Aufgaben des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts.“ Ein Plausch über die Rechtsprechung oder gar ein anstehendes Urteil wird damit ausgeschlossen.

Nun hat die AfD bereits fünf Tage vor dem Urteil zur Schuldenbremse erneut eine parlamentarische Anfrage zum „Interorganaustausch“ an die Regierung gerichtet. Aus eben diesem Anlass, denn: „Eine Niederlage vor dem Bundesverfassungsgericht wäre nach Ansicht der Fragesteller eine Zerreißprobe für die Regierungskoalition.“

Die Fraktion will unter anderem wissen, ob es im Vorfeld des Treffens „Einzelgespräche zwischen Verfassungsrichtern und Mitgliedern der Bundesregierung“ gegeben hat und welche Themen dabei besprochen wurden.

Zählt man den Stehempfang dazu, wäre für den Kanzler hier eine Gelegenheit, seine prinzipielle Verweigerungshaltung zu Auskünften „über persönliche Begegnungen und vertrauliche Gespräche“ einer Revision zu unterziehen. Bis zum 30. November hat er dafür noch Zeit, dann endet die Frist für die Regierungsantwort.

Bleibt Olaf Scholz bei seinem Schweigen, könnte die AfD, wieder einmal, den Rechtsweg beschreiten – nach Karlsruhe, vor das Bundesverfassungsgericht. Wie sich zeigt, gibt es dort Chancen.

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