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Erdogan will die konservativen Anhänger ansprechen.

© AFP

Trennung von Studenten geplant: Sittenwächter Erdogan

Der türkische Premier will jungen Paaren verbieten, im Studentenwohnheim zusammenzuleben. Damit verstößt er nach Ansicht von Experten gegen die Grundrechte. Doch sein Vorstoß findet auch Anhänger.

Ein schöner Abend mit untergehender Sonne am Meer. Ein Paar sitzt unter einem Baum im Gras, in der romantischen Stimmung könnten sich die beiden jungen Leute bald näherkommen – wäre da nicht Recep Tayyip Erdogan, der zwischen ihnen sitzt. „Wir mischen uns in niemandes Lebensstil ein“, sagt der türkische Premier in der Karikatur des Satireheftes „Penguen“. Eine Anspielung auf einen Vorstoß, mit dem der Ministerpräsident derzeit die eigenen konservativen Anhänger begeistert und den Rest des Landes empört: Erdogan will unverheirateten Studentinnen und Studenten verbieten, zusammenzuwohnen.

Es sei mit seiner Weltsicht als „konservativer Demokrat“ nicht zu vereinbaren, dass junge Frauen und Männer gemeinsam untergebracht seien, sagte Erdogan vor wenigen Tagen in einer internen Sitzung seiner Regierungspartei AKP. Bei der Geschlechtertrennung hat er nicht nur staatliche Wohnheime im Sinn, sondern auch Wohngemeinschaften von Studentinnen und Studenten in Privatwohnungen. Dennoch betonte Erdogan, er mische sich nicht in die Privatsphäre der Bürger ein – nur gebe es eben ein „legitimes Privatleben und ein illegitimes Privatleben“. Wenn junge Frauen und Männer ohne Trauschein zusammenlebten, „dann kann alles Mögliche geschehen“.

Die islamisch-konservativen Wähler will Erdogan ansprechen

Nach Ansicht von Experten verstößt Erdogans Initiative gegen die Grundrechte – schließlich handelt es sich bei Studenten um mündige Bürger, die leben können, wie es ihnen passt. Doch das sieht Erdogans Regierung anders. Seine islamisch verwurzelte Regierung begründet ihren Vorstoß nicht mit Gesetzen, sondern mit konservativen Moralvorstellungen – das zeigt nach Ansicht von Kritikern, wohin die Reise gehen soll. Erdogan wolle die Türkei zu einem nahöstlichen Land machen und im gesamten Bildungssystem die Geschlechtertrennung durchsetzen, sagte Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu.

Vier Monate vor den Kommunalwahlen im März bedient Erdogan mit seiner Initiative seine islamisch-konservative Wählerschaft. Allerdings könnte er auch viele Wähler vergrätzen, die über den Ruck Richtung islamischer Moral schockiert sind. In den Zeitungen beziehen selbst regierungsfreundliche Kommentatoren Position gegen den Ministerpräsidenten. Die Ex-Abgeordnete Nazli Ilicak sagte, als langjährige Anhängerin Erdogans schäme sie sich. Noch ist unklar, wie weit Erdogan tatsächlich gehen will.

Bleibt es nur bei der Ankündigung?

Der Premier ist bekannt dafür, tief in die konservative Mottenkiste zu greifen, ohne dass konkrete Veränderungen folgen. So dachte er in den vergangenen Jahren laut über gesetzliche Verbote von Ehebruch und Abtreibung nach – um die Themen dann schnell wieder zu entschärfen. Möglicherweise geschieht das auch jetzt wieder. AKP-Sprecher Hüseyin Celik sagte, es gehe lediglich um die Kontrolle von privaten Studentenwohnheimen, die nicht als solche angemeldet seien und keine Steuern zahlten. Doch Erdogans Polemik hat die gesellschaftlichen Spannungen zwischen AKP-Anhängern und Gegnern bereits weiter verschärft. Die Regierung habe erzkonservative Denunzianten ermutigt, schrieb der Kommentator Orhan Kemal Cengiz.

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