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Die Bundespolizei kontrolliert Reisende, hier am Flughafen Frankfurt.

© dpa/Boris Roessler

Überwachung von Aktivisten: Wenn Polizisten plötzlich zu viel wissen

Der Fall einer Umweltschützerin, die ohne Anlass bei einer Bahnfahrt aufgegriffen wird, zeigt, dass Behörden manchmal etwas zu genau informiert sind, was Bürger treiben.

Eine Kolumne von Jost Müller-Neuhof

Die Umwelt- und Anti-Akw-Aktivistin Cécile Lecomte ist zwar auf einen Rollstuhl angewiesen, braucht aber keinen, wenn sie für ihren Protest auf Bäume klettert. Ihr Aktivismus hat ihr nicht zuletzt in Polizeikreisen Bekanntheit eingebracht. So wurde sie eine Zeit lang zum Zweck der Personenkontrolle zur Fahndung ausgeschrieben, ihre Daten landeten im Informationssystem „Inpol“. Rechtswidrig, wie das Verwaltungsgericht Hannover im vergangenen Herbst entschied (Az. 10 A 5471/21 und 10 A 602/22).

Etwas unheimlich, was Lecomte im Dezember 2020 widerfuhr. Damals gab es Proteste im Dannenröder Forst rund 80 Kilometer nördlich von Frankfurt am Main. Bäume sollten einer Autobahn weichen. Lecomte unterstützte die Proteste, beteiligte sich aber nicht. Sie saß im ICE, erzählt sie, unterwegs zu einem privaten Termin, bei dem sie Kletterunterricht geben wollte. Deshalb hatte sie ihre Utensilien dabei.

Die Fragen führen in die Tiefen der polizeilichen Datensysteme. Sie vor Gericht zu klären, daran sollte nicht nur die Betroffene ein Interesse haben.

Jost Müller-Neuhof

Ausweislich ihres Fahrtverlaufs war sie auch nicht auf dem Weg zum Forst. Bei einem Halt am Frankfurter Bahnhof bestiegen trotzdem Bundespolizisten den Zug, kontrollierten sie – nur sie – und nahmen ihr das Kletterwerkzeug ab. Woher wussten sie, dass die Aktivistin im Zug saß? Lecomte berichtet, sie habe die Fahrt wegen ihres Rollstuhls online anmelden müssen.

Sie hätte es gern genauer gewusst, wollte klagen – aber bekam keine Prozesskostenhilfe. Die Gerichte sahen keine Aussicht auf Erfolg. Dagegen zog sie – allein und ohne Anwalt – bis vor das Bundesverfassungsgericht, das ihr jetzt Recht gab. (Az: 1 BvR 687/22).

Nur weil Lecomte eine „polizeibekannte Aktivistin“ sei, heiße das nicht, dass man sie jederzeit durchsuchen dürfe, meint das Gericht. Stütze sich die Polizei dabei auf ihre Datenbestände, dürfe nicht automatisch unterstellt werden, dass Speichern und Verwenden der Daten rechtmäßig sei. Schon gar nicht, wenn sie „Grundlage für ein gezieltes Herausgreifen“ gewesen seien.

Woher wusste die Bundespolizei, dass Frau Lecomte im Zug saß? Was rechtfertigte die Annahme, dass sie sich an Protesten beteiligen würde? Die Fragen führen in die Tiefen der polizeilichen Datensysteme. Sie vor Gericht zu klären, daran sollte nicht nur die Betroffene ein Interesse haben. Geld darf da kein Hindernis sein.

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