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Im Libanon steigen die Preise für Grundnahrungsmittel um 13 Prozent pro Woche

© Aziz Taher/Reuters

Getreidemangel, Korruption und Staatszerfall: Ukraine-Krieg verschärft die Nöte des Libanon

Der Libanon kämpft mit einer historischen Wirtschaftskrise. Jetzt kommt ein enormer Preisanstieg hinzu, Tausende sehen keine Zukunft mehr in ihrer Heimat.

Es war ein Unglück mit Folgen. Am 15. April wurde in einem Vorort Beiruts ein hilfsbedürftiger Mann von einem Müllwagen überfahren - er hatte auf der Deponie nach Essensresten gesucht. Daraufhin kam es zu heftigen Streiks und Protesten. Die Mitarbeiter des Entsorgungsunternehmens verweigerten so lange ihre Arbeit, bis die libanesische Regierung den Müllsuchern verbot, die Deponien zu betreten.

Doch das dürfte nicht reichen, um die Gemüter zu besänftigen. Denn nicht die vom Hunger getriebenen Menschen sind das Problem, sondern eine korrupte Elite, die ihre eigene Bevölkerung verarmen lässt. Im Libanon herrscht eine Wirtschaftskrise, die der Weltbank zufolge eine der weltweit schwersten seit Mitte des 19. Jahrhunderts ist. Tausende Menschen versuchen deshalb, das Land zu verlassen.

„Fast jeder Libanese hat einen Verwandten, der ins Ausland ging, und viele überlegen das auch für sich selbst“, sagt Michael Bauer, Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Beirut, im Gespräch mit dem Tagesspiegel. In den vergangenen Wochen beantragten sogar so viele Menschen einen Reisepass, dass die zuständige Behörde keine mehr ausstellen konnte - das Geld fürs Papier sei ausgegangen, hieß es. „Das zeigt, dass es an allen Ecken und Enden fehlt, wenn der Staat sich um etwas kümmern muss“, sagt Bauer.

Fast die Hälfte der Bevölkerung hat nicht genug zu essen

Kein Wunder, dass die internationale Gemeinschaft gefragt ist. Erst vor einigen Tagen reiste Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) in den Libanon und sicherte Hilfe in Höhe von zehn Millionen Euro zu. Das Geld kann das Land am Mittelmeer gut gebrauchen. Denn es bekommt die Folgen des Ukraine-Krieges besonders heftig zu spüren: Rund 95 Prozent seines Getreides bezieht der Libanon aus der Ukraine und Russland.

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Nach Angaben des Welternährungsprogramm (WFP) sind aktuell 46 Prozent der Libanesen von Ernährungsunsicherheit betroffen, können sich also kaum selbst mit Lebensmitteln versorgen. Die Lage ist schon länger miserabel. Seit 2019 verlor die Währung rund 90 Prozent ihres Wertes, die Preise für Grundnahrungsmittel stiegen bis Februar dieses Jahres um 670 Prozent. Strom gibt es vielerorts nur noch zwei Stunden pro Tag. Selbst die 2,6 Milliarden Euro, die Deutschland seit 2012 in den Libanon investierte, konnten daran wenig ändern.

Bei der Explosion 2020 im Hafen Beiruts starben 200 Menschen, 300.000 verloren ihre Häuser.
Bei der Explosion 2020 im Hafen Beiruts starben 200 Menschen, 300.000 verloren ihre Häuser.

© Hassan Ammar/Associated Press

Früher war das noch anders. Der Libanon galt lange als „Schweiz des Nahen Ostens“ – wohlhabend, modern und multi-ethnisch. Die Hauptstadt Beirut wurde sogar mit Paris verglichen. Im Jahre 2003 ging es dem Zedernstaat so gut, dass Deutschland die Entwicklungszusammenarbeit beendete.

Wie konnte es zu diesem dramatischen Rückfall kommen? „Die fehlgeleitete Wirtschafts- und Finanzpolitik sowie mangelnder Reformwille der politischen Elite haben die akuten Krisensituationen hervorgerufen“, erklärt ein Sprecher des Entwicklungsministerium auf Anfrage des Tagesspiegels.

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Instabilität gehört mittlerweile zum Alltag der Menschen. Korruption, Vetternwirtschaft, politische Blockaden unterschiedlicher Interessensgruppen, religiöse Spannungen, rasch wechselnde Regierungen und eine nur auf das eigene Wohl fixierte Elite führen dazu, dass der Staat nicht auf die Beine kommt. An große, vor allem rasche Veränderungen glauben im Land daher nur wenige Optimisten.

Iran übt großen Einfluss mit Hilfe der Hisbollah aus

Libanon-Experte Theodor Hanf führt diesen schleichenden Staatszerfall insbesondere darauf zurück, dass die „Gegensätze in der gesamten Region auch den Libanon nicht ungeschoren davonkommen lassen“. Durch den Krieg im benachbarten Syrien habe der Libanon „Unmengen an Flüchtlingen“ aufnehmen müssen - rund 1,5 Millionen bei nur 4,4 Millionen Einwohnern. Zu den Syrern kommen noch die seit Jahrzehnten im Libanon lebenden palästinensischen Flüchtlinge.

Neben den Geflüchteten belasten ausländische Mächte das politische Gefüge enorm – allen voran der Iran. Teheran betrachtet den Libanon als Teil seiner Einflusssphäre und stützt sich dabei auf die Hisbollah. Die vom Iran gegründete Miliz agiert wie ein Staat im Staat. Ohne Zustimmung oder gar gegen den Widerstand der „Partei Gottes“ sind keine Reformen denkbar. Zu sehr ist die Organisation etwa durch soziale Projekte im Volk verankert. Die schiitische Hisbollah aber hat nach Auffassung vieler Libanesen zuallererst Teherans Interessen im Blick, weniger die des eigenen Volkes.

Die Hisbollah erhält politische und militärische Unterstützung aus dem Iran.
Die Hisbollah erhält politische und militärische Unterstützung aus dem Iran.

© MAHMOUD ZAYYAT/AFP

Und dann ist da noch Saudi-Arabien. Auch die Golfmonarchie - gestützt auf sehr viel Geld - nutzt jede Gelegenheit, ein Wörtchen mitzureden. Wenn es angebracht erscheint, dann wird auch schon mal ein Regierungschef nach Riad zitiert, um allen zu zeigen, wie weit der Arm des Königshauses reicht.

Spitzenposten sind abhängig von der Religion - und nicht der Kompetenz

Auch das ausgeklügelte religionsbezogene System, mit dessen Hilfe die Macht zwischen Schiiten, Sunniten, Christen und Drusen aufgeteilt wird, erweist sich bei der Entwicklung des Libanons als hinderlich. Es hat zwar einen Rückfall in die Zeit des offenen Bürgerkriegs – wie er zwischen 1975 und 1990 herrschte – verhindert, doch zugleich den Missbrauch der Institutionen und Korruption befördert.

Politologe Hanf hält diesen versuchten Interessensausgleich aber für eine „politisch durchaus vernünftige Angelegenheit“, eine Abkehr davon könnte hingegen zu unterdrückten Minderheiten und Gewalt führen. Die Missstände machen die Libanesen dennoch wütend. Das ganze Dilemma des Landes wurde durch die verheerende Explosion Anfang August 2020 im Hafen von Beirut offenkundig.

Niemand wollte die Verantwortung für das Unglück mit mehr als 200 Toten und Tausenden zerstörten Wohnhäusern übernehmen, keine staatliche Behörde griff den notleidenden Einwohnern unter die Arme. Der Unmut darüber entlud sich in heftigen Protesten, der damalige Ministerpräsident musste zurücktreten.

Aber auch die folgenden Regierungen haben nichts getan, um die Misere der Libanesen wenigstens ansatzweise zu beenden. Mitte Mai sind nun Parlamentswahlen. Beobachter gehen davon aus, dass sich an den bisherigen Machtstrukturen wenig ändern wird. Sehr zum Leidwesen vor allem junger Menschen. Sie sehen keine Zukunft in ihrer Heimat – und verlassen den Libanon.

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