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Barack Obama äußerte sich zurückhaltend zu der in Genf erzielten Einigung.

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Update

Ukraine-Krisentreffen in Genf: Obama äußert sich skeptisch zu Friedensfahrplan

Russland hat der Entwaffnung der Separatisten in der Ostukraine beim Krisentreffen in Genf zugestimmt und Schritte zur Deeskalation angekündigt. US-Präsident Obama und Bundesaußenminister Steinmeier reagierten zurückhaltend.

Der Genfer Krisengipfel zur Ukraine hat am Donnerstag überraschend einen Friedensfahrplan beschlossen, der die Entwaffnung aller illegalen Kräfte in dem Land vorsieht. Demnach müssen die prorussischen Separatisten im Osten der Ukraine ihre Waffen niederlegen und die besetzten Gebäude verlassen. Dies teilten US-Außenminister John Kerry, sein russischer Amtskollege Sergej Lawrow und die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton nach dem Treffen mit, an dem auch der ukrainische Außenminister teilnahm.

Der Ukraine eröffne sich nun ein Weg für die Lösung der bestehenden Probleme mit ausschließlich friedlichen Mitteln, betonten Kerry und Ashton. Die in mehr als siebenstündigen Verhandlungen erreichte Grundsatzerklärung fordert alle Seiten zum Verzicht auf Gewalt und jegliche Provokationen auf.

Den Beteiligten an bewaffneten Aktionen und Besetzer staatlicher Gebäude in der Ostukraine soll eine Amnestie gewährt werden, außer in Fällen von Kapitalverbrechen. Eine Beobachtermission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) soll die Umsetzung der Vereinbarung begleiten und überprüfen.

US-Präsident reagiert zurückhaltend

US-Präsident Barack Obama hat sich zurückhaltend bis skeptisch zu dem in Genf vereinbarten Friedensfahrplan für die Ukraine geäußert. Zwar gebe es „eine aussichtsreiche öffentliche Erklärung“ über eine Entwaffnung illegaler Milizen. Doch angesichts der Erfahrungen in der Vergangenheit könne man nicht mit Sicherheit mit einer Verbesserung der Lage rechnen. „Ich glaube nicht, dass wir zu diesem Zeitpunkt über irgendetwas sicher sein können“, sagte Obama wenige Stunden nach Ende der Genfer Gespräche am Donnerstag in Washington.

Der russische Außenminister Sergej Lawrow mit seinem US-Kollegen John Kerry.
Der russische Außenminister Sergej Lawrow mit seinem US-Kollegen John Kerry.

© dpa

Er habe mit Bundeskanzlerin Angela Merkel telefonisch über die Entwicklung gesprochen, sagte Obama weiter. Die USA und die EU würden weitere Sanktionen vorbereiten, falls Russland sich nicht an die Vereinbarungen hält. Er werde auch mit dem britischen Premier David Cameron telefonieren.

Merkel und Obama hätten betont, Russland müsse „sofortige, konkrete Schritte unternehmen, um die Situation in der Ostukraine zu deeskalieren“, teilte das Weiße Haus nach dem Telefongespräch mit. Moskau müsse seinen Einfluss auf die illegalen Kräfte ausüben, damit diese ihre Waffen niederlegten. Die USA und die EU seien zu weiteren Maßnahmen bereit, „falls sich diese Deeskalation nicht in kurzer Zeit vollzieht“, heißt es in der Erklärung.

Steinmeier vorsichtig optimistisch

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) hat die Einigung mit verhaltenem Optimismus begrüßt. Der Frieden sei „noch nicht gewonnen in der Ukraine, und wir sind noch lange nicht am Ziel“, sagte Steinmeier am Donnerstag. Doch bestünden nun wieder Chancen, „dass eine Spaltung der Ukraine vermieden wird“ und dass alle Regionen der Ukraine an der wirtschaftlichen und politischen Zukunft des Landes arbeiteten.

Mit der Einigung von Genf sei „ein wichtiger Schritt getan“. Nach der Einigung auf eine Entwaffnung illegaler Gruppen, Gewaltverzicht und die Räumung der besetzten Gebäude in der Ostukraine stehe nun der „Lackmustest“ bevor: „Jetzt muss bewiesen werden, dass die Verabredungen von Genf nicht ein Stück Papier bleiben, sondern Politik verändern.“

Neuerliche Krisenmeldungen aus der Ukraine

Die Außenminister der USA, der Ukraine, Russlands und die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton hatten nach bilateralen Gesprächen am Donnerstagmorgen in einem Vierer-Gespräch über Auswege aus der Krise beraten. Das Treffen war das erste direkte Gespräch der russischen Regierung mit der von ihr offiziell nicht anerkannten ukrainischen Übergangsregierung. Zuvor hatte sich die Lage im Osten der Ukraine dramatisch zugespitzt.

Drei Separatisten getötet

Überschattet wurde das internationale Krisentreffen zur Ukraine von neuerlich Krisenmeldungen aus dem Land. Bei einem Angriff prorussischer Aktivisten auf einen Stützpunkt der Nationalgarde im südostukrainischen Mariupol wurden am Morgen drei prorussische Separatisten getötet. Außerdem seien 13 verletzt und 63 festgenommen worden, teilte der ukrainische Innenminister Arsen Awakow via Facebook mit. Die Agentur Interfax hatte zuvor unter Berufung auf eine regionale Internetseite von vier Todesopfern berichtet. Die Nationalgarde habe gemeinsam mit Spezialeinheiten und mit Einsatz von Hubschraubern die Attacke abgewehrt, erklärte das ukrainische Innenministerium.

Schwer bewacht: Beschützt von der Schweizer Armee findet das Krisentreffen in Genf statt.
Schwer bewacht: Beschützt von der Schweizer Armee findet das Krisentreffen in Genf statt.

© dpa

Ein Sprecher der Aktivisten in der Großstadt am Asowschen Meer nahe zu Russland sagte, bei den Angreifern habe es sich um Ortsfremde gehandelt. Die genauen Umstände des Zwischenfalls waren unklar. Dem Ministerium zufolge waren Separatisten zu dem Stützpunkt gezogen und hatten von den Soldaten verlangt, sich ihrem Aufstand gegen die Übergangsregierung in Kiew anzuschließen. Sie hätten auch versucht, auf das Gelände vorzudringen. Dabei seien Warnschüsse abgegeben worden, teilte das Ministerium mit. Die Separatisten sprachen dagegen von einer friedlichen Demonstration, auf die die Sicherheitskräfte das Feuer eröffnet hätten. Kremlchef Wladimir Putin schloss die Entsendung russischer Truppen nicht aus.

Separatisten besetzen weitere Regierungsgebäude

Im Osten der Ukraine haben Separatisten derweil Gebäude in mindestens zehn Städten unter ihre Kontrolle gebracht. Auch die Verwaltung der Großstadt Mariupol am Asowschen Meer haben sie eingenommen. Die prowestliche ukrainische Regierung wirft Russland vor, für die Aktionen verantwortlich zu sein.

Prorussische Aktivisten in der Nähe der ukrainischen Militärbasis in Mariupol.
Prorussische Aktivisten in der Nähe der ukrainischen Militärbasis in Mariupol.

© Reuters

Nach einer Blockade durch prorussische Bewaffnete und Anwohner zogen sich am Donnerstagmorgen ukrainische Regierungstruppen mit 15 gepanzerten Fahrzeugen aus dem Gebiet Donezk im Osten des Landes zurück. Die Einheit werde in voller Stärke zurück nach Dnjepropetrowsk verlegt, teilte das Verteidigungsministerium in Kiew mit. Moskautreue Aktivisten hatten am Vortag bei Kramatorsk gewaltlos sechs gepanzerte Fahrzeuge übernommen. Die Mannschaften seien nun in ihre Basis zurückgekehrt, betonte das Ministerium. Die Einheiten sollten eigentlich mit einem „Anti-Terror-Einsatz“ gegen Separatisten vorgehen, die in mehreren Städten des Gebiets Donezk staatliche Gebäude besetzt halten.

EU und USA drohen Russland mit zusätzlichen Sanktionen

Die Europäische Union will nach französischen Angaben ihre Sanktionen gegen Russland verschärfen, falls bei den Gesprächen in Genf keine Fortschritte erzielt werden. Das kündigte Frankreichs Präsident François Hollande in Paris an. Die Stufe der Sanktionen könne erhöht werden, wenn es keine „Lösungen“ in Genf gebe. Frankreich wolle dies aber nicht, fügte er hinzu. Auch die USA drohten kurz vor dem Treffen zur Ukraine-Krise in Genf mit neuen Sanktionen gegen Russland. Weitere Strafmaßnahmen gegen Moskau würden „aktiv vorbereitet“ erklärte Präsidentensprecher Jay Carney am Mittwochabend. Präsident Barack Obama warf Russland vor, die prorussischen Milizen in der Ostukraine zu unterstützen. Ein ranghoher US-Regierungsvertreter sagte Reportern auf dem Flug nach Genf, Russland müsse aufhören, die Separatisten in der Ostukraine „zu unterstützen und anzustiften“. Obama habe sehr klar gemacht, dass für Russland „die Kosten höher werden“, wenn es die Gelegenheit zur Deeskalation nicht ergreife. Das russische Außenministerium warf dagegen Washington vor, Kiew in seinem „Krieg gegen das eigene Volk“ zu unterstützen.

Putin fordert Verhandlungslösung

Kremlchef Putin sprach sich am Donnerstag für Verhandlungen zur Lösung des Konflikts aus. Weder Flugzeuge noch Panzer könnten die Krise lösen, sagte Putin im russischen Fernsehen mit Blick auf die Vorfälle am Morgen. In der landesweiten Fernsehsendung „Direkter Draht“ forderte der Präsident die ukrainische Führung zum „echten Dialog“ mit der russischsprachigen Bevölkerung auf. Zugleich wies er erneut Vorwürfe zurück, russisches Militär oder Instrukteure steuerten die Lage. „Es sind die Herren jener Region“, sagte Putin. Mit ihnen müsse geredet werden. Er sei überzeugt, dass Russland mit der Ukraine gegenseitiges Verständnis erreichen werde. Beide Länder hätten zahlreiche gemeinsame Interessen. Gleichzeitig kündigte er an, der russischsprachigen Bevölkerung im Osten der Ukraine helfen zu wollen. Der Einsatz des ukrainischen Militärs dort sei ein sehr schweres Verbrechen. Putin betonte Russlands Recht darauf, Militär in der Ostukraine einzusetzen. Er hoffe, von diesem Recht keinen Gebrauch machen zu müssen.

Europaparlament warnt Russland vor Einmarsch

Die ukrainische Delegation hat nach Angaben von Diplomaten Vorschläge für eine stärkere Berücksichtigung der Wünsche ethnischer Russen im Osten des Landes vorbereitet. Zugleich wolle sie Beweise für eine Verstrickung Moskaus in bewaffnete Aktionen prorussischer Separatisten in der Ostukraine vorlegen und die Beendigung dieser Angriffe fordern, hieß es in Delegationskreisen. Der ukrainische Außenminister Andrej Deschtschyzja bezichtigte Russland nach seiner Ankunft in Genf der Unterstützung „terroristischer Aktivitäten“ im Osten des Landes. Hauptziel der Übergangsregierung in Kiew sei dagegen, die Situation zu entschärfen. Die frühere ukrainische Ministerpräsidenten Julia Timoschenko schrieb in einer Erklärung an die Verhandlungspartner, sie sollten nicht auf Zeit spielen, die internationale Gemeinschaft müsse Russland unmissverständlich klar machen, dass die Krim völkerrechtswidrig annektiert wurde und Russland in der Ostukraine einen „Krieg neuen Typs“ führe, der zu beenden sei. „Wir werden alle konstruktiven Vorschläge der Verhandlungen prüfen, aber auf keinen Fall sollten die Gespräche in Genf die Annexion der Krim und das Verhalten Russlands legitimieren“, erklärte Timoschenko. Vitali Klitschko, Fraktionschef der Partei Udar, warnte vor dem Zerbrechen der Ukraine. „Die Gespräche sollten dafür genutzt werden, die Lage zu stabilisieren“, sagte der Ex-Boxweltmeister der ukrainischen Nachrichtenagentur UNN.

Ukraine verbietet russischen Männern Einreise

Möglicherweise als Reaktion auf Putins Äußerungen hat die Ukraine nach Angaben von Aeroflot allen russischen Männern zwischen 16 und 60 Jahren die Einreise verboten. Die russische Fluggesellschaft teilte am Donnerstag mit, sie habe eine Anweisung von der Regierung in Kiew übermittelt bekommen, dass den Männern die Einreise verwehrt werde. Nur in Sonderfällen werde eine Ausnahme gemacht.

Der Russlandkoordinator der Bundesregierung, Gernot Erler (SPD), sieht in dem Spitzengespräch in Genf ein neues Kapitel in der russischen Krisendiplomatie mit der Ukraine. „Das ist eine Überwindung der bisherigen Kontaktsperre, die Russland verhängt hat zu den Vertretern dieser Interimsregierung, mit der Begründung, die seien illegal“, sagte Erler am Donnerstag im ZDF-„Morgenmagazin“. Erler verlangte, dass sich Moskau bei dem Treffen von jeglicher Gewalt distanziert. „Wir erwarten von Russland eine klare Ansage“, sagte der SPD-Politiker im Westdeutschen Rundfunk. Nur weil Russland dies bislang unterlassen habe, sei der Konflikt in der Ukraine nicht beigelegt. „Ich bin persönlich fest davon überzeugt, dass der ganze Spuk zu Ende wäre, wenn hier eine klare Ansage aus Moskau käme.“

Europaparlament warnt Russland vor Einmarsch

Derweil warnte das Europaparlament Russland nachdrücklich vor einem militärischen Eingreifen im Osten und Süden der Ukraine. Die Ukraine habe laut Artikel 51 der UN-Charta das Recht zur Verteidigung ihrer territorialen Integrität, hieß es in einer Entschließung des Parlaments. Moskau dürfe dies nicht als Vorwand „für eine groß angelegte militärische Invasion“ nutzen. Die EU-Volksvertretung verurteilte zugleich die „Akte der Destabilisierung und Sabotage durch prorussische, bewaffnete, militärisch ausgebildete und ausgesprochen koordiniert vorgehende Separatisten unter Führung russischer Spezialeinheiten“.

Das Straßburger Parlament äußerte sich „zutiefst besorgt“ über das Blutvergießen in der Ost- und Südukraine. Es forderte Russland auf, den gewalttätigen prorussischen Kräften „unverzüglich seine Unterstützung zu entziehen“, alle Provokationen zu unterlassen und seine Truppen von der Ostgrenze der Ukraine abzuziehen. Das Argument des russischen Präsidenten Wladimir Putin, Moskau sei berechtigt, die russischen Minderheiten in Drittländern zu schützen, habe „keine Grundlage im Völkerrecht“, hieß es weiter. Im übrigen gebe es keine Hinweise auf Übergriffe oder Diskriminierungen gegen russischsprachige Bürger der Ukraine. Beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg liege keine einzige diesbezügliche Beschwerde von russischstämmigen Ukrainern vor, betonte der CDU-Außenexperte Elmar Brok.

Die EU und ihre Mitgliedsländer forderte das Parlament auf, „rasch ein Embargo auf Rüstungsgüter und Technologien mit doppeltem Verwendungszweck“ gegen Russland zu verhängen. Auch zu anderen Wirtschaftssanktionen müssten die EU-Staaten bereit sein.

Streit um UN-Bericht zur Menschenrechtslage

Vertreter westlicher Staaten und Russlands lieferten sich derweil im UN-Sicherheitsrat einen Streit um einen UN-Bericht zur Lage der Menschenrechte in der Ukraine. Der russische UN-Botschafter Witali Tschurkin kritisierte den Bericht, wonach die russischsprachige Bevölkerung in der Ostukraine nicht Opfer von Menschenrechtsverletzungen ist, am Mittwochabend als „einseitig“. Die Studie spiegele die Lage der russischsprachigen Bevölkerung des Landes nicht fair wider, sagte Tschurkin.

Der britische UN-Botschaft Mark Lyall Grant betonte dagegen, nach den Erkenntnissen des UN-Menschenrechtskommissariat gebe es „weder weitverbreitete noch systematische“ Angriffe auf ethnische Russen in der Ukraine. Damit würden die Erkenntnisse anderer unabhängiger Institutionen wie der OSZE untermauert, die ebenfalls keine Beweise für Bedrohungen gesehen hatte.

Die Lage in der Ostukraine ist unübersichtlich und höchst angespannt. Seit Tagen halten prorussische Kräfte in mehreren Städten Verwaltungsgebäude besetzt. Kiew entsandte am Dienstag die Armee gegen die bewaffneten Gruppen in der Region. Die Truppen wurden jedoch von Anwohnern und prorussischen Milizen zurückgedrängt, prorussische Milizen übernahmen am Mittwoch mehrere Armeefahrzeuge. (AFP/Reuters/dpa/jeg)

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