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Bild aus besseren Zeiten: Bei einer Direktwahl würden nur wenige Berliner den Regierenden Bürgermeister Michael Müller (m.), Kultursenator Klaus Lederer und Wirtschaftssenatorin Ramona Pop im Amt bestätigen.

© dpa

Unbeliebter Senat: Berlins Politiker können nur mit Mut Vertrauen gewinnen

Nach 100 Tagen im Amt fällt die Zustimmung für den neuen Senat dürftig aus. Der Unmut der Wähler ist nicht allein der holprigen Politik der Landesregierung geschuldet: Berlin hat ganz allgemein ein Politikproblem. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Robert Ide

Da wird sich die rot-rot-grüne Koalition sicherlich schwarzärgern. Gerade 100 Tage sitzt das neue Senatsteam am Regierungsruder, schon verpassen ihm die Berlinerinnen und Berliner eine virtuelle Ohrfeige. Im Berlin-Monitor, der repräsentativen Live-Umfrage des Tagesspiegels mit dem Internet-Institut Civey, wird deutlich, wie wenig sich die Bürger mit ihren Politikern identifizieren. Bei einer Direktwahl würden nur 14 Prozent den Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) im Amt bestätigen. Kultursenator Klaus Lederer (Linke) käme bloß auf 11 Prozent, Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) gar nur auf 8 Prozent. Und es geht noch deutlicher: 38 Prozent der Berliner hätten gern jemand anderen im blassroten Rathaus. Jemanden mit etwas mehr Farbe.

Beim Flughafen macht sich der Senat einen schlanken Fuß

Natürlich ist die Momentaufnahme ungerecht. Denn nach dem selbst verschuldeten Stolperstart mit Staatssekretär Andrej Holm hat sich die Landesregierung gefangen und geht nun die Themen an, für die sie mehrheitlich gewählt worden ist. In der Verkehrspolitik wird umgesteuert, wenn auch noch nicht koordiniert und zunächst nur mit dem Schulterblick auf die Radfahrer. Der Kampf gegen die wachsende Wohnungsnot, die selbst den Mittelstand in Angst versetzt, wird mit dem Drehen an kleinen Stellschrauben angegangen. Nur in der Flughafenpolitik macht sich der neue Senat einen schlanken Fuß, was ihm beim Volksentscheid um Tegel noch auf die Füße fallen kann. Es bewegt sich also was in der Landespolitik – und vielleicht auch im Ansehen ihrer Protagonisten. Bis zu einer echten Metropolenpolitik, deren Taten aufs ganze Land abstrahlen und auch Glanz auf Berlins Politiker werfen, ist es wohl noch ein weiter Weg. Es wird kein leichter sein.

Die Landespolitik bleibt piefig

Warum wirkt Berlins Politik im Vergleich zu anderen Metropolen so piefig und wird offenbar auch von den Bürgern so eingeschätzt? Die Stadt kämpft hier mit vielen strukturellen Problemen. Die Wunden der Teilung, auch das Baden der jeweiligen Kiezparteigruppen im eigenen Saft, sind längst nicht überwunden – wie gerade erst die niveaulose Fälschungsaffäre in der Südwest-CDU gezeigt hat. Zudem leistet sich Berlin den Luxus, sich lediglich durch ein Halbtagsparlament vertreten zu lassen – kein Wunder, dass gerade erst vor einem Jahr ins Abgeordnetenhaus entsandte Bürgervertreter schon wieder auf der Flucht in den Bundestag sind. Und auch für die Regierenden sind die Bedingungen schwierig: Viele ihrer Ideen perlen an der überalterten Verwaltung oder an störrischen Bezirken ab, die ihre Macht im Kleinen groß auskosten. Die Strukturen der Hauptstadt machen es den Politikern nicht leicht, über die Grenzen der Stadt und über sich selbst hinauszuwachsen. Das Bemühen darum ist freilich nicht gerade ausgeprägt.

Die Bundespolitik zeigt kein Interesse an Berlin

Berlin glänzt, auch wenn der internationale Sexappeal der Stadt noch immer viel Armut verdeckt – dafür ist Berlin reich an Ideen und (oft zugewanderten) Machern. Die Wissenschaft boomt, die Kultur glamourt, die junge Internetwirtschaft gerät langsam auf die richtige Datenautobahn – und selbst im Fußball kämpft man hier inzwischen um vordere Tabellenplätze. Die Politik allerdings kann vom seit Jahren anhaltenden Berlin-Boom nicht profitieren. Sie wirkt nachhaltig unattraktiv, sodass schon reihenweise Bundesprominenz einen Abstieg ins politische Unterholz am Spreeufer abgelehnt hat – von Klaus Töpfer bis Olaf Scholz. Es ist paradox: Je stärker sich die Bundespolitik mit ihrem wachsenden Hauptstadtdorf in Berlins Mitte ausbreitet, desto schwächer wird ihr Verlangen, etwas mit den Landesangelegenheiten der Hauptstadt zu tun zu haben.

Die Parteien in Berlin müssen sich also aus sich selbst heraus erneuern. Das kann eine Chance sein für die Bürger und ihre Bürgermeister. Zukunftsweisende Politik (auch aus einem rot-rot-grünen Rathaus) ist die Basis für mehr Vertrauen. Darauf muss das Zutrauen gedeihen, mehr verändern zu wollen als Klein-Kiezhausen. Damit Berlin auch politisch an sich selber wächst, braucht es Mut zu mehr Mut.

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